„Nutella-Eckfahne? Dann bin ich weg!“

Radiomoderator Manni Breuckmann wünscht sich eine WM mit weniger Kommerz und besseren Spielen. Dem aufkommenden Patriotismus seiner Landsleute prophezeit er ein rasches Ende

INTERVIEW LUTZ DEBUS
UND HOLGER PAULER

taz: Herr Breuckmann, in der Talkshow Sabine Christiansen haben Sie gesagt, dass der „Kommerz immer mehr Besitz ergreift“ und bei der WM „die Seele des Fußballs verkauft“ werde. Sind Sie ein Miesmacher?

Manni Breuckmann: Ein Kollege meinte nach dem Spiel Deutschland-Polen: „Heute ist nicht der Tag der Kritik, heute ist der Tag des Feierns“. Das ist sehr gefährlich. Ich feiere gerne. Als Neuville das 1:0 erzielt hat, habe ich geschrien wie am Spieß. Aber ich lasse mich nicht davon abbringen, dass ich auch die kritischen Punkte erwähne. Ich bin in erster Linie Journalist und nicht Fan. Von den normalen Fußballfans habe ich übrigens sehr viel Zustimmung erhalten. Die fanden es gut, dass ich mich mit Fedor Radmann, dem Berater des Organisationskomitees angelegt habe.

Die WM macht Ihnen keinen Spaß?

Aber sicher doch. Wenn mir diese phantastische Stimmung in den Stadien, speziell beim Spiel Deutschland-Polen, keinen Spaß machte, hätte ich den Beruf verfehlt. Trotzdem: FIFA und Veranstalter sind drauf und dran, dem Fußball die Seele zu rauben. Ein Drittel der Karten ging in den freien Verkauf. Alle wollen, dass in den Stadien eine Wahnsinnsatmosphäre herrscht. Aber beim Eröffnungsspiel in München zum Beispiel war es relativ ruhig auf den Rängen. Und das liegt auch am Ticktetverkauf.

Hat sich die negative Entwicklung in diesem Jahr beschleunigt?

Es ist ein stetiger Weg, der da beschritten wird. In vier Jahren in Südafrika wird es wahrscheinlich noch verrückter werden. Ein Beispiel für den Verfolgungswahn der FIFA: Eine Kollegin musste das Etikett ihrer Wasserflasche entfernen, weil darauf nicht der offizielle Sponsor stand.

Warum ist das Interesse dennoch so groß?

Der Fußball ist in Deutschland tief verwurzelt. Den bekommt man so schnell nicht kaputt. Das dauert Jahrzehnte. Natürlich hoffe ich, dass es nicht so weit kommt. Die Fans wollen den Fußball. Aber es gibt auch viele, die vor allem das Event sehen und von Viererkette oder Abseits keine Ahnung haben.

Was ist ihre düsterste Zukunftsvision?

Es gab ja schon vergebliche versuche, das Spiel in Drittel aufzuteilen, wie beim Eishockey. Wenn die Eckfahne irgendwann „Nutella-Eckfahne“ heißt und ich das auch noch sagen muss, höre ich auf.

Haben Sie deshalb Ihre Fernsehkarriere beendet?

Da gibt‘s andere Gründe, außerdem sind das immer nur Ausflüge zum Fernsehen, ich bin und bleibe ein Radio-Mann. Ich habe zwei Jahre „Sport im Westen“ im WDR Fernsehen moderiert. Ich hab mich dort aber nicht wirklich wohl gefühlt. Mich störte die körperliche Inszenierung. Laufwege, Gesten und Mimik. Alles wird vorgezeichnet. Im Radio kann ich mich benehmen wie ich will und muss mir nicht schon morgens die Klamottenfrage stellen.

Aber das Radio spielt bei der WM doch nur eine Nebenrolle?

Das Radio ist schon voll dabei. Bei der WM sind wir allerdings nur das Ergänzungsmedium. Die Fußball-WM ist ein Fernsehereignis. Aber das Radio ist immer ein paar Sekunden schneller als der Fernseher. Das 1:0 von David Beckham gegen Paraguay hatte ich schon über den Äther geschickt, bevor es die Millionen an den Fernsehgeräten gesehen haben. Wenn jemand als erster die Tore mitbekommen will, muss er das Radio einschalten. Wichtiger ist halt die Bundesliga. Samstagnachmittag ist die Konferenzschaltung nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Berichterstattung. Die Live-Übertragung hat eine enorm hohe Zuhörerzahl, um die vier Millionen bundesweit.

Von der Bundesliga gibt es nur Kurzeinblendungen von 60 bis 90 Sekunden. Wie schwer ist die Umstellung, wenn Sie jetzt ein komplettes Spiel übertragen müssen?

