Sozialdemokraten resozialisiert

Nach dem Umfrageschock: Linke Programme sollen die matte NRW-SPD aus der Lethargie reißen. Doch Wissenschaftler und Genossen bezweifeln, ob sich der Landesverband so profilieren kann

VON KLAUS JANSEN
UND MARTIN TEIGELER

Mit links will die NRW-SPD wieder auf die Beine kommen. Bis zu einem Zukunftskonvent im Herbst sollen die Mitglieder an Rhein und Ruhr sozialpolitische Programme debattieren. Die Oppositionspartei will so neues Profil gewinnen. NRW-SPD-Landeschef Jochen Dieckmann spricht gern vom „aktiven Staat“, die Düsseldorfer Fraktionschefin Hannelore Kraft will die SPD als „Partei der Gerechtigkeit“ positionieren. Die Doppelspitze liefert sich einen rhetorischen Wettlauf, wer der sozialste und beste NRW-Sozialdemokrat ist.

Angefacht wird die inhaltliche Profilsuche wohl auch von den jüngsten Forsa-Umfragen zur Lage der Ex-Regierungspartei. Demnach kennen 83 Prozent der NRW-Bürger keinen einzigen SPD-Landespolitiker (taz berichtete). Fraktionschefin Kraft will nun ein klares Gegenprogramm zur schwarz-gelben Landesregierung nach außen vertreten. „Wir haben zu lange auf große Probleme mit kleinen Lösungen reagiert“, sagt die Ökonomin. Beim Zukunftskonvent im November wolle man neue „Lösungen“ anbieten, in die laufende Grundsatzprogrammdebatte der Bundes-SPD werde sich die NRW-SPD einmischen. „Wir müssen von Lebenslügen wie der Vollbeschäftigung Abschied nehmen“, sagt Kraft. Über „Lösungen am 2. Arbeitsmarkt“, ein „Grundeinkommen“ und die „negative Einkommenssteuer“ für sozial Schwache müsse man nachdenken – und dabei notfalls Konflikte mit der großen Koalition in Berlin wagen, so Kraft.

Wirklich begeistern kann Kraft mit diesen nicht mehr ganz neuen Ideen allerdings nicht. „Das sind Modefloskeln, ein Schuss aus der Hüfte“, sagt Gerhard Bosch, Vizepräsident des Gelsenkirchener Instituts für Arbeit und Technik (IAT). Nach Ansicht des Wissenschaftlers existiert eine Grundsicherung nämlich bereits: das Arbeitslosengeld II. „Mit diesem Konzept rennt der Staat in eine Subventionsfalle. Schon jetzt gibt es 900.000 Erwerbstätige, die Arbeitslosengeld beziehen“, sagt Bosch. Auch eine negative Einkommenssteuer komme vor allem Unternehmern zugute, die mit Staatsgeld ihre Lohnkosten senken wollen.

„Es ist richtig, als Politiker bescheiden zu sein. Vollbeschäftigung darf man nicht versprechen“, sagt Hertens SPD-Bürgermeister Uli Paetzel über die Kraft-Vorschläge. Die Partei müsse aber an dem Ziel festhalten, dass alle Arbeitswilligen einen Existenz sichernden Job bekommen. Für den Duisburger Bundestagsabgeordneten Johannes Pflug kann die NRW-SPD „begrenzte inhaltliche Konflikte“ mit der großen Koalition eingehen. Doch letztlich müsse die SPD die in Berlin beschlossene Politik gemeinsam vertreten. „Die NRW-SPD ist ja hier voll dabei mit den Ministern Müntefering, Steinbrück und Ulla Schmidt.“

Überhaupt seien die Landespolitiker mit in die Entscheidungen auf Bundesebene eingebunden. „Hannelore Kraft ist regelmäßig zu Gast in der NRW-SPD-Landesgruppe in Berlin“, berichtet Pflug. Die Mülheimerin sei seine Favoritin für die Spitzenkandidatur bei der NRW-Landtagswahl 2010. „Sie macht eine tolle Arbeit, das sehen viele in der Partei so“, sagt der Abgeordnete. Pflugs Vorschlag: 2007 solle die SPD Kraft offiziell zur Herausforderin von CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ernennen.