„Die Politik der EZB ist total unlogisch“

Die Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) schadet Europa, glaubt der Chefvolkswirt der Unctad

taz: Herr Flassbeck, Sie halten zum jetzigen Zeitpunkt nichts von höheren Zinsen. Wieso?

Heiner Flassbeck: Die Zinserhöhung kommt für ganz Europa viel zu früh. So einen Schritt schon bei den ersten Zeichen konjunktureller Erholung zu machen zeigt, dass die EZB eine falsche Geldpolitik verfolgt.

Rigide Inflationsbekämpfung geht meist auf Kosten der Beschäftigung. Was müsste sich an der Politik der EZB ändern?

Die EZB ist zu stark auf Preisstabilität fixiert. Das Mandat der Geldpolitik muss geändert werden: neben Preisstabilität muss die Beschäftigung als gleichberechtigtes Ziel der EZB ergänzt werden. Die Staatschefs müssten das im Vertrag von Maastricht festschreiben. Auch der europäische Stabilitätspakt muss von den festgelegten Defizitgrenzen befreit werden.

Die EZB begründet die Zinserhöhung mit der Inflationsgefahr in Europa.

Das ist in hohem Maß absurd. Es gibt einen weitgehenden Konsens, dass es kein Inflationsproblem in Europa gibt. Trotz des dramatischen Ölpreisanstiegs haben wir insgesamt eine lächerlich niedrige Inflationsquote. Im Gegenteil: Deutschland ist von einer Deflation bedroht. Auch die Lohnentwicklung ist auf einem historischen Tiefstand. Wenn sie jetzt jede konjunkturelle Belebung erstickt, dann setzt die EZB das alte Bundesbankmotto fort: aus Angst vor dem Tod Selbstmord begehen.

Hat die EZB ein ideologisches Problem?

Die EZB verfolgt eine völlig abstruse monetaristische Theorie, die kaum jemand noch ernst nimmt. Die USA haben sie schon vor 20 Jahren zur Seite gelegt. Die EZB hat sich vergaloppiert und schadet mit ihrer extremen Haltung Europa in ungeheurer Weise.

Was könnte die EZB für den Arbeitsmarkt tun?

Sie könnte sich an der amerikanischen Zentralbank ein Beispiel nehmen. Sie hat die Wirtschaft nach der konjunkturellen Abkühlung 2000 mit deutlichen Zinssenkungen angestoßen. Mit Erfolg: die US-Wirtschaft wächst heute sehr stark.

Schwarz-Rot will die Staatsschulden abbauen, um den Europäischen Stabilitätspakt einzuhalten. Wird das klappen?

Es macht ökonomisch keinen Sinn, Defizitziele zu verfolgen. Die Höhe des Defizits hängt von der Konjunktur ab. Doch die hat niemand in der Hand. Besser wäre es, auf einen stabilen Pfad für die Staatsausgaben zu setzen und dafür zu sorgen, dass sich die Konjunktur beschleunigt. Ein stures Festhalten am Defizitabbau kann das Gegenteil bewirken, weil die Einnahmen des Staates sinken und die Ausgaben des Staates für Arbeitslosigkeit steigen.

Die EZB hat beteuert, keine weiteren Zinserhöhungen folgen zu lassen.

Diese Politik der EZB ist vollkommen unlogisch. Das Signal der Zinswende ist sinnlos, wenn es nicht ernst gemeint ist. Eine minimale Zinserhöhung verhindert keine Inflation. Weitere Zinserhöhungen der EZB wären für die europäische Konjunktur aber tödlich. Eine konsistente Strategie kann ich dahinter nicht erkennen.

INTERVIEW: TARIK AHMIA