Ausbruch in den Tod

Nach dem Selbstmord dreier Insassen wird die Kritik an den Haftbedingungen in Guantánamo wieder lauter

Die Anwälte der Häftlinge sprechen von einem Vorfall in „einer langen Reihe von Verzweiflungstaten“

von BEATE SEEL

Es war am Samstag kurz nach Mitternacht, als einer der Wärter im US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba in einer Zelle einen Häftling entdeckte, der sich erhängt hatte. Andere Wärter und ein Ärzteteam versuchten, den Mann zu retten, aber sie kamen zu spät. Anschließend fanden sie zwei weitere Gefangene, die sich in nahe gelegenen Zellen ebenfalls erhängt hatten. Bei den Toten, die Abschiedsbriefe auf Aarabisch hinterließen, handelt es sich um zwei Saudis und einen Jemeniten. Sie hatten sich aus Kleidungsstücken und Bettlaken erst Stricke und dann Schlingen angefertigt.

Diese Informationen gab Lagerkommandant Harry Harris später am Tag bekannt. Lau Berichten der New York Times und der Washington Post ist einer der Toten ein mittel- oder hochrangiges Al-Qaida-Mitglied gewesen, einer in Afghanistan gefangenen genommen worden und der dritte Mitglied einer Splittergruppe gewesen. Alle drei hätten sich an Hungerstreiks beteiligt und seien zwangsernährt worden. Harris wies darauf hin, dass es unter den Gefangenen einen „mystischen“ Glauben gebe, wonach drei von ihnen sterben müssten, damit die anderen aufgrund internationalen Drucks freikämen.

Es handelt sich bei den Vorfällen nach US-Angaben um die ersten Selbstmorde in Guantánamo seit der Eröffnung des Lagers Anfang 2002 nach dem Ende des Afghanistankrieges (siehe Kasten). Nach offiziellen Berichten hat es aber insgesamt 41 Selbstmordversuche von 25 Gefangenen gegeben. Dutzende von ihnen nahmen an Hungerstreiks teil, um gegen ihre unbefristete Inhaftierung zu protestieren und ihre Freilassung zu erreichen. Laut amtlichen Angaben verweigerten vergangene Woche noch 18 Gefangene die Nahrungsaufnahme, nachdem ihre Zahl Anfang Juni zwischenzeitlich auf 89 gestiegen war.

Für Kommandant Harris handelt es sich bei den drei Selbstmorden nicht um Akte der Verzweiflung, sondern um eine geplante Aktion im „asymmetrischen Krieg gegen uns“. US-Präsident George W. Bush äußerte sich „ernsthaft besorgt“ über den Vorfall. Er erklärte, die Leichen müssten mit Respekt und gemäß der Kultur der Verstorbenen behandelt werden. Mitarbeiter des US-Außenministeriums nahmen Kontakt zur jeminitischen und saudischen Regierung auf.

Die Behörden in Saudi-Arbien äußerten jedoch Zweifel an der Todesursache der Häftlinge. Der Sprecher des Innenministeriums, Mansur al-Turki, sagte gestern, die Männer könnten gefoltert worden sein. Ein selbst ernannter Sprecher der radikalislamischen Taliban sagte, er glaube nicht, dass die drei Männer Selbstmord verübt hätten. Kein Muslim, kein Mudschaheddin würde das tun, so Mohammed Hanif. Vielmehr hätten die US-Wärter die drei Männer umgebracht.

Die Selbstmorde in Guantánamo kommen zu einem Zeitpunkt, zu dem die Kritik der UNO, mehrerer europäischer Regierungen und von Menschenrechtsorganisationen an den Zuständen in dem Lager und die Forderung nach seiner Schließung lauter wird. Zuletzt hatte sich am Freitag der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen für die Schließung des Lagers ausgesprochen. Die Bundesregierung verlangte gestern von den USA die Aufklärung der Todesumstände. Das US-Militär kündigte eine Untersuchung an.

Das Zentrum für Verfassungsrechte (CCR) in New York, dessen Anwälte sich um mehr als 200 Inhaftierte in Guantánamo kümmern, konnte zunächst nicht sagen, ob es sich bei den Toten um seine Mandanten handelt. Es sprach vom einem Vorfall „in einer langen Reihe von Verzweiflungstaten“. Anwälte in den USA weisen seit Jahren darauf hin, dass der fehlende Kontakt zu den Angehörigen das Problem der Isolation verschärft. Die Gefangenen dürfen normalerweise keine Telefongespräche führen und haben nur unregelmäßigen Kontakt zu ihren Anwälten. Zwei Gefangene haben versucht, sich mit gehorteten Antidepressiva das Leben zu nehmen. (mit Agenturen)