Zwischenmensch auf Zeichenreise

Wegen ihm will schon halb Minnesota herziehen: Der englische Musiker Nick Currie alias Momus schreibt in seinem Weblog mit treffender Versponnenheit über das Leben in Berlin. Täglich. Verfehlte Globalisierte wie er sind Radar und Signal zugleich

VON TIMO FELDHAUS

Nick Currie ist der versteckte Held Berlins. Er nennt sich Momus, nach dem griechischen Gott des Spottes, lebt seit drei Jahren in der Stadt und gehört zu ihren meistgelesenen Internetreportern. Allerdings ist er auch ein Verkleidungskünstler. Wahrscheinlich kennt ihn deshalb in Berlin kaum jemand.

Auf seinem Weblog imomus.livejournal.com bloggt der in Edinburgh geborene Currie täglich ein Essay, das bis zu 200-mal aus aller Welt kommentiert wird. Die Themen umfassen Zeitströmungen in Design und Architektur, japanischen Pop, Porno und ethnografische Diskurse. Von Brecht über Sakamoto hin zu den Problemen von Schönheitsköniginnen – und natürlich seinen eigenen.

Bekannt ist Momus eigentlich als Musiker. Inspiriert von David Bowie, der Ästhetik der 70er-Jahre, Glam-Rock und der Frankfurter Schule spinnt er seit Mitte der 80er abstruse Folksongs und Konzeptalben, die mit ihrem Mix aus burleskem Theater und theorieschwerer Empfindsamkeit von vielen Hörern als sehr schwierig empfunden werden. Er war mit der Band Primal Scream auf Tour und später Produzent für JPop-Größen wie Tujiko Noriko und Kahimi Karie. Nick Currie, der eine zum Markenzeichen gewordene Augenklappe trägt, die von einer seltenen Augenkrankheit namens Acanthamoeba Keratitis herrührt, ist wie nebenbei lebendes Kunstobjekt und Performancekünstler in verschiedenen Galerien und Museen der Welt. Zuletzt stellte sich heraus, dass er die damals noch nebelhafte Person war, der Christian Kracht seinen ersten, von ihm herausgegebenen Erzählband „Mesopotamia“ widmete.

Momus ist nicht berühmt. Das war er nie. Man stolpert nicht im Musikfernsehen über ihn. Er war immer schon eine Zwischenfigur. Aber ist man ihm einmal begegnet, beginnt das Referenzkarussell zu rotieren, und er ist plötzlich überall. Das kann im echten Berlin passieren, schneller aber an medialen Orten, wie das Internet sie bietet. „Obwohl ich in Berlin wohne, kommt es mir manchmal so vor, als wäre ich gar nicht hier“, sagt er. Dadurch, dass er nicht in deutschen Kulturdiskursen steckt, nur wenig Deutsch spricht und keine deutschen Zeitungen liest, erhält er sich eine Sicht von oben. Diese Distanz lässt seine Blog-Beiträge oft skurril wirken. Wenn er aber von deutscher Öko-Besessenheit auf japanische Shinto-Kultur kommt, ist es gerade die abwegige Versponnenheit, die seine Texte so treffend macht.

Auf der anderen Seite nimmt Currie sich die Stadt auch genau vor, liest die Straße, während er sich ausschließlich mit dem Fahrrad auf Zeichenreise begibt. Momus ist eine Art Korrespondent in Berlin. Seine Leser sitzen weit verstreut in der Welt vor ihren Bildschirmen und lassen sich erklären, warum der Stadtteil Neukölln jetzt viel cooler ist als die neue Mitte oder wie es nur die sich ewig locker gebenden Hipster in Prenzlauer Berg hinbekommen, gleichzeitig entspannt und total verklemmt zu sein.

Eine seiner Theorien widmet sich dem durch eine eigene Wortschöpfung benannten „verfehlten Globalisierten“. Solch ein Mensch hat kein Mobiltelefon oder Auto. Er hat auch kaum Bekanntschaften in unmittelbarer Nähe. Seine Medien sind Internet und Flugzeug. Wodurch er sich möglichst gleichzeitig auch an anderen Orten bewegen kann. Flüchtig und durchleuchtend. So verkleidet sich Momus an einem Tag mit schwarzem Schleier und untersucht auf dem türkischen Markt am Maybachufer in halb soziologischer Manier die Wirkung auf die Einkaufenden. Um am nächsten Tag schnell nach New York zu jetten, wo er mit einem Megafon bewaffnet die Whitney Biennale in Manhattan begleitet.

Currie spricht oft von Richard Florida. In dessen Buch „The Rise of the Creative Class“ von 2004 wird beschrieben, wie ökonomische Faktoren zu Standortverschiebungen führen, die kulturelles Wachstum fördern und eine neue kreative Klasse hervorbringen. Momus wirkt fast wie ein Floridarscher Missionar: Wegen seiner Blog-Einträge will schon halb Minnesota nach Berlin übersiedeln. Er selbst nähert sich diesem flexiblen und selbst organisierten Typus, der sich nur allzu leicht in die mit niedrigen Mieten, viel Platz und kreativem Potenzial ausgestattete Hauptstadt fügt. „Berlin erscheint mir voll von solchen Menschen. Durch ihre kreative Energie und fortschreitendes Freiberuflertum erschaffen sie Gegenden mit erhöhtem Marktwert. Wie bewahrt man allerdings diese Menschen davor, zu schnell selbst Bestandteil dieser Gentrifizierung zu werden und sich selbst aus dem gerade aus der Taufe gehobenen Lebensraum wieder auszusperren?“

Menschen wie Nick Currie sind Pegel städtischer Gentrifizierung, urbaner Mode und kultureller Veränderungen. Sie sind Radar und Signal zugleich. Momus steigert diese Art des Lebens und gleichzeitigen Ablesens desselben in ein Performativ. Und manchmal, wenn man durch die innerstädtischen Foren globaler Urbanität driftet, erkennt man ihn wie einen Nebenmenschen. Als wäre Oscar Wilde in Japan geboren und hätte sich dazu mit Adorno abgesprochen.

Auf seinem gerade erschienenen Album „Ocky Milk“ gibt es ein Lied, das sich aus der ganzen Verdrehtheit herausknuspelt. In „Hang Low“ beschreibt er in wunderschönster Popmanier, dass wir doch alle nur Menschen sind und mal langsam machen sollen. Als er aus seiner Wohnung führt, sagt Momus, er glaubt, dass Berlin nicht mehr lange hält, dass er vielleicht wieder nach Tokio ziehen möchte. Davor darf man ruhig ein bisschen Angst haben.