Auf halber Höhe

Lange Worte, kurze Texte: Im Vergleich mit der US-„Vanity Fair“ fehlt der deutschen Ausgabe des Gesellschaftsmagazins einfach der Tiefgang

VON JULIE SIPLE

Die riesigen Werbebanner prangen Stockwerke hoch über Hamburg und Berlin. In tiefem Schwarz und strahlendem Gold versprechen sie „Das neue Magazin für Deutschland“. Nach Monaten eines ähnlich überdimensionierten Hypes gibt es sie nun seit ein paar Wochen: die deutsche Vanity Fair.

Doch feiern sollte man lieber nicht zu früh – denn schon in diesen ersten Ausgaben deutet sich an, dass dieses mit riesigen Erwartungen gestartete Spin-off wohl nie an das amerikanische Original herankommen wird. Vanity Fair USA wird überall gelesen, ach was: bewundert – in den luxuriösen Sommerhäusern auf Cape Cod genauso wie in den angesagtesten Salons von L. A. Die LeserInnen baden in der ungewöhnlichen Mischung aus Entertainment und knallharter Politik, aus high und low culture: Da schicken sich die „Dreamgirls“ über ganze Hochglanz-Fotostrecken an, Hollywood zu erobern. Und gleich daneben steht eines der seltenen Interviews mit den Neocons, die im Hintergrund den Irakkrieg vorbereitet haben. Große, tiefgründige Porträts von Präsidentschaftskandidaten sind nur ein paar Seiten von den Glamour-Fotos mit Topmodel Tyra Banks entfernt. Die Redakteure der US-Version von Vanity Fair wissen: Auch wenn sich smarte Leser genau wie alle anderen Menschen gern von Starpower verführen lassen, verlangen sie nach mehr – nach Substanz.

Auf den ersten Blick löst dies auch „das neue Magazin für Deutschland“ ein: ganze Seiten mit brillant fotografierten Superstars. Anzeigen für Klamotten und Accessoires, die sich kein Leser wirklich leisten kann. Artikel über Wladimir Putins neue Weltordnung und den wirtschaftlichen Erfolg smarter Jungtürken in Deutschland. Und wie beim großen US-Vorbild folgt auf solch schwere Politkost geistreicher Klatsch. Wie sie dann so am Kiosk liegt, sieht das wirklich wie meine Vanity Fair zu Hause aus. Nur dass die Stars nicht ganz so berühmt sind – und deutsche Wörter einfach zu lang.

Doch bei näherer Durchsicht dieses an sich respektablen Angebots fällt leider auf, dass die tiefschürfenden Artikel in Wahrheit gar nicht so tiefschürfend sind. Sie gehen gerade mal über drei Seiten, höchstens vier – und bieten eher selten investigative Recherche oder substanzielle Analyse. In der aktuellen US-Ausgabe findet sich dagegen eine siebenseitige Reportage des Bestellerautors Sebastian Junger („The Perfect Storm“). Junger riskierte Kopf und Kragen – und gab vermutlich ein Vermögen aus – um Rebellen durch das Nigerdelta zu verfolgen, deren Ziel es ist, die Ölproduktion des fünftgrößten Erdöllieferanten der USA zu sabotieren. Das Ergebnis ist ein intelligentes Stück über Öl, Politik und die Menschen, die wirklich den höchsten Preis dafür bezahlen.

Und Junger ist nur ein Beispiel aus einer ganzen Reihe von sehr bekannten, hochbezahlten Reportern, die für die US-Vanity Fair schreiben. Ihre Arbeit gibt dem Magazin Gewicht.

Das ist auch der Grund, warum Vanity Fair einen der größten Scoops der letzten Zeit hatte: Jahrzehnte wurde international spekuliert, wer hinter „Deep Throat“, der geheimen Quelle bei der Aufdeckung des Watergate-Skandals, steckte. Als er seine Identität schließlich enthüllte, tat er es in Vanity Fair. Schwer vorstellbar, dass sich in der deutschen Ausgabe etwas Vergleichbares findet. Wirkliche Enthüllungen sind bisher Fehlanzeige, außerdem wollen schließlich knapp 200 Seiten gefüllt sein – und das jede Woche. Hier liegt vermutlich auch das eigentliche Problem des „neuen Magazins für Deutschland“. Die US-Ausgabe erscheint monatlich – wie aber wollen Chefredakteur Ulf Poschardt und sein Team solche Höhen jeden Mittwoch erklimmen?

Um fair zu sein: Die deutsche Vanity Fair steckt noch in den Kinderschuhen, und Poschardt könnte es reißen. Doch die ersten Ausgaben zeigen deutlich, dass das alles andere als einfach wird. Denn er müsste ein paar seiner Stars und Sternchen opfern – für mehr Substanz. Schließlich sehen wir AmerikanerInnen die Deutschen vor allem so: als Volk mit Tiefe und Intellekt. Da fällt es schwer, sich vorzustellen, deutsche LeserInnen könnten sich in eine Vanity Fair verlieben, die nicht den Topjournalismus bietet, dem wir alle längst verfallen sind.

Julie Siple arbeitet für den Radiosender Minnesota Public Radio. Im Rahmen eines Journalisten-Austauschprogramms ist die US-Amerikanerin für zwei Monate bei der taz.