Das Rathaus wird zum Profitcenter

Teil 1 der taz-Serie „Der verkaufte Staat“: Die Bertelsmann-Tochter Arvato managt in England eine Kommune mit 320.000 Einwohnern. Ziel des Versuchslabors: die Privatisierung kommunaler Dienstleistungen in Deutschland

BERLIN taz ■ Im Norden Englands reift die Keimzelle für die Zukunft der öffentlichen Verwaltung. Seit Juli 2005 lässt dort der Bezirk East Riding in der Grafschaft Yorkshire Aufgaben seiner Verwaltung von einem privaten Dienstleister erledigen. Mitarbeiter des Arvato-Konzerns zahlen dort im Auftrag des Bezirks Wohngeld aus, nehmen Steuern ein und betreuen die Bürgerbüros.

Die Kooperation der öffentlichen Hand mit dem kommerziellen Unternehmen soll beiden Seiten nützen: East Riding verspricht sich einen besseren Service für seine 320.000 Bürger, während Arvato wichtige Erfahrungen für einen weltweiten Milliardenmarkt sammelt: die Privatisierung staatlicher Dienstleistungen.

Arvato ist nicht irgendwer: Das Unternehmen ist die Tochter von Europas größtem Medienkonzern, Bertelsmann. Die Kooperation in Yorkshire dient Arvato als Trainingslager. „East Riding ist unser Versuchslabor auch für Deutschland“, sagt Arvato-Vorstandmitglied Rolf Buch.

Die Service-Tochter ist das ökonomische Herz des Bertelsmann-Konzerns. 45.700 der insgesamt 88.000 Bertelsmänner arbeiten bei Arvato. Doch der diskrete Medien- und Marketingdienstleister zeigt sich selten den Endkunden und arbeitet vor allem für andere Unternehmen. Jedes zweite DAX-Unternehmen nutzt die Dienste des Konzerns, der 2005 in 270 Tochterfirmen 4,4 Milliarden Euro Umsatz machte. Mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von knapp 10 Prozent sucht der Konzern ständig nach neuen Geschäftsfeldern. Die neuesten davon, die Public Private Partnerships (PPP), sind in England stärker verbreitet als in Deutschland. 15 bis 25 Prozent der öffentlichen Investitionen werden dort für PPPs ausgegeben, während es hierzulande gerade einmal 4 Prozent sind. Seit der Amtszeit von Margaret Thatcher werden in Großbritannien Straßen, Krankenhäuser, Gefängnisse, Altenheime und Sozialwohnungen mit Hilfe der Privatwirtschaft gebaut und unterhalten.

Arvato handelt in East Riding auch nach den politischen Maximen des Nachkriegs-Bertelsmann-Chefs Reinhard Mohn. Seine Weltanschauung verklärt die Steuerungsverfahren aus der Betriebswirtschaftslehre zu einem gesellschaftlichen Leitbild: Alle Bereiche, von der Müllentsorgung bis zur Schulpolitik, werden in Mohns Welt der gleichen Systematik von Profitcentern, Budgetierung sowie Leistungsvergleichen unterworfen. Kernpunkte dieser Ideologie: Effizienz, gemessen am finanziellen Erfolg sowie dem Wettbewerb nach der Mohn-Devise: „So wenig Staat wie möglich“.

Wie das geht, will Arvato in East Riding demonstrieren. „Wir sind in der Lage, Arbeitsprozesse effektiver zu steuern und die besten Prozesse einzusetzen, die wir auch bei anderen Kunden verwenden“, sagt Christoph Baron, der bei Arvato das Geschäftsfeld öffentliche Dienstleistungen in Deutschland leitet. Die Leistung der Kommune in East Riding wird anhand von mehr als 100 Schlüsselindikatoren ermittelt. Dazu gehört etwa, wie oft das Telefon klingelt, bis ein Mitarbeiter den Anruf beantwortet. Etwa 500 Council-Angestellte East Ridings sind für das Projekt zu Arvato gewechselt. „Sie sind nicht schlechter gestellt als Council-Mitarbeiter“, versichert Baron. Sollte das Projekt nach acht Jahren nicht verlängert werden, könnten sie wieder auf ihren alten Job zurückkehren. Die ehemals öffentlich Bediensteten direkt zu beschäftigen, erlaubt es dem Konzern, Arbeitsabläufe zu verändern und die Mitarbeiter dort einzusetzen, wo sie benötigt werden.

David Nolan, Vorsitzender der Liberalen Demokraten in East Riding, gehört zu den erklärten Kritikern des Projektes. „Das PPP mit Arvato ist nur eine als Partnerschaft verkleidete Privatisierung“, sagt Nolan auch noch heute. Er glaubt, dass es für East Riding keinen Unterschied mache, dass Arvato die Verwaltungsarbeiten nun ausführe. „Rein administrative Aufgaben können sehr gut von Privatfirmen übernommen werden.“ Entscheidend sei jedoch, dass strategische Entscheidungen weiterhin in der Kontrolle der öffentlichen Hand verblieben. „Dazu gehören zum Beispiel Planungsverfahren, Rechtsvorschriften, aber auch Strategien für IT-Konzepte“, so Nolan. Die Zusammenarbeit mit Arvato verlaufe bisher ohne größere Probleme.

Der Arvato-Manager gibt sich bedeckt, wann der Konzern auch in Deutschland seine Dienste in der öffentlichen Verwaltung anbieten wird: „Wir suchen derzeit nach einem Modell, wie man so etwas verwaltungsrechtlich organisieren kann.“ Das Unternehmen prüfe derzeit, welche nichthoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Hand Arvato übernehmen könnte. Kfz-Zulassungen und das Meldewesen wären nach Ansicht der Ministerpräsidenten erste Versuchsfelder für private Dienstleister. „Ob sich in Deutschland ein Markt entwickelt, weiß man noch nicht“, so Baron. TARIK AHMIA