Unmut über die linke Galionsfigur

ROSTOCK taz ■ Eine Fraktionsklausur der Linken am sonnigen Ostseestrand in Rostock-Warnemünde, während die anderen Parteien in Berlin über der Gesundheitsreform schwitzen – na klar, das sind Bilder, die das Fernsehen braucht. Ist Oskar Lafontaine im Wahlkampf nicht monatelang als „Luxuslinker“ beschimpft worden? Also hat die Fernsehfrau vom ZDF Lafontaine mit der Kamera verfolgt, als er gestern Morgen in die Ostsee stieg – und fertig war die Geschichte. „Die Reise nach Rostock hat sich gelohnt“, sagte die Fernsehfrau anschließend ganz stolz. „Wir haben Lafontaine beim Baden.“ Na bitte. Glückwunsch!

Für die 53 Abgeordneten der Bundestagsfraktion hat sich die Reise auch gelohnt. Sie hatten Lafontaine beim Debattieren, und das reichlich. Der Fraktionschef stand im Mittelpunkt der dreitägigen Klausur im noblen Hotel Neptun. In der Linkspartei.PDS macht sich nämlich zunehmend Unmut über die Galionsfigur der neuen Linken breit. Der Anlass dazu ist die Fusion aus Linkspartei.PDS und WASG, die Mitte 2007 über die Bühne gehen soll, obwohl beide Parteien sich in vielen politischen Kernfragen nach wie vor uneinig sind. Lafontaine hat zur programmatischen Klärung Anfang Juni ein „Gründungsmanifest“ für eine neue Linke vorgelegt. Es ist zwar von sechs Spitzenpolitikern beider Parteien, unter ihnen Gregor Gysi, Lothar Bisky und Klaus Ernst, unterzeichnet worden, stammt aber weitgehend aus der Feder des EX-SPD-Chefs.

In der PDS weiß man sehr genau um die Genese des Programmpapiers, deshalb konzentriert sich die Kritik auch auf Lafontaine – und kann doch nur sehr vorsichtig geäußert werden, weil hinter jedem PDS-Angriff auf das „Manifest“ die Gefahr lauert, gleichzeitig die eigenen Führungsfiguren zu beschädigen. So haben führende PDS-Realos um Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und Fraktionschef Wulf Gallert aus Sachsen-Anhalt pünktlich zur Fraktionsklausur ein Papier in die Öffentlichkeit lanciert, das als eine Art Anti-Lafontaine-Programm gedacht ist, es aber offiziell nicht behaupten kann. So kommt es als „Aufruf aus der PDS zur neuen deutschen Linkspartei“ daher.

Die Kritik an Lafontaine muss man mühsam herausfiltern. Das Papier erklärt das Versagen von „Reformpolitik“ unter anderem aus der „alleinigen Verantwortungszuweisung an den Staat“ – eine indirekte Absage an die Rufe des Fraktionschefs nach einem starken Staat und einer rigiden Antiprivatisierungspolitik. Die PDS-Realos unterstreichen, die Überwindung des Neoliberalismus sei eine „Frage praktischer Politik“, sie erinnern deswegen an ihre „Parlaments-, Regierungs- und Verwaltungserfahrung“ in Ostdeutschland – ein „großer Vorteil“, den man sich hart erarbeitet habe.

Offiziell gibt sich Lafontaine angesichts dieses Widerspruchs ganz gelassen. Es gebe keinen einzigen Satz, den er nicht unterschreiben könnte, behauptet er. Hinter verschlossenen Türen jedoch ging er seine Kritiker hart an. „Wenn Herbert Wehner ein wichtiges Papier vorgelegt hat, dann erlaubte sich ein junger Landeschef keine Kritik daran“, klärte Lafontaine die Genossen auf. Er stellte klar, dass er nicht einen einzigen Gedanken des PDS-Papiers überhaupt für diskussionswürdig halte.

Dieses Abmeiern hat die Befürchtungen der PDS-Realos über den großen Parteiführer eher bestätigt. „An Lafontaine prallt alles ab“, sagt einer seiner Kritiker. „Er ist bereits im Besitz der absoluten Wahrheit.“

JENS KÖNIG