„Für optimale Lösungen ist jetzt nicht die Zeit“

Der SPD-Politiker Erhard Eppler sieht seine Partei zum Erfolg verurteilt. Die große Koalition könnte das Ende der neoliberalen Ära bedeuten

taz: Herr Eppler, es sieht so aus, als würde Matthias Platzeck neuer SPD-Vorsitzender. Ist er für das Amt wirklich geeigneter als Kurt Beck?

Erhard Eppler: Matthias Platzeck wäre ein guter Parteivorsitzender, denn er hat ein hohes Maß an politischer Energie. Seine politische Geradlinigkeit hat er in Brandenburg bewiesen, als er mit Hartz IV offensiv umging und damit auch noch die vergangene Landtagswahl gewonnen hat. Er ist also kein Opportunist, hat einen wachen Intellekt und ist doch volksnah.

Kommt dieser Posten für Platzeck nicht etwas zu früh?

Platzeck hätte wohl selbst gerne noch ein paar Jahre gewartet. Für optimale Lösungen ist jetzt nicht die Zeit. Platzeck ist aber die derzeit beste Option.

Wie nennen Sie eigentlich die besonderen Umstände, die eine Wahl von Platzeck möglich machen?

Ich nenne diese Ereignisse einen Unfall. Und dieser ist zustande gekommen durch eine Mischung aus Ehrgeiz, Naivität und mangelnder Kommunikation.

Und wer ist schuld?

Wie bei den meisten Unfällen gibt es nicht nur einen Schuldigen. Aber es ist schon bemerkenswert, wie ein Vorstand als Ganzes an der Realität vorbei entscheidet. Und zu dieser Realität gehört es nun mal, dass kein sozialdemokratischer Parteivorsitzender sich jemals das Recht abnehmen lassen musste, seinen Generalsekretär zu benennen. Mich hat Münteferings Entscheidung nicht überrascht. Dass sie die Vorstandsmitglieder offenbar überrascht hat, zeigt einmal mehr deren Verkennung der Lage.

Diese Lage ließe sich auch anders beschreiben: Müntefering handhabt den Wunsch nach einem Generationswechsel in der Partei ungeschickt und provoziert geradezu das Zerwürfnis.

Den Wunsch nach einem Generationswechsel verstehe ich durchaus. Ihn aber in der jetzigen Situation durchzusetzen zeugt von Blindheit für die Wirklichkeit. Müntefering hätte der Partei noch deutlicher sagen müssen, wo seine Schmerzgrenze ist. Heute würde ich meine Partei energisch dazu auffordern, Müntefering zu ermutigen, dass er zumindest der erste Mann der Sozialdemokraten in der großen Koalition bleibt. Denn diese Koalition ist ohne Müntefering ein viel riskanteres Unternehmen als mit ihm.

So berechenbar ist er nicht, das zeigt doch die derzeitige Situation.

Die Verlässlichkeit von Franz Müntefering hält genauso lange, wie sich andere ihm gegenüber an die Regeln halten.

Ist das Brechen dieser Regeln ein Zeichen dafür, dass die SPD von den Individualisten aus der neuen Mitte übernommen wurde?

Natürlich hat der Aussetzer des Vorstandes mit Karriereplänen zu tun. Aber das ist normal in einer Partei und kein Zeichen für eine SPD, die von der neuen Mitte übernommen wurde.

Bietet die neue Situation nicht auch die Chance, dass die SPD ein wenig mehr linkes Profil gewinnt?

Die Partei muss natürlich eine Grundsatzdiskussion führen und neue Konzepte formulieren. Der Wähler sucht Orientierung bei seiner Partei, die SPD kann die derzeit so recht nicht geben. Ihr Hauptziel muss aber sein, dass die große Koalition ein Erfolg wird. Es gäbe nichts Schlimmeres als einen Wahlkampf 2009, in dem sich Union und SPD gegenseitig das Scheitern ihrer Koalition vorwerfen. Das wäre der GAU für die Demokratie.

Wenn die SPD alles für den Erhalt der großen Koalition tun soll, gerät sie dann nicht genau in Gefahr, sich zu sehr der Union anzupassen?

Nur wenn man die große Koalition als Abarbeiten kleinster gemeinsamer Nenner begreift. Ich glaube jedoch, dass aus der Notwendigkeit des täglichen Regierens heraus die große Koalition zu Handlungen fähig ist, wie sie bisher in noch keinem Konzept der beiden Parteien stehen. Abgesehen davon werden die Auseinandersetzungen der Zukunft schwieriger für die Union als für die SPD.

Wieso?

Weil diese Auseinandersetzungen um die Entscheidung für den neoliberalen Minimalstaat oder für den demokratischen Rechts- und Sozialstaat geführt werden. Hier ist sich die SPD einiger als die CDU, die Union werden diese Auseinandersetzungen weitaus mehr beschäftigen. Diese Entwicklung wird dadurch bestärkt, dass die neoliberale Idee ihren Zenit überschritten hat. Daher wird sich die noch tonangebende Meinung innerhalb der Union nicht halten können. Ich glaube ohnehin daran, dass die große Koalition der Übergang aus der neoliberalen Periode wird, danach können die Irrtümer dieser Zeit korrigiert werden. INTERVIEW: DANIEL SCHULZ