In einem Hamsterrad ohne Ausstieg

Bald werden Alg-II-Empfänger, die teurer wohnen als erlaubt, zum Umzug aufgefordert. Dabei gibt es nicht genug preiswerten Wohnraum, Ghettoisierung wird zunehmen, Menschen werden in die Armut getrieben. Einschätzungen eines Experten

Bremen taz ■ Es wird ernst: In rund einem Monat sollen Bezieher von Arbeitslosengeld II, deren Miete über den Obergrenzen liegt, zum Umzug aufgefordert werden. Der Bremer Sozialwissenschaftler Volker Busch-Geertsema erläutert die Folgen.

taz: Wenn die Deputationen den Fahrplan für die Umzugsaufforderungen an Alg-II-Empfänger so verabschieden wie derzeit vorgesehen, was würde passieren?

Volker Busch-Geertsema: Fast 10.000 Haushalte würden mit einem Schlag aufgefordert werden, sich eine neue Wohnung zu suchen, die einen mit mehr, die anderen mit weniger Zeit. Das ist eine Katastrophe – für den Wohnungsmarkt und für die betroffenen Haushalte. Damit würden viele in ein Hamsterrad getrieben, aus dem sie nicht aussteigen können – weil sie keinen Wohnraum finden werden. Sinnvoll wäre, erst die zum Umzug aufzufordern, deren Mieten besonders hoch sind.

Für wen wird es besonders schwer?

Für Ein-Personen-Haushalte. Selbst wenn alle derzeit als angemessen anerkannten Single-Wohnungen von Alg-II-Beziehern bezogen würden, wäre nicht genug Wohnraum vorhanden. Allein das ist illusorisch: Wir haben viele tausend Studierende, die viel Fluktuation in diesen Wohnungen ausmachen. Aber es kommen neue Studierende nach, wo sollen die wohnen?

Wie wird sich die Stadt verändern?

Alle Experten sagen, dass sich die ohnehin stattfindende Konzentration verstärkt. Einerseits wird diese Konzentration immer beklagt und es wird viel Geld ausgegeben, um solche Stadtteile zu stabilisieren – andererseits wird sie jetzt bewusst herbeigeführt. Da läuft etwas verkehrt.

Wie ließe sich dem begegnen?

In den meisten Städten sind die Instrumente, die auf anderen Ebenen dagegen arbeiten sollen – wie kommunaler Wohnungsbesitz und Einfluss auf die Mieten – schon größtenteils weg. Die Bindungen im sozialen Wohnungsbau schwinden. Das Argument, der ganze Wohnungsmarkt zöge nach, wenn die Mietobergrenzen hochgesetzt würden, halte ich für verfehlt. Das SGB II und das SGB XII sind nicht die Gesetze, mit denen man den Wohnungsmarkt regulieren sollte.

Wie müsste Ihrer Meinung nach der Gefahr der Ghettoisierung begegnet werden?

Es werden häufiger Belastungsquoten oder Obergrenzen für Alg-II-Haushalte in bestimmten Quartieren diskutiert. Das halte ich für falsch. Denn das führt dazu, dass bestimmte Haushalte gar nichts mehr finden. Stattdessen müsste man die Möglichkeiten von Stadtteilen mit geringer Konzentration von Armen nutzen. Wenn das Mietniveau dort höher ist, sollte man es als angemessen anerkennen.

Das hat das Sozialressort zugesagt.

Man müsste das aber sehr viel konkreter vorgeben und großzügiger handhaben. In der Verwaltungsanweisung ist nur die Mietübernahme bis zu zehn Prozent Überschreitung der Obergrenze vorgesehen. Das Gewos-Gutachten rät wenigstens, nur bei krassen Überschreitungen zum Umzug aufzufordern. Das teile ich. Umgekehrt sollten etwas höhere Mieten übernommen werden, wenn Alg-II-Bezieher in Stadtteile ziehen wollen, deren Mieten höher sind.

Ein Betroffener hat künftig zwei Möglichkeiten: sich eine billigere Wohnung zu suchen und seinen Abstieg hinzunehmen, oder sich um jeden Preis irgendeinen Job zu suchen.

Die Jobs sind nicht reich gesät, deshalb wird eine dritte Möglichkeit leider viel öfter eintreten: Aus dem normalen Regelsatz bezahlt man einen Teil der Miete letztlich selbst. Das war schon früher Praxis. Ich halte es für sehr problematisch, wenn sehenden Auges in Kauf genommen wird, dass Haushalte eher 30, 50 oder mehr Euro draufzahlen, als umzuziehen. Diese Menschen werden in eine Verarmung unterhalb des Existenzminimums getrieben. Interview: sgi