„Das muss man aufschreiben!“

Die Blogger Katharina Borchert, 34, und Stefan Niggemeier, 37, über alte und neue Medien, die Zukunft der Massenkommunikation und die Mission der Blogger

STEFAN NIGGEMEIER, geboren 1969, betreibt gemeinsam mit Christoph Schultheis www.bildblog.de, das sich kritisch mit den kleinen und großen Fehlern der Boulevardzeitung Bild auseinandersetzt und heute das meistgelesene deutsche Blog ist. Vorher war er Medienredakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) FOTO: BERND HARTUNG

MODERATION HANNAH PILARCZYK

taz: Frau Borchert, im letzten Eintrag in Ihrem Blog beschweren Sie sich über ein Porträt von Ihnen aus der Süddeutschen Zeitung. Funktioniert so weiterhin die Arbeitsteilung zwischen „alten“ und „neuen Medien“: Zeitung schreibt, Blog korrigiert?

Katharina Borchert: In diesem Fall war das tatsächlich so. Allerdings gehe ich in meinem Blog sehr selten auf klassische Medienthemen ein. Ich schreibe ja dieses furchtbar tagebuchartige, schlimm selbstreferenzielle Ding. Aber es gibt schon den Stand der Blogosphäre wieder. Ohne klassische Medien hätten wir vielleicht nur rund ein Fünftel aller Weblogs. Auf jeden Fall wären viele ärmer, weil ihnen das Referenzmedium fehlen würde.

Stefan Niggemeier: Insofern ist es aber schon typisch, weil man als Blogger jetzt die Möglichkeit hat zu antworten, wenn man sich in der Zeitung falsch dargestellt fühlt. Was hatte man vor fünf Jahren noch für Möglichkeiten? Man konnte einen Leserbrief schreiben oder beim Chefredakteur anrufen. Aber eine Öffentlichkeit hatte man nie.

Sie haben das Bildblog mal als eine Art „Mission“ bezeichnet. Wie viel missionarischer Eifer ist nach dreieinhalb Jahren Bloggen noch da?

Niggemeier: Ganz viel. Ab und zu haben wir zwar einen Durchhänger, aber der dauert höchstens einen Tag. Dann schlägt man die Zeitung auf und liest wieder etwas so Unglaubliches, dass man denkt: Das muss man aufschreiben. Die Wut kommt immer wieder.

Frau Borchert, wie fing es mit Ihrem Blog Lyssas Lounge an?

Borchert: Furchtbar unmissionarisch. Im Zuge des 11. Septembers 2001 habe ich das erste Mal von Weblogs gelesen. Daraufhin habe ich mich in ein paar Blogs eingelesen und war von der ersten Minute an „hooked“: Diese sehr direkte Kommunikation, dieses wahnsinnig Subjektive fand ich einfach spannend. Nach ein paar Monaten habe ich dann meinen eigenen Blog gestartet – anonym, weil ich gar nicht wusste, was daraus werden würde. Wie sich das in fünf Jahren entwickeln würde, damit habe ich nicht gerechnet.

Niggemeier: Vielleicht muss ich die Sache mit der Mission doch relativieren. Im Nachhinein wirkt es so, als hätten wir einen Plan gehabt, das größte deutsche Blog zu werden. Aber wir wussten auch nicht, was daraus werden würde. Am Anfang stand für uns das Bedürfnis, den Ärger über die Bild-Zeitung loszuwerden: „Wir wollen das aufschreiben“ war für uