DIE FRANZÖSISCHEN PROTESTE GEGEN SOZIALABBAU GEHEN GANZ EUROPA AN
: Die Sorbonne ist nur der Anfang

Barrikaden, Hörsaalbesetzungen und eine Stürmung der Sorbonne durch Gendarmerie und CRS – das hat es seit dem legendären Pariser Mai 68 nicht mehr gegeben. Am Wochenende sind in Paris Dinge geschehen, die Symbolwert haben.

Die Bewegung der StudentInnen, die mehr als die Hälfte der 84 Universitäten Frankreichs erfasst hat, könnte eine Wende in der aktuellen innenpolitischen französischen Lage markieren. Vordergründig richten sich die Proteste gegen das „CPE“ – den „ersten Arbeitsvertrag“. Wer unter 25 Jahre alt ist, kann danach in den ersten beiden Jahren in einem neuen Job täglich und ohne Begründung entlassen werden. Die rechte Regierung behauptet, so die Arbeitslosigkeit bekämpfen zu wollen. Die französische Linke sieht das „CPE“ als Geschenk an die UnternehmerInnen. Es erschwere den Jugendlichen nur den Einstieg ins Berufsleben. Als habe er Öl ins Feuer schütten wollen, setzte Premierminister Dominique de Villepin das Gesetz per Dekret in Kraft – ohne weitere Debatte und Abstimmung. Das ist zwar verfassungskonform, aber voller Verachtung für die gewählten Abgeordneten. Natürlich gibt es besondere französische Umstände: eine hohe und lang anhaltende Jugendarbeitslosigkeit. Mehrere im Hauruckverfahren durchgeführte unpopuläre „soziale“ Gesetze. Und – vor allem – die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr, die längst alles politische Handeln überschatten. Vorwahlkampfzeiten in Frankreich sind Zeiten, in denen relativ kleine Anlässe gelegentlich zu großen Effekten führen.

Dennoch sollten sich die Regierungen der Nachbarländer keineswegs in Sicherheit wiegen. Denn die Proteste in Frankreich richten sich gegen ein Phänomen, das in der ganzen EU grassiert: den gesetzlich organisierten Abbau sozialer Sicherheit für die Beschäftigten bei gleichzeitigen Rekordgewinnen der großen Unternehmen. Mit dieser Politik ist die rechte Pariser Regierung in großer europäischer Gesellschaft. Gerade deswegen könnte jenseits der französischen Grenzen auch das Beispiel der Jugendlichen Schule machen.

DOROTHEA HAHN