PR-Attacke auf die Bloggerwelt

taz-Serie „Boom 2.0“ (Teil 3): Für Außenstehende ist das Universum der Netztagebuch-Schreiber schwer durchschaubar. Nur Werber haben die User der „Blogosphäre“ längst als Zielgruppe entdeckt

von Lisa Rank

Der Laptop ist aufgeklappt, die Schreibtischlampe erhellt das Zimmer schwach. Im Bademantel macht sich Berni Mayer daran, noch einen Text für den nächsten Tag zu schreiben. Mit müden Fingern loggt er sich ein – und ist auf einmal wieder hellwach. Drei neue Kommentare gibt es zu dem Beitrag, den er am Morgen auf burnster.de, seinem Online-Tagebuch – bekannt als Weblog oder „Blog“ –, veröffentlicht hat. „Burnster“, das ist Mayers Alter Ego im Netz, „cooler und zynischer als in Wirklichkeit, aber im Endeffekt schon drei Viertel meiner selbst“.

Er zündet sich eine Zigarette an und antwortet den Absendern, jedem einzeln. Das sei wichtig, dann kämen sie wieder auf seine Seite, erklärt der 32-Jährige das Prinzip der Leser-Blog-Bindung. Sein Weblog bestückt Berni Mayer fast täglich neu. Manche Texte warten schon seit Monaten auf Veröffentlichung, andere fließen aus seinem Kopf direkt ins Internet. Meist geht es um kurze Anekdoten, um Konzerte oder bestimmte Lieder, manchmal sind es Kurzgeschichten – oder eine Mischung aus alledem. „Seine Befindlichkeiten dermaßen zu veräußern war mir eigentlich immer suspekt“, sagt Mayer. „Aber ich versuche, unterhaltsam und literarisch zugleich zu sein, ohne zu viel Ego reinzustecken.“

Mit Texten und Fotos lockt er täglich rund 450 Besucher auf seine Seite. Die klicken sich durch Kategorien wie „Greatest Hits“ oder „Rock ’n’ Roll“, mit denen Mayer seine Texte ordnet. Die Mutigeren kommentieren. Mancher Eintrag erhält über 50 Kommentare. Aufmerksamkeit, die der Blogger genießt: „Meine Motivation war immer, ein eigenes Magazin zu haben mit eigenen Themen und Lesern.“

Dieses Publikum hat er nun – im „Web 2.0“. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen privat und öffentlich, zwischen Zuhause und Arbeitsplatz, zwischen Internet und realer Welt, zwischen Anbieter und Nutzer. Manchmal treten die Blogger auch aus dem virtuellen Raum heraus: Die Bloggerin Modeste (modeste.twoday.net) etwa organisiert Lesungen mit Schreibern aus ganz Deutschland in Berliner Cafés. Dort bekommen die Texte reale Gesichter, man liest, trinkt und unterhält sich.

„Blogger haben einen Hau weg“, sagt Mayer über sich und seine Artgenossen. „Sie sind aufmerksamkeitsbedürftig und kreisen etwas zu wild um ihr eigenes Leben. Positiver formuliert: Einen Hau hat jeder weg, aber nur der Blogger traut sich damit an die Öffentlichkeit.“ Genau darum geht es den meisten Nutzern der zweiten Internet-Generation: selber machen, veröffentlichen, auffallen.

Für Uneingeweihte ist die „Blogosphäre“ eine ziemlich unübersichtliche Parallelwelt. Täglich kommen neue Seiten hinzu, andere werden nicht mehr aktualisiert und verschwinden irgendwann. Das bedeutet aber auch: Nur konsequente Schreiber setzen sich durch und landen in den „Blogcharts“. Wessen Seite oft verlinkt wird, der klettert das Leiterchen nach oben. Und erscheint damit auch auf dem Schirm der PR-Agenturen. Längst sind Blogger Zielscheibe für Marketingaktionen, mit denen sich prima Geld verdienen lässt.

Dass auch Berni Mayer für eine bestimmte Zielgruppe schreibt, blieb der Berliner Agentur VM-People nicht verborgen. Die auf „virales Marketing“ spezialisierten Werber schickten ihm und anderen ausgewählten Bloggern handgeschriebene (!) Briefe: Einladungen zu einer Art Schnitzeljagd. Weil Blogger alle Merkwürdigkeiten, die ihnen unterkommen, gern ohne Umschweife ins Netz stellen, verbreitete sich die Aktion wie ein Lauffeuer in der Blogosphäre. Es wurde gemunkelt, spekuliert und recherchiert – bis sich der Auftraggeber der Rätselkampagne offenbarte. Es war T-Mobile.

Auch Coca-Cola oder Opel haben schon ähnliche Aktionen veranstaltet. Der Autokonzern initiierte einen Autotest mit Bloggern und zahlte ihnen eine Aufwandsentschädigung von gut 1.000 Euro. Eine Aktion, die in der deutschen Blogosphäre eine Glaubwürdigkeitsdebatte anstieß. „Ganze Blog-Lobbies sind am Ende in Kommentaren gegeneinander angetreten“, erinnert sich Mayer.

Von den Bloggern kritisch beäugt, war die Aktion für Opel ein Erfolg. „Social-Media-Konzepte gewinnen sukzessiv an Bedeutung und werden ein immer wichtigerer Bestanteil der Onlinestrategie“, sagt Jörg Schrott, Opel-Manager für „Brand Communications“. Solche Strategien bewirken aber auch, dass der Leser am Ende nicht mehr genau weiß, was Meinung des Autors und was bezahlte Werbung ist.

Ähnliches geschieht beim 2003 gegründeten Musik- und Flirtportal MySpace. Hier hat jeder die Möglichkeit, eine eigene Seite mit Fotos, Videos und Links zu erstellen. Auch junge Bands können damit auf sich aufmerksam machen. Die britische Band Arctic Monkeys wurde so berühmt. Ein deutscher Ableger der MySpace-Gmbh bringt nun Bands, die sich im Netz präsentieren, mit „MySpaceLive“ auf echte Bühnen.

Geplant sind Kooperationen mit Hostels. Lasse Walter vom Berliner Backpacker-Hostel Mitte ist „begeistert von dieser riesigen Plattform“, die da entstehen soll. Wer einen der über 100 Millionen MySpace-Accounts hat und das Logo eines Hostels auf seine Seite lädt, bekommt bei der nächsten Übernachtung dort einen Rabatt. „MySpaceVacancy“ nennt sich der Deal.

Auch Berni Mayer hat einen MySpace-Account. Vielleicht ist er sogar der Prototyp des Web-2.0-Users, der es versteht, den fast grenzenlosen Raum in seinem Interesse zu gestalten. Aber das Gros der Nutzer dieser ewig aufgeregten, ständig schnatternden Online-Welt, das sich per Video, Blog und Foto in Szene setzt, muss erst damit umzugehen lernen, dass man sie auch bemerkt. Wahrscheinlich wird Berni Mayer irgendwann wieder seltsame Briefe ohne Absender im Briefkasten finden. Aber eines wusste er schon beim ersten Mal: Darüber schreiben wird er nicht.