Die EU kämpft gegen den großen Betrug

Bis zu 60 Milliarden Euro jährlich entgehen den Finanzministern durch die Hinterziehung von Umsatzsteuer

BERLIN taz ■ Nirgendwo ist der Betrug so lukrativ wie bei der Umsatzsteuer: Experten schätzen den Schaden in den EU-Staaten auf bis zu 60 Milliarden Euro jährlich. Allein in Deutschland verliert der Staat jährlich 17 Milliarden Euro, wie der Bundesrechnungshof überschlagen hat. Deshalb wollen sowohl Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) als auch EU-Steuerkommissar László Kovács das System der Umsatzsteuer grundsätzlich umgestalten. Darüber verhandelten gestern die EU-Finanzminister – wobei es freilich bis Redaktionsschluss noch keine Einigung gab.

Betrug mit der Umsatzsteuer fällt findigen Geschäftsleuten auf nationaler wie auch europäischer Ebene heutzutage nicht schwer. Innerhalb eines Landes läuft das Betrugsspiel so: In Deutschland zahlen Firmen die Umsatzsteuer an das Finanzamt, wenn sie Waren verkaufen. Andererseits können sie die Steueranteile beim Finanzamt zurückverlangen, die sie beim Erwerb ihrer Vorprodukte entrichtet haben. Der Trick ist nun, durch fingierte Rechnungen Steuern beim Finanzamt zu kassieren, die nie bezahlt wurden. Mit Scheingeschäften lässt sich also bares Geld machen – auf Kosten der Steuerzahler. Das will die große Koalition in Berlin künftig verhindern.

Finanzminister Steinbrück wird dabei von Österreich unterstützt. Die beiden Länder schlagen vor, die strafanfällige Verrechnung von Umsatzsteuer und entsprechenden Rückzahlungen schlicht abzuschaffen. Die Umsatzsteuer – ab Januar 19 Prozent – soll dann nur noch an einer Stelle fällig werden: beim Verkauf an den Endkunden.

Um das neue Verfahren national einzuführen, brauchten Deutschland und Österreich allerdings eine Ausnahmegenehmigung von EU-Kommissar Kovács. Diese will Kovács jedoch – noch – nicht erteilen. Er hat etwas dagegen, das einheitliche EU-Recht durch nationale Sonderregeln zu verunstalten, die den grenzüberschreitenden Handel erschweren könnten.

Umgekehrt ist Steinbrück nicht einverstanden mit einem Vorschlag, den Kovács eingebracht hat. Der EU-Kommissar will die zweite Variante des Betrugsspiels bekämpfen – im transnationalen Handel. Waren werden heute innerhalb der EU umsatzsteuerfrei exportiert und erst im Zielland mit der Steuer belegt. Auch das machen sich trickreiche Firmen schnell zunutze. Sie tun so, als hätten sie die steuerfrei importierte Ware bereits versteuert und reduzieren so ihre Abgaben beim heimischen Finanzamt. Kovács will nun, dass die Umsatzsteuer bei Exporten in jedem einzelnen Land erhoben wird. Diese grenzüberschreitende Besteuerung hält Steinbrück jedoch für viel zu kompliziert. Bis zur Einigung dürfte noch einige Zeit verstreichen. HANNES KOCH