Wichsen und Wachsen

Die Online-Community StudiVZ hat mittlerweile mehr als eine Million Mitglieder – und Probleme mit spätpubertären Usern. Ein Verhaltenskodex soll die rasant gewachsene Meute fortan bändigen

VON FLORIAN HOLLENBACH

Ehssan Dariani macht einen sehr kontaktfreudigen Eindruck. Auf seiner Seite im Studiverzeichnis ist er mit 569 Freunden vernetzt. Mit zweien davon hat Dariani das Online-Studentennetzwerk gegründet. Seit das Studiverzeichnis jedoch verstärkt in der öffentlichen Kritik steht, ist er nicht mehr so leicht erreichbar – zumindest nicht für Journalisten.

Das Studiverzeichnis ist eine Online-Community, in der sich jeder Student ein eigenes Profil anlegen kann, um zu netzwerken. StudiVZ selbst nennt folgende Beispiele: „Wer kennt wen über wen? Wer ist der coole Typ im Audimax in der zweiten Reihe?“ Die Mitglieder können einander Nachrichten schicken oder gruscheln, eine virtuelle Mischung aus Grüßen und Kuscheln. Im Oktober 2005 gegründet, hat das Studentennetz mittlerweile über eine Million Mitglieder und 50 Mitarbeiter.

Es scheint, als seien die Gründer vom schnellen Wachstum und dem steigenden öffentlichen Interesse an ihrem Start-up überrascht worden. Die Probleme häufen sich.

So veranstaltete eine der innerhalb von StudiVZ gegründeten Gruppen eine Misswahl, bei der jeden Monat die schönste Studentin gewählt wurde. Die ahnungslose Gewinnerin wurde daraufhin von allen Gruppenmitgliedern – um die 700 sollen es gewesen sein – gegruschelt. Einige der Betroffenen sollen inzwischen aus der Community ausgetreten sein, weil sie sich als Stalking-Opfer fühlen.

Außerdem machen sich immer mehr Mitglieder Sorgen um die Sicherheit ihrer Daten. In Blogs wird gemeldet, dass mit einfachen Tricks nicht nur auf die allgemeinen Informationen eines jeden Studenten zugegriffen werden kann, sondern auch auf die Daten, die eigentlich nur für vom Benutzer Berechtigte sichtbar sein sollen. Durch kleine Änderungen bei der Eingabe der Internetadresse soll es jedoch für jedes Mitglied möglich sein, auf geschützte Profile anderer Nutzer zuzugreifen. Studiverzeichnis selbst bestreitet diese Sicherheitslücke. Inzwischen prüft auch der Berliner Datenschutzbeauftragte die Datensicherheit des Angebots im Internet, heißt es aus der Behörde.

Es fällt auf, dass das Studiverzeichnis sich sehr stark am US-Vorbild Facebooks.com orientiert, dieses fast kopiert. Die Gründer scheinen nur Farbe und Sprache verändert zu haben, das Layout wirkt komplett gleich.

Während jedes Mitglied bei Facebook selbst bestimmen kann, von wem es gefunden werden möchte und welche Daten öffentlich zu sehen sein sollen, ist dies im StudiVZ nicht möglich. Weitere Vorwürfe beziehen sich auf Sexismus und entgleiste Rhetorik in einzelnen Gruppen. Mitgesellschafter Dario Suter bestreitet dies nicht. Im Moment werde mit den Mitgliedern im direkten Kontakt ein Verhaltenskodex entwickelt. „Die Nutzer sollen entscheiden, was auf StudiVZ stehen darf und was nicht.“ Dario Suter sagte der taz: „Wir bedauern, was geschehen ist, wir sind überrannt worden vom rasanten Wachstum, haben aber aus den Vorfällen gelernt.“ Der Support werde nun stetig ausgebaut, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden.

Für den Leipziger Kommunikationswissenschaftler Martin Welker hat die Internet-Community das Recht, Fehler zu machen. „Auf solchen Plattformen können bösartige Scherze und Aktionen nicht komplett verhindert werden.“ Jedoch müsse die Professionalität dafür sorgen, dass solche Inhalte schnell wieder verschwinden und solche Aktionen fortan erschwert werden.

Neben den handwerklichen Fehlern hat Ehssan Dariani auch persönlich für Aufregung gesorgt. Zum einen ist er durch Videos auf YouTube.com aufgefallen, in denen er sich er auf sehr aufdringliche Weise jungen Frauen nähert. Für wesentlich größeres Aufsehen sorgte aber die Umgestaltung einer Titelseite des Naziblatts Völkischer Beobachter in eine Geburtstagseinladung. Inzwischen gesteht Dariani diesen Fehler ein. „Dafür und für die daraus entstandenen Missverständnisse möchte ich mich aufrichtig entschuldigen“, schreibt er im StudiVZ-Blog. Dariani habe damals wohl nicht bedacht, wie sehr er nun in der Öffentlichkeit stehe, er wolle seine Verantwortung jedoch von nun an besser wahrnehmen, so Suter. Die Aktion spiegele jedoch weder Darianis Gedankengut noch das von StudiVZ wider. Man sei stolz auf die tolerante und internationale Firmenkultur.

Im Internet wird derzeit gemunkelt, dass StudiVZ an sein Vorbild Facebook.com verkauft werden soll. Von StudiVZ heißt es dazu, man wolle erst mal noch profitabler werden, „um unsere Leistungen weiterhin kostenlos bereitstellen zu können und unsere Arbeitsplätze und die unserer Mitarbeiter zu sichern“.