Raketen gegen Seife

Israel zerstört gezielt Libanons Industrie. Selbst Toilettenartikellager stehen unter Beschuss

Nur das Skelett eines Gabelstaplers deutet darauf hin, dass hier gearbeitet wurdeEinen Lkw zu steuern, ist derzeit einer der riskantesten Jobs im Libanon

AUS BEIRUT KARIM EL-GAWHARY

Noch mehrere Tage nach der Bombardierung brennt auf dem Fabrikgelände der Asphalt. Das Waschmittel- und Toilettenartikellager im Sfweifat-Industriepark im Süden Beiruts ist nach dem israelischen Bombardement nur noch ein Trümmerhaufen. Die Lagerhallenkonstruktion aus Wellblech ist wie ein Kartenhaus in sich zusammengestürzt. Gespenstisch bringt der Wind herunterhängende Blechplatten zum Singen. Jedes schwingende Blech erzeugt einen anderen Ton: ein bizarres Glockenspiel der Zerstörung.

„Das war eine Fabrik und kein Militärobjekt, 2.500 Menschen haben von der Arbeit und den Gehältern hier gelebt, keiner weiß, wie es jetzt weitergehen soll. Wir sitzen auf der Straße“, sagt ein Fahrer der Fabrik, der zurückgekommen ist, um nachzusehen, was von seinem einstigen Arbeitsplatz übrig geblieben ist.

„Geh doch und suche die Hisbollah-Kämpfer im Keller: Dort findest du nur geschmolzene Produkte, hergestellt in amerikanischer Lizenz“, wirft der letzte verbliebene Wächter des Betriebs ein und deutet in Richtung einer Kellertür, aus der es immer noch herausraucht. Ein kurzer Blick hinein, zeigt auf großen Paletten, die von der Hitze eingeschmolzenen Artikel der US-Firma Procter & Gamble: Schokoriegel und allerlei Sorten von Waschmittel.

Das Lager ist nicht das einzige zerstörte Gebäude im Südbeiruter Industriepark. Gleich nördlich davon stand einst eine Abfüllanlage für Kochgasflaschen, daneben eine Fabrik für Baumaterial. Hier herrscht eine postindustrielle Untergangsstimmung. Abwasser läuft über das Betriebsgelände. Gleich daneben liegt ein Rinderstall, der ebenfalls von einer Rakete getroffen wurde. Um die Ecke befindet sich ein Holzlager: „Alle Arten von Holz en Gros oder im Einzelverkauf“ steht auf dem Schild vor dem Betrieb. Verblieben sind nur noch die Umfassungsmauern, das Holz ist vollständig abgebrannt. Nur das Skelett eines Gabelstapler deutet darauf hin, dass hier bis vor zwei Wochen noch gearbeitet wurde. Abgesehen von einzelnen Wächtern, die über Fabriktore wachen, die verbeult oder ganz weggesprengt sind, ist der Industriepark menschenleer. Wer weiß, wann hier die nächste Rakete herunterkommt.

Seit Beginn des Krieges nimmt die israelische Luftwaffe im Libanon die Infrastruktur des Landes in Beschuss. 38 Straßen wurden von israelischen Bombardements abgeschnitten, 42 Brücken wurden zerstört. So lautete die offizielle Statistik der libanesischen Behörden Mitte vergangener Woche. Seitdem haben sie aufgehört, zu zählen.

Mehr als ein Dutzend Fabriken sollen allein in der Bekaa-Ebene zerstört worden sein. Prominestes Industrieopfer ist „Liban Lait“, die größte Meierei des Landes, die 50 Prozent des libanesischen Marktes mit ihrer Milch, Joghurt und Lebneh, dem typisch libanesischen Quark abdeckt. „Ich möchte einfach nur verstehen, warum Israel auf diese Fabriken zielt“, fragt Jacques Sarraf, der ehemalige Chef des libanesischen Industrieverbands.

Keiner hat im Moment den Überblick, wie viele kleine und mittlere Betriebe, vor allem im Süden des Landes rund um die Städte Sidon und Tyros, zerstört worden sind. Zahlreiche Betriebe haben auch aufgrund der Sicherheitslage und der Stromausfälle dicht gemacht.

Auch die See- und Luftblockade macht der Wirtschaft zu schaffen. Die Hauptaktivität auf dem Beiruter Hafen, der Lebensader des Landes, bestand die ganze Woche darin, Flüchtlinge, die das Glück hatten, einen ausländischen Pass zu besitzen, auf Kriegs- und angemieteten Kreuzfahrtschiffen aus dem Land zu schaffen. Die Versicherungsprämien für Schiffe, die in Beirut andocken wollen, haben sich seit Beginn des Krieges verzehnfacht. Der Warenverkehr ist zum Stillstand gekommen.

Die Hafenzollbehörde, die jährlich eigentlich fast 2 Milliarden Dollar Einnahmen einstreicht, spricht davon, dass ihr zurzeit täglich 5 Millionen Dollar in der Kasse fehlen. „Über 90 Prozent der Importe des Landes kommen über diesen Hafen und man kann sich ausmalen, welche Verluste Händler und Importeure machen“, sagt Elie Zarkour von der Internationalen Kammer für Navigation in Beirut. „Hunderte von Containern, die zuvor von den Schiffen gelöscht wurden, warten seit Kriegsbeginn darauf, abgeholt zu werden“, sagt er.

Ein paar Kilometer vom Hafen entfernt, auf dem Lastwagenabstellplatz in Khaldeh im Süden Beiruts, wird deutlich, warum die Waren nicht abgeholt werden. Einen Lkw zu steuern, ist derzeit einer der riskantesten Jobs im Land. Die Laster werden immer wieder von der israelische Luftwaffe mit Raketen beschossen. Auf dem Abstellplatz wurden die dort geparkten Fahrzeuge bombardiert. Übrig geblieben sind ein Dutzend schwarzer, verformter Skelette. Die Reifen sind von der Hitze der Explosion bis auf die Felgen weggeschmolzen. Manche der tonnenschweren Lastwagen sind von der Wucht der Detonation umgekippt. Bei manchen Lkws kann man noch die staatlichen Nummernschilder erkennen.

Das seien Waffentransporter für die Hisbollah gewesen, behauptet Israel. Diese Fahrzeuge haben die Großmärkte des Landes mit Waren beliefert, sagen dagegen die Libanesen. Wie auch immer: Die Ladeflächen der ausgebrannten Fahrzeuge sind allesamt leer.