Das große Hoffen

VON HANNES KOCH

Wird ein hoher Beamter der Bundesregierung gefragt: „Kommt der Staat zu meinen Lebzeiten irgendwann ohne neue Schulden aus?“ Die Antwort: „Bleiben Sie möglichst lange gesund!“ Dies ist die Umschreibung der Finanzlage des Landes: Ein bisschen weniger schlimm, aber immer prekär.

Gestern verabschiedete das Bundeskabinett den Bundesetat für das Jahr 2007. Darin verborgen ist ein schwarzes Loch. Es umfasst rund 38 Milliarden Euro, also etwa 15 Prozent des gesamten Haushaltes. 38 Milliarden – das ist die Differenz zwischen den regulären Einnahmen aus Steuern und anderen Quellen und den geplanten Ausgaben (268 Milliarden Euro). Das Defizit ist kleiner als im laufenden Jahr. Gedeckt werden soll es durch neue Schulden in Höhe von 22 Milliarden Euro, den Verkauf von Bundesvermögen und so genannten Einmal-Maßnahmen (siehe unten). Auf dem Papier will Steinbrück das Kriterium des europäischen Maastricht-Vertrags – maximal 3 Prozent Neuverschuldung im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt – wieder einhalten und gleichzeitig mehr Geld für Investionen ausgeben als neue Kredite aufzunehmen. Das schreibt das Grundgesetz vor. Eine erhebliche Lücke bleibt aber trotzdem – und niemand scheint zu wissen, wie man sie in den kommenden Jahren entscheidend reduzieren kann.

Das war schon unter Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) so, und das wird sich unter Peer Steinbrück nicht ändern. Jedes Jahr aufs Neue spiegelt der Etatplan, der im ehemaligen Reichsluftfahrt-Ministerium an der Berliner Wilhelmstraße entsteht, die Unausgewogenheit der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Zum einen fehlt das Wirtschaftswachstum, das den Haushalt ganz schnell in die schwarzen Zahlen bringen könnte. Dass das möglich ist, haben die Regierungen beispielsweise Schwedens und Finnlands in den 1990er-Jahren vorgemacht. Dort erreichten die Staatsdefizite zeitweise 7 Prozent der Wirtschaftsleistung. Durch einen konsequenten Modernisierungsmix gelang es den Regierungen aber, das Wachstum zu beschleunigen, mehr Steuern zu generieren und die Etats zu sanieren.

Manche der deutschen Reformen gehen zwar in eine ähnliche Richtung, doch nahezu alle Ökonomen prognostizieren einen Rückgang des Wachstums im kommenden Jahr. Denn sowohl die Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte zum 1. Januar 2007 als auch die geplante Anhebung der Renten- und Krankenkassen-Beiträge entziehen Bürgern und Unternehmen Dutzende Milliarden Euro. Dieses Geld wird nicht in den Geschäften ausgegeben und auch nicht investiert – das Wachstum fällt geringer aus, als es sein könnte.

Und trotzdem fehlt dem Bund die Kraft, ordentlich zu investieren. Nur mit Mühe bleiben die Investionen (23,5 Milliarden Euro) über der Summe der neuen Schulden. Insgesamt – darauf ist Steinbrück stolz – steigen die Ausgaben des Bundes mit plus 0,2 Prozent nur minimal. Die Staatsquote des öffentlich umverteilten Geldes liegt 2007 mit 45 Prozent historisch niedrig. Das ist nicht nur weniger als in Skandinavien. Auch Holland, Österreich und Großbritannien leisten sich einen stärkeren Staat.

Massive Investitionen in Bildung – ein Geheimnis des schwedischen Wirtschaftswunders – sucht man in Deutschland deshalb vergebens. Wovon sollte Steinbrück das auch bezahlen? Die Steuereinnahmen liegen heute noch knapp unter dem Niveau des Jahres 2000 – ein Ergebnis der sagenhaften Senkung der Einkommensteuer unter Rot-Grün.