Für einen alten Sack wie mich ist es kein Problem. Ich bin damit aufgewachsen. Jüngere Kollegen haben da größere Probleme. Allerdings sitzen wir zu zweit am Mikrofon. Es ist ein Gefühl des gegenseitigen Stützens. Wenn ich keine Lust mehr habe, nach zwei, drei Minuten, haue ich meinen Nebenmann an, dann macht der halt weiter.

Gibt es Kollegen, bei denen das nicht so gut funktioniert?

Es gibt schon Unterschiede, wie immer im Leben. Es gibt aber keinen Stinkstiefel unter meinen Kollegen.

Haben Sie noch Angst, dass Sie eine Situation vergeigen?

Falsche Torschützen sind sehr beliebt. Ich habe auch schon ein Tor gefeiert welches keines war. Es gibt auch Haspler. Das hängt von der Tagesform ab. Nach den ersten Einblendungen weiß man aber, ob man auf Sicherheit spielen muss oder nicht.

Können Sie sich in Ihrer Freizeit vom Fußball lösen?

Ich schaue mir privat kaum Fußballspiele an. Natürlich werde ich immer als Sportreporter identifiziert. Bei den aktuellen Magazinen, die ich auch moderiere, sind die Themen breit gestreut: Das geht vom Terrorprozess bis zum Rosenmontagszug.

Kann man der WM auch als „Linker“ etwas abgewinnen, vielleicht unter dem Aspekt des Internationalismus?

Welch ein großes Wort. Die Internationalität ist schon faszinierend. Auf der Kommentatorentribüne sitzt links der brasilianische Kollege, der auch ohne Leitung in seiner Heimat zu verstehen wäre, rechts der Schweizer, der etwas ruhiger spricht, dahinter die Engländer mit ihren alten, traditionalistischen Oberlippenmikros, die sie seit zig Jahren bei jeder WM aufbauen und separat anschließen. Dazu kommen Fans aus aller Herren Länder: 40.000 besoffene Engländer in Frankfurt; und alle friedlich.

Wie finden Sie die Deutschlandfahnen an bald jedem Auto, in jedem Fenster?

Das ist nicht neu. Es fing bei der Relegation zur WM 2002 in Dortmund gegen die Ukraine an. Mir fehlt die richtige Beziehung. Ich bin weit entfernt von nationalem Überschwang. Ich glaube auch, dass man eine Fußballmannschaft unterstützen kann, ohne die Hand aufs Herz zu legen. Das ist nicht meine Welt. Solange aber kein aggressiver Nationalismus draus wird, ist die Sache in Ordnung.

Wo ist die Grenze?

Patriotismus wird damit verbandelt, dass man alles kritiklos hinnehmen muss. Wer keine positive Einstellung hat, wird ausgegrenzt. Bild schrieb: „Und dann kommen diese Nörgler“. Weil sich Dieter Hildebrand und Heiner Geißler negativ über die schwarz-rot-gold Orgie geäußert haben. Die werden sofort in die Pfanne gehauen. So verliert das etwas von seinem unaggressiven Charakter.

Empfinden Sie die Entwicklung als bedrohlich?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe meine Zweifel, dass sich jemand mit einer schwarz-rot-goldenen Irokesenperücke als Patriot outen möchte. Der will nur vier Wochen Party machen. Wenn der Papst demnächst wieder vorbeischaut, schwenkt er die Vatikanflagge. Nach dem 9. Juli wird das schlagartig vorbei sein. Es ist nichts Nachhaltiges. Das Jubilieren der konservativen Politiker und Historiker kommt zu früh.

Wie schätzen Sie das DFB-Team ein? Durch die beiden Siege herrscht Euphorie im Land.

Ich habe Hoffnung, weil viele Favoriten bislang nur Schrott gespielt haben. Brasilien, England oder Frankreich konnten kaum überzeugen. Für ein Urteil ist es allerdings zu früh. Die Argentinier und die Spanier haben mich allerdings schon jetzt sehr beeindruckt. Die WM beginnt aber erst im Achtelfinale. Das aufgeblähte Programm mit 32 Teams trägt nicht zur Qualitätssteigerung bei.

Wie beurteilen Sie die „Klinsmannisierung“ des Fußballs in Deutschland?

Ich kann der Sache schon einiges abgewinnen. Allein der Wechsel Odonkor gegen Friedrich. Stürmer rein, Verteidiger raus. Unter Rudi Völler hat es so etwas nicht gegeben. Die offensive Ausrichtung ist schon okay. Aber das amerikanische Motivations-Voodoo-Ritual, bei dem der Vorsänger ruft „Wir sind ein...“ und alle antworten: „Team“ wirkt eher lächerlich.

Wer wird Weltmeister?

Fragen Sie mich in drei Wochen.

* Die Zitate stammen aus der Sendung „SABINE CHRISTIANSEN“ (ARD, 4. Juni)