Forscher: Staatsreform verfehlt Ziel

Heute soll der Bundesrat die Föderalismusreform absegnen. Ein Ziel: Der Staat soll schneller Gesetze verabschieden können. Eine neue Studie ergibt aber, dass das nur ein Wunschtraum ist. Die Vetomacht der Länder wird nicht so beschränkt wie erhofft

Die Forscher sehen eine „systematische Fehleinschätzung“ des Reformeffekts

VON GEORG LÖWISCH

Die bevorstehende Verfassungsreform wird die Politik in Deutschland nicht beschleunigen und damit ein Hauptziel verfehlen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des angesehenen Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung. „Eine signifikant kürzere Gesetzgebungsdauer ist von den vorgeschlagenen Änderungen nicht zu erwarten“, heißt es in der noch unveröffentlichten Studie, die der taz vorliegt. Zwar würden Blockademöglichkeiten in erheblichem Maße gelöst, aber doch in geringerem Umfang als erhofft.

Erklärtes Ziel der Föderalismusreform ist es, die Zuständigkeiten von Bund und Ländern zu entflechten. Der Bund tritt Kompetenzen etwa bei Bildung, Beamtenrecht oder Strafvollzug an die Länder ab, im Gegenzug verzichten die Länder auf Vetorechte im Bundesrat. Nach den Worten von Kanzlerin Angela Merkel sollen die Gesetzgebung beschleunigt und die Kompetenzen klarer den verschiedenen staatlichen Ebenen zugewiesen werden. So soll der Bürger wissen, wer wofür die Verantwortung trägt. Am heutigen Freitag soll der Bundesrat die Verfassungsänderung verabschieden.

Argumentationsgrundlage der Reformanhänger war eine Studie des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Dieser hatte untersuchte, wie viele Gesetze von 1998 bis 2005 die Länder nach den neuen Regeln der Föderalismusreform hätten blockieren können. Das Ergebnis: Die Vetomacht hätte sich von über 50 auf rund 25 Prozent aller Gesetze halbiert. Die Reformanhänger hoffen, dass das die Politik beschleunigt: Was nur durch den Bundestag und nicht durch einen oft von der Opposition beherrschten Bundesrat muss, kann schneller beschlossen werden.

Dieser Erwartung widersprechen Simone Burkhart und Philip Manow vom Kölner Max-Planck-Institut. Die Opposition habe weiter Mittel, Gesetze zu verschleppen, etwa durch Ausschusssitzungen im Bundestag. Im Bundesrat blieben ihr trotz Föderalismusreform die so genannten Einspruchsgesetze. Bei ihnen kann die Länderkammer Einspruch erheben, doch letztlich kann der Bundestag sich über dieses Nein hinwegsetzen. Aber: Auch bei Einspruchsgesetzen können die Länder ein langwieriges Vermittlungsverfahren verlangen und ein Projekt verschleppen. Berücksichtige man dies, schreiben die Forscher, „erscheinen Hoffnungen auf eine generelle Beschleunigung der Gesetzgebung trügerisch.“

Für einige Bereiche prophezeit das Gutachten gar eine „deutlich längere Gesetzgebungsdauer“. Das betrifft beispielsweise Naturschutz, Hochschulabschlüsse oder Wasserhaushalt. Hier können die Länder von Vorschriften des Bundes abweichen. Damit sie Zeit haben, solche „Abweichungsgesetze“ zu erarbeiten, tritt das jeweilige Bundesgesetz künftig immer erst sechs Monate nach seiner Verabschiedung in Kraft.

Strittig bei der Reform ist auch, ob die Vetomacht der Länder wirklich beschränkt wird. Bisher können sie im Bundesrat blockieren, wenn ihre Länderbehörden ein Gesetz ausführen müssen. Künftig sollen sie dieses Vetorecht nicht mehr haben und dafür die Ausführung selbst in die Hand nehmen können. Besteht der Bund darauf, die verwaltungstechnischen Details zu regeln, behalten die Länder ihr Vetorecht.

An diesem Punkt sehen die Kölner Forscher eine „systematische Fehleinschätzung“ des Reformeffekts. Die positiven Prognosen gingen davon aus, dass der Bundestag die Länder künftig immer die Details regeln lässt und somit kein Vetorecht besteht. Das sei aber „eine heroische Annahme.“ Gleichzeitig könnte – je nach Rechtsauslegung – ein neu geschaffenes Vetorecht „systematisch unterschätzt“ worden sein: Der Bundesrat soll künftig auch Nein sagen dürfen, wenn ein Bundesgesetz die Länder zu Geld-, Sach- oder Dienstleistungen an Dritte verpflichtet. „Es besteht die große Gefahr, dass sich diese Regelung als das neue Einfallstor für das gesetzgeberische Mitspracherecht (und damit politische Blockierungsrecht) der Länder erweisen wird.“

Dass sich die Zahl der Gesetze, die der Bundesrat blockieren kann, halbieren wird, ist nach der Kölner Studie unrealistisch. Gleichwohl werde der Einfluss des Bundesrats sinken, auch bei umstrittenen Gesetzesvorhaben. „Der Rückgang der Zustimmungspflicht wird vermutlich am geringsten in der Finanzpolitik, am stärksten in der Sozialpolitik spürbar werden.“ Allerdings: Der Trend zur Steuerfinanzierung von Sozialleistungen könnte diesen Effekt wieder abschwächen.