Du kannst nicht immer kriegen, was du willst

In der DDR waren die Rolling Stones Kult – weil ihre Platten so unerreichbar waren. Coverbands tragen heute den Mythos der Rebellion weiter, auch wenn das Original schwächelt. Ein krisenfestes Geschäft: Sowohl junge Menschen als auch Rock-’n’-Roll-Opas tanzen gern zur Musik der Nachahmer

Bei „Honky Tonk Women“ imitiert Martin Weigel obszöne Gesten …… und lächelt dann wieder unschuldig hinter seinen langen braunen Haaren

Mike ist Mick. Keith ist er auch noch. Auch Martin ist Mick, er trägt aber ein T-Shirt mit dem legendären Spruch, den Keith Richards auf der US-Tournee der Rolling Stones 1975 spazieren trug: „Who the fuck is Mick Jagger?“ Mike Kilian und Martin Weigel kennen sich nicht. Doch sie tun dasselbe. Sie machen die Stones nach. Kilian, 44, lebt in Berlin, war in der DDR mit Rockhaus so etwas wie ein Star und ist heute hauptsächlich Sänger und Gitarrist der Berliner Band Starfucker. Eine Stones-Coverband. Sie nennen sich selbst die „beste Rolling Stones-Show der Welt“. Beschwert hat sich über die Dreistigkeit noch niemand. Weder Jagger und Richards noch Martin Weigel.

Der 25-Jährige singt und spielt Gitarre bei Dirty Mac aus dem brandenburgischen Belzig. Seit zehn Jahren covert auch er die Stones. Sie haben als Schülerband angefangen, im Keller des Belziger Jugendzentrums „Pogo“, landeten schnell beim Erbe von Jagger/Richards und kamen davon nicht los. Kürzlich feierten sie ihr zehnjähriges Bandjubiläum mit einem Festival in ihrem Heimatstädtchen. „Vielen Dank, dass ihr alle so zahlreich in die Belziger Waldbühne gekommen seid“, ruft Martin zum Intro von „Everybody Needs Somebody“ ins Publikum.

Die Belziger „Waldbühne“ hat wenig vom Berliner Original, das nach dem Stones-Konzert 1965 von wütenden Fans zerlegt wurde. Sie ist der Hof hinter dem Jugendzentrum; immerhin beschattet eine Baumreihe den Platz mit der Holzbretter-Tanzfläche vor der Bühne. Aber man bedient sich eben gern aus der Zitatenkiste. Dirty Mac ist dabei ein fast noch dreisterer Name, als sich schlicht die „beste Stones Show der Welt“ zu nennen. So hieß 1968 eine Supergroup, die nur einen Abend existierte, aus John Lennon, Yoko Ono, Eric Clapton, Mitch Mitchell, dazu Jagger und Richards.

Die Belziger Dirty Mac haben keine Stars, aber eine „horn section“ des Jugendblasorchesters Wiesenburg auf der Bühne. Und sie haben Martin Weigel. Barfuß zappelt er an der Rampe herum, wiegt die Hüften, imitiert bei „Honky Tonk Women“ alle obszönen Gesten der Rockgeschichte und lächelt dann wieder unschuldig hinter seinen langen braunen Haaren. Gut 200 Besucher sind an diesem Abend gekommen. Einige Hardcore-Fans älteren Semesters, einer mit tätowierter Stones-Zunge auf dem Oberarm. Vor allem aber die Jugend des 8.000-Einwohner-Städtchens. „Die Musik dieser Zeit, die kommt wieder“, sagt eine Elftklässlerin mit leuchtenden Augen und zeigt ihre Handtasche mit einem Foto von Jim Morrison, dem 1971 verstorbenen Sänger der Doors. „Brown Sugar“ und „You can’t always get what you want“ sind garantierte Partykracher. Tausendmal gehört, aber trotzdem nicht ausgelutscht.

Doch es muss mehr Gründe geben, warum die einstige Schülerband seit den Neunzigern nicht Grunge oder Independent-Musik covert, sondern ausgerechnet den Stones. Schuld ist Arno Weigel. Martins Vater lebt diese Musik seit den Siebzigern, hat mit seiner eigenen Band damals in der DDR auf Dorffesten Stones, Steppenwolf und Manfred Mann nachgespielt. Nach der Wende kaufte er sich die Alben, an die er im Osten nie herangekommen war. Die Symbole der Rebellion waren für DDR-Bürger unerreichbar – und hielten deshalb umso länger.

„Dieses Rebellische war für die DDR genau das Richtige. Das war so, als wenn du den Gullydeckel aufmachst“, sagt Mike Kilian. Er muss es wissen: „Unsere Band Rockhaus war ja ähnlich. Wir waren die Ersten, die Themen, die die Jugend wirklich berührten, aufgegriffen haben. Aber die Stones waren immer noch bedeutender, weil sie für uns DDR-Bürger unerreichbar waren.“

In gewisser Weise hat sich heute daran nichts geändert. In Mike Kilians Publikum sind jedenfalls immer ein paar ältere Herren, die sich bei der Kopie über die Stadionshows der Originale beschweren: „Wir haben einen Haufen Geld für eine Karte ausgegeben und sahen die Band dann nur ganz winzig. Da kommen wir lieber zu euch, machen die Augen zu, und es ist so wie echt.“

Die Rock-’n’-Roll-Generation kommt langsam ins Tanztee-Alter. „Irgendwann werden die Stones nicht mehr da sein, dann gibt es noch uns“, sagt Kilian. Würde er in 20 Jahren im Altersheim spielen, vor Stones-Fans? „Natürlich!“, ruft Kilian und scheint sich drauf zu freuen.

In Belzig tanzen derweil die Zivis von heute. Hier träumt man nicht vom echten Mick, sondern tanzt zum lokalen Partytalent Martin. Geht es hier überhaupt noch um Rebellion? „Nun ja, Pazifismus und so, dafür steht die Musik dieser Zeit schon noch“, beginnt Martin, zögert etwas und sagt dann: „Wir sind zumindest nicht rechts. Musiker sind das sowieso nie. Außer den paar natürlich, die rechte Musik machen.“ Die Belziger Menge ist jedenfalls recht bunt und friedlich. Sie wollen Spaß, und den bekommen sie. Dirty Mac ist eine Freizeitcombo mit Selbstvertrauen: Martin, Informatikstudent in Brandenburg/Havel, will mit der Band bald Geld verdienen: „Unser Ziel ist, so was zu werden wie Starfucker.“

Denn Mike Kilian und Starfucker sind bundesweit im Geschäft. Die Tickets für das heutige Stones-Konzert im Olympiastadion sind jedoch auch ihm zu teuer: „Die Stones haben den Bogen diesmal überspannt und haben jetzt Probleme, die Stadien überhaupt vollzukriegen.“ Martin Weigel hingegen hatte schon eine Karte für die aktuelle Tour der Rock-Dinosaurier. Der 25-Jährige wollte im Juni ins tschechische Brno (Brünn) pilgern. „Da soll es bei den Shows einfach mehr abgehen“, hat er gehört. Doch Brno wurde abgesagt – Keith Richards Begegnung mit der Kokospalme, Ron Woods Entzug, man kennt es. Für das Berliner Konzert besitzt er keine Karten. „Die Wahrscheinlichkeit, dass die Stones beim Konzert scheiße spielen, liegt bei 80 Prozent“, tröstet er sich. „Aber sie sind nun mal meine Lieblingsband.“ Jan Sternberg