Ein freier Mann

Entsetzen in Siegelsbach: Der eines brutalen Banküberfalls verdächtigte und von Zeugen schwer belastete „Mörder“-Bäcker wurde freigesprochen. Staatsanwalt spricht von „krassem Fehlurteil“

von PHILIPP MAUSSHARDT

Ein Jahr und sechs Monate nachdem der Bäcker des Dorfes in der Nähe von Heilbronn (Baden-Württemberg), Alfred B., wegen Mordverdacht verhaftet worden war, hatten die meisten der 1.700 Einwohner nicht mehr täglich an jenen 7. Oktober 2004 denken müssen. Damals war die kleine Kreissparkasse an der Hauptstraße um die Mittagszeit überfallen worden. Der Täter schlug den jungen Bankangestellten nieder und zertrümmerte ihm den Schädel. Als ein Rentnerehepaar die Bank betrat, gab er Genickschüsse auf beide ab. Doch der Bankangestellte und der Rentner überlebten mit schwersten Kopfverletzungen. Der Täter entkam mit 33.514 Euro.

Als die Opfer aus dem Koma erwachten, nannten beide unabhängig voneinander den Dorfbäcker Alfred B. als denjenigen, der sie töten wollte und der die Rentnerin Gisela C. durch einen Genickschuss ermordete. Alfred B. saß seither in Untersuchungshaft und schwieg. Seine einzigen Worte in 35 Verhandlungstagen waren: „Ich war es nicht.“

Seit letztem Freitag befindet sich Siegelsbach wieder im emotionalen Ausnahmezustand. Das Heilbronner Landgericht unter dem Vorsitzenden Richter Wolfgang Bender sprach Alfred B. frei. Nicht etwa aus Mangel an Beweisen, sondern weil das Gericht „davon überzeugt ist, dass Alfred B. nicht der Täter war“. Bei der Urteilsverkündung im Gerichtssaal war der inzwischen wieder genesene Rentner Hermann C. nahe einer Ohnmacht. „Unfassbar“, sagte seine Tochter, sei für ihren Vater dieser Richterspruch und selbst der Staatsanwalt rang nach Worten: Ein so „krasses Fehlurteil“ habe er in seiner beruflichen Karriere noch nicht erlebt. Wortlos verließ der Bäcker mit seiner Verteidigerin den Gerichtssaal als freier Mann.

In seinen Heimatort will er allerdings vorläufig nicht zurück. Die Bäckerei, von den Töchtern nach dem Banküberfall noch einige Tage weiterbetrieben, ging Pleite und ist seither geschlossen. Viele Siegelsbacher haben Angst vor der Rückkehr des als rabiat und jähzornig beschriebenen Mannes. Sie hatten als Zeugen vor Gericht ausgesagt und ihn dabei meist als einen verschlossenen, unnahbaren Mann geschildert.

Nicht nur in Siegelsbach versteht man das Urteil nicht. Alfred B. war von beiden überlebenden Opfern erkannt worden. Die Polizei hatte wenige Tage nach dem Überfall rund 10.000 Euro in nagelneuen Geldscheinen in der Backstube versteckt gefunden. Wenige Stunden nach dem Überfall hatte der Bäcker mehrere tausend Euro an Schulden in bar zurückbezahlt. Eine Waffe, wie sie der Täter verwendete, die aber nie gefunden wurde, war im Besitz des Bäckers. Nur hatte dieser sie schon vor Jahren als „verloren“ gemeldet. Schuhsolenabdrücke von seltenen Jagdstiefeln, wie sie der Bäcker besaß, waren am Tatort sichergestellt worden. Gummireste solcher Stiefel fanden die Ermittler später in einer Feuerstelle im Wald, in deren Nähe Zeugen den Bäcker an jenem Tag gesehen hatten. Brauchte es noch mehr Beweise?

Ja, meinten die drei Berufsrichter und zwei Schöffenrichter. Die Opfer hätten sich schließlich aufgrund ihrer schweren Kopfverletzungen ja auch täuschen können und die Gummireste in der Feuerstelle hätte auch ein böswilliger Mensch dort verstecken können, um den Bäcker zu belasten. Das versteckte Geld könne auch das bei Handwerkern übliche „Schwarzgeld“ sein, ja, überhaupt, nichts Genaues wisse man nicht.

Der Staatsanwalt legte noch am Freitag Revision gegen das Urteil ein: „Vor der nächsten Instanz hat dieser Richterspruch keinen Bestand.“