Das Grundgesetz ist uns egal

Mit der „Operation Enduring Freedom“ hat der Bundestag eine Mission verlängert, in deren Rahmen die Bundeswehr bereits jetzt rechtswidrige Einsätze geleistet hat

Leider haben sich inzwischen fast sämtliche Argumente gegen das ursprüngliche OEF-Mandat bestätigt

Auftrag und Handlungsspielraum der Bundeswehr waren ursprünglich einmal auf die Verteidigung des eigenen Landes und des Territoriums der Nato-Verbündeten beschränkt. Seit 1992 wurden sie von Bundesregierungen schwarz-gelber, rot-grüner und schwarz-roter Couleur immer weiter ausgeweitet. In manchen Fällen erfolgte die Ausweitung unter Verstoß gegen Völkerrecht und Grundgesetz sowie unter Missachtung oder Täuschung des Bundestages. Bis heute fehlen eine klare Konzeption und klare Kriterien für den Auslandseinsatz deutscher Soldaten.

Letzte Woche haben die Auslandseinsätze der Bundeswehr und die innenpolitische Debatte darüber eine neue – negative – Qualität erlangt. Zunächst in rechtlicher Hinsicht: Mit der am Freitag beschlossenen fünften Verlängerung des ursprünglich im September 2002 erteilten Mandats für die Teilnahme von Bundeswehr und Bundesmarine an der „Operation Enduring Freedom“ (OEF) nehmen Angehörige der deutschen Streitkräfte erstmals mit Wissen des Parlaments und mit ausdrücklicher Billigung einer großen Mehrheit aus fast allen Abgeordneten von CDU/CSU, SPD und FDP an einer Mission teil, in deren Rahmen sie zumindest zeitweise völkerrechts- und verfassungswidrige Einsätze geleistet haben.

Und dies möglicherweise weiterhin tun. Denn die im Rahmen der OEF ans Horn von Afrika entsandte Bundesmarine gab Kriegsschiffen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens, die am völkerrechtswidrigen Krieg gegen Irak und an der anhaltenden Besetzung des Landes beteiligt waren und sind, aktiven Geleitschutz. Und das in bislang 26 erwiesenen Fällen vor, während und nach der Kriegsphase zwischen 20. März und 1. Mai 2003. Zwar war bereits die Teilnahme der Bundesluftwaffe am Luftkrieg der Nato gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Jahr 1999 ein eindeutiger Verstoß gegen UNO-Charta und Grundgesetz. Doch damals verzichtete der Bundestag auf die von der rot-grünen Regierung im Oktober 1998 ursprünglich zugesagte Mitsprache bei der Entscheidung über den Kriegseinsatz der Bundesluftwaffe.

Ebenfalls völkerrechts- und grundgesetzwidrig waren die logistischen Unterstützungsleistungen der rot-grünen Regierung zum Irakkrieg der USA, etwa in Form von Überflug- und Nutzungsrechten. Der Regierung und den „Rechtsexperten“ in den rot-grünen Bundestagsfraktionen war dieser Umstand seinerzeit durchaus bewusst. Sie suchten ihn zu kaschieren, indem sie zwar den Irakkrieg mit vielerlei Argumenten kritisierten, Hinweise auf seine Völkerrechtswidrigkeit aber immer sorgfältig vermieden.

Zugleich wurde die Zwecklüge verbreitet, Deutschland sei aufgrund bilateraler Abkommen mit den USA sowie multilateraler Verträge im Rahmen der Nato verpflichtet, die von der Bush-Administration damals erbetenen logistischen Unterstützungsmaßnahmen für den Irakkrieg zu leisten; es gebe keine juristische Möglichkeit, sich diesen Verpflichtungen zu entziehen. Doch diese Behauptung hat das Bundesverwaltungsgericht im Sommer 2005 mit seinem Urteil im Fall des Bundeswehrmajors Florian Pfaff unmissverständlich als falsch verworfen. In dem Urteil wird der Irakkrieg ebenso eindeutig als völkerrechtswidrig eingestuft wie die von der Bundesregierung gewährten Maßnahmen zur Unterstützung dieses Kriegs.

Man sollte meinen, dass höchstrichterliche Urteile zu völkerrechtlichen Fragen zumindest von den gewählten Politikerinnen und Politikern zur Kenntnis genommen und respektiert werden. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall. So versuchte der SPD-Abgeordnete Rainer Arnold, immerhin verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion, die letzte Woche bekanntgewordenen völkerrechtswidrigen Einsätze der Bundesmarine im Rahmen der OEF-Mission erneut mit der vom Bundesverwaltungsgericht verworfenen Zwecklüge zu rechtfertigen, Deutschland erfülle mit diesen Einsätzen „Bündnispflichten“ gegenüber den Nato-Partnern USA und Großbritannien.

Über die De-facto-Missachtung und Verletzung des Völkerrechts in den genannten Fällen hinaus fällt auf, dass die Bundesregierungen seit Mitte der Neunzigerjahre in Dokumenten, die von Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte handeln, eindeutige, verlässliche Festlegungen auf die Regeln des Völkerrechts vermeiden. Das gilt für nationale Dokumente, etwa das Weißbuch des Verteidigungsministeriums, ebenso wie für zwischenstaatliche Dokumente, an deren Formulierung die Bundesregierung – häufig mit großem Einfluss – beteiligt war, etwa die EU-Sicherheitsstrategie, der Entwurf für eine EU-Verfassung oder Nato-Dokumente.

In all diesen Schriftstücken wird für militärische Missionen lediglich zur Bedingung gemacht, dass sie „nach den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen“, nach „den Regeln der UNO“ oder Ähnlichem stattfinden müssen. In keinem der einschlägigen Dokumente findet sich die einzig wasserdichte Formulierung, dass nämlich militärische Missionen „nur auf Basis eines Mandats des UNO-Sicherheitsrates stattfinden“ können. Wo immer ein solcher Formulierungsvorschlag eingebracht wurde – zum Beispiel im Europäischen Konvent, der den Entwurf der EU-Verfassung erarbeitete –, wurde er von den Vertretern der deutschen Bundesregierung abgelehnt.

Auch in politischer Hinsicht markiert die fünfte Verlängerung des OEF-Mandats durch den Bundestag einen Tiefpunkt in der Entwicklung. Denn bei keinem der zahlreichen Auslandseinsätze deutscher Streitkräfte seit 1992 haben sich die Bedenken der ursprünglichen Skeptiker und Gegner so weitgehend bestätigt wie im Fall der OEF-Mission in Afghanistan. Leider sind fast sämtliche Argumente und Befürchtungen, aufgrund deren im September 2002 lediglich vier grüne Abgeordnete der Regierungskoalition gegen das ursprüngliche Mandat für diese Mission stimmten, inzwischen von der Entwicklung in Afghanistan bestätigt oder sogar noch negativ übertroffen worden.

Seit Mitte der Neunziger vermeiden Bundesregierungen jede Festlegung auf das Völkerrecht

Inzwischen sei die Rolle der OEF in Afghanistan „kontraproduktiv“ und eine Beteiligung der Bundeswehr daran „nicht mehr dringlich und nicht mehr verantwortbar“, schreibt der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Nachtweih, in einer für die Abstimmung vom letzten Freitag erstellten ausführlichen Analyse, mit der er seine Ablehnung des Verlängerungsantrages der Bundesregierung begründete.

In den Vorjahren hatte Nachtweih seiner Fraktion hingegen immer die Zustimmung empfohlen. Im Kontrast zu seiner sorgfältigen Situationsanalyse klingen die dünnen Argumente und Beschönigungsversuche, mit denen etwa die Außenpolitiker der Regierungskoalition, Hans-Ulrich Klose (SPD) oder Eberhard von Klaeden (CDU), für die Verlängerung des OEF-Mandats warben, wie die Durchhalteparolen von George Bush oder Donald Rumsfeld mit Blick auf die Präsenz der US-amerikanischen Truppen im Irak.

ANDREAS ZUMACH