Bummelstudenten sind doch nicht reich

Die Bundesregierung will Gebührengegner besänftigen und präsentiert eine eigenwillige Interpretation einer Statistik. Demnach kommen die meisten Langzeitstudenten aus wohlhabendem Hause. Doch darin steckt ein Rechenfehler

von SASCHA TEGTMEIER

Die Bundesregierung entkräftet scheinbar ein zentrales Argument der Gegner von Studiengebühren: Mehr als die Hälfte der Langzeitstudenten kommt aus sozial besser gestellten Elternhäusern, teilte sie auf Anfrage der Linksfraktion mit. Das Problem daran: Die Zahlen der Regierung wurden nicht ins richtige Verhältnis gesetzt – zu der sozialen Zusammensetzung der Studierenden insgesamt.

Als „tendenziös“ bezeichnet daher der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde, die Drucksache 16/1382. Damit wolle die Regierung die Einführung von Studiengebühren legitimieren, sagte er der taz. Denn ein zentrales Argument der Gebührengegner ist, dass Kinder aus sozial schwachen Familien schon jetzt zwangsläufig länger studieren, weil sie Taxi fahren oder kellnern müssen. Kommen noch Studiengebühren als finanzielle Belastung hinzu, würden die AbiturientInnen aus diesen sozialen Schichten ganz vom Studium abgeschreckt, sagen die Gegner.

Die Ausführungen der Regierung legen dagegen nahe, dass wenig Geld ein schnelles Studium eher befördert. Mehr als die Hälfte der Studierenden ab dem 14. Fachsemester lässt sich nach der sozialen Herkunft in die Kategorien „gehoben“ und „hoch“ einordnen. 25 Prozent der Langzeitstudierenden stammen aus Elternhäusern mit gehobenem und 32 Prozent sogar aus solchen mit hohem Sozialstatus. Kinder aus niedrigen sozialen Schichten machen dagegen nur 14 Prozent der Bummelstudenten aus.

Daraus könnte man folgern: Wer sich auf monatliche Zahlungen von Mama und Papa verlassen kann, bummelt auch unbeschwert noch ein weiteres Semester. „Die Zahlen sind nicht falsch“, sagte Meyer auf der Heyde. Jedoch müsse man sie in Relation zu der sozialen Verteilung an den Hochschulen insgesamt sehen. Dort sind die Studierenden aus sozial schwachen Haushalten stark unterrepräsentiert – Studierende aus gutem Hause dominieren die Hochschulen.

Dass „nur“ 14 Prozent der Langzeitstudenten aus einer niedrigen sozialen Schicht stammen, gewinnt eine andere Bedeutung, berücksichtigt man ihren Anteil an der Studierendenschaft insgesamt: Lediglich etwa jeder zehnte Student stammt aus einer einkommensschwachen Familie. Umgekehrt erscheint die Zahl der Bummler aus gutem Hause wesentlich dünner, wenn man weiß, dass insgesamt gesehen das Gros der Studierenden eher wohlsituierten Verhältnissen entstammt.

Erstaunlich ist, dass genau dies aus der 17. Sozialerhebung des Studentenwerks hervorgeht, die die Bundesregierung als ihre Quelle angibt – und doch referiert die Regierung ein gegenteiliges Ergebnis. In der Sozialerhebung heißt es, dass „Studierende der Herkunftsgruppe ‚hoch‘ erheblich seltener zu den Langzeitstudenten gehören“. Die Studierenden aus den beiden unteren Herkunftsmilieus seien dagegen „stärker präsent, als es ihrem durchschnittlichen Anteil“ an der Hochschule entsprechen würde.

Für Nele Hirsch, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, liegen die Gründe für das lange Studium von sozial Schwachen auf der Hand: „Die Bafög-Förderung ist bei weitem nicht ausreichend, und mehr als zwei Drittel der Studierenden sind auf einen Nebenjob angewiesen.“

Bei allem Interpretationsspielraum steht fest, in welchen Fächern die Studierenden besonders zum Bummeln tendieren. Nach Zahlen des statistischen Bundesamtes ist beinahe ein Drittel der Langzeitstudenten für Sprach- und Kulturwissenschaften – dazu gehören etwa Germanistik und Erziehungswissenschaften – an der Hochschule eingeschrieben. An zweiter Stelle steht die Gruppe jener, die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studieren.