Berliner Siebdrucker drängen in die Boutiquen

Berlin gilt als Hauptstadt des handbedruckten T-Shirts. Viele kleine Modefirmen halten sich so mit ihrer Kreativität über Wasser. Flohmärkte gelten als Experimentierfeld für den Verkaufserfolg. Manche Labels schaffen es zu Modemessen wie der „bread & butter“, die am Wochenende stattfindet

VON NINA APIN

Der Flohmarkt auf dem Boxhagener Platz ist seit Jahren eine erstklassige Adresse für skurrilen Berlin-Schick. Zwischen angestaubtem Hausrat, Hippie-Zubehör und Altklamotten jagen Touristen und Hipster nach 70er-Jahre-Sonnenbrillen, einem originalen Mitropa-Kaffeeservice oder T-Shirts. Längst hat sich der kleine Sonntagsmarkt in Friedrichshain auch als Markt für schicke Neutextilien einen Namen gemacht. Wer ein originelles T-Shirt made in Berlin sucht, kommt hierher, wo eine wachsende Szene junger Kreativer handgemachte Kleinstkollektionen feilbietet.

Die Shirts decken die ganze Palette des hauptstädtischen Lebensstils ab. Längst sind es nicht nur alternative Künstlerkollektive, die mit antikapitalistischen Botschaften bedruckte Second-Hand-Kleider feilbieten. Neben lokalpatriotischen Kinderstramplern mit dem Aufdruck „Klein, gemein und aus Friedrichshain“ kann man selbstgeschneiderte Kleider mit zarten Blumenmotiven und andere künstlerisch hochwertige Designware kaufen.

Der T-Shirt-Markt boomt. Viele der Kreationen vom Boxhagener Platz – von Grafikern, Künstlern oder Modestudenten zu Hause entworfen und in Handarbeit produziert – sieht man auch in kleinen Boutiquen hängen. Oder in der Berliner Jungdesignerecke der Modemessen, wie die fragilen, handgezeichneten Motive von „Stoff“.

Hinter dem Kleinstlabel stecken der norwegische Maler Kristoffer Storjohann und der dänische Fotograf Brian Larssen. Die Motive, Berliner Straßenpanoramen und zarte Strichmännchen, malt Kristoffer auf Papier, manchmal nach einem Fotomotiv von Brian. Zusammen brennen sie das Motiv in ein mit lichtaktiver Substanz beschichtetes Sieb und drücken dann die Farbe durch die offenen Stellen durch das Siebgewebe direkt auf das T-Shirt. Das Motiv wird durch Bügeln fixiert, das Sieb nach jedem Durchgang in der Badewanne von Brians Weddinger Wohnung ausgewaschen: Siebdruck im Handverfahren ist leicht zu erlernen und erfordert weder eine eigene Werkstatt noch große finanzielle Investitionen. „Anfangs bastelten wir unsere Siebe selbst aus Holzleisten und Gewebe“ sagt Kristoffer, „die große Nachfrage hat uns überrascht.“

Inzwischen haben sie in ein Druckkarussell investiert, an dem sie mehrere T-Shirts gleichzeitig bearbeiten können, 60 bis 80 Stück pro Woche. Die „Stoff“-Shirts, die im Verkauf 15 Euro kosten, gelten in Paris und London als Geheimtipp. Kristoffer und Brian suchen bereits nach geeigneten Räumen für Werkstatt und Laden. Doch als Testmarkt bleibt der Boxhagener Platz für die frischgebackenen Designer unverzichtbar. An Kleinstauflagen können sie direkt am Kunden testen, wie Motive ankommen, und flexibel reagieren. Die erste Erkenntnis: Trendbewusste junge Leute legen nicht nur Wert auf originelle Motive, sondern auch auf Textilqualität. „Wir verwenden nur hochwertige Shirts mit guter Passform, die unter menschenwürdigen und umweltfreundlichen Bedingungen hergestellt werden“, sagt Kristoffer.

Auch Tobias Herrmann vom Stand um die Ecke verwendet ausschließlich die mit 5 Euro Einkaufspreis relativ teuren Shirts der amerikanischen Ökokette American Apparel. „Politische Korrektheit darf ruhig was kosten“, sagt der Grafikstudent, der mit seinem Freund Martin Krusche zusammen das Label „Yackfou“ betreibt. Unter den knallbunten und mehrfarbigen Motiven sind zwar keine Fernsehtürme, aber der unbekümmert-knallige Stil ist trotzdem typisch berlinerisch. Etwa 5.000 Stück verkaufen „Yackfou“ auf Märkten, in Läden und ihrem Online-Shop. Das Label ist auf dem Sprung in die Kommerzialität: Ein Praktikant hilft beim Verschicken, Tobias’ Freundin näht die Logos in den Kragen ein. „Wir können bereits zur Hälfte davon leben“, sagt Tobias. Den Druck übernimmt die Textilsiebdruckerei „Imprenta“ in Kreuzberg, die auf kleine und künstlerisch anspruchsvolle Kunden spezialisiert ist.

„Wir können fast alles drucken“, sagt Luis Enrique Drews Albano, der auch die Kreationen bekannter Berliner Designermarken wie „Kazik“, „Volksmarke“, „Potipoti“ oder „Look 54“ druckt. Wie die meisten seiner Kunden führt Drews einen Kleinstbetrieb: Eine Mitarbeiterin hilft bei Grafik, Repro und Geschäftsabwicklung, den Druck für seine etwa 40 Auftraggeber erledigt er ganz alleine. Der gebürtige Uruguayer ist wegen seiner handwerklichen Präzision und Improvisationskunst besonders bei Modemachern gefragt. Vom hochauflösenden Rasterdruck auf die Kante eines Unterkleids bis zur haargenauen Platzierung eines Ornaments auf einer Hosennaht erfüllt er alle Wünsche und berät sachkundig über die richtige Stoff- und Farbauswahl. Gegen seine Kombination aus professioneller Werkstattausrüstung und zwanzig Jahren handwerklicher Erfahrung kommen weder Hobbysiebdrucker noch Großdruckereien an. In Uruguay druckte Drews noch selbstgemischte Farbe durch Damenstrümpfe, hier kann er von den Aufträgen für die hauptstädtische Designszene ganz gut leben.

Doch Geld ist für den Urugayer, der wie viele Siebdrucker aus politischen Zusammenhängen kommt, nicht das wichtigste. Politische Flugblätter und Plakate wie zur Zeit der Militärdiktatur druckt Drews schon lange nicht mehr. „Es ist befriedigend, mit meinem Handwerk die Kreativität junger Leute zu fördern“, sagt er und unterscheidet drei Erfolgsmodelle: „Berlinmotive für Touristen, Künstlerisches und junge Mode“. Mit dem Geld, das er mit den Berliner Kreativen verdient, unterstützt er soziale Druckprojekte in seiner Heimat. „Siebdruck fördert das Selbstbewusstsein“, sagt Drews, der schon eine Druckwerkstatt in einem Problemviertel von Montevideo betrieb, „jeder kann ein Erfolgserlebnis mit etwas Selbstgemachtem haben.“

Auch eine neue Generation von Siebdruckern hat das demokratische Potenzial handbedruckter T-Shirts erkannt und zum Geschäftsmodell gemacht: Im Internet wachsen Online-Shops, wo man sich sein individuelles T-Shirt aus vorhandenen oder selbst entworfenen Motiven entwerfen kann. Die Online-Werkstatt „Spreadshirt“, die auch einen Laden in Friedrichshain betreibt, bietet Kreativität für jedermann. Wer gute Ideen hat, kann seine Kreationen im eigenen Online-Shop zum Kauf feilbieten. Ladenmiete entfällt, den Druck erledigen die Siebdruck-Profis von „Spreadshirt“, die anteilig an jedem Shirt verdienen. Auf www.derbz.com kürt die Internetgemeinde das T-Shirt des Monats, das im „Spreadshirt“-Laden in Friedrichshain erworben werden kann.

Echte Werkstattluft kann man bei „rutland handprint“ in der Veteranenstraße schnuppern, sich eine individuelle Farbe anrühren lassen und beim Druck zusehen. Wer aber ein wirklich unverwechselbares T-Shirt will, sollte sich im Fachhandel mit Material ausstatten und selbst zu Hause loslegen. In den eigenen vier Wänden beginnen bekanntlich die größten Erfolgsgeschichten des Berliner Designs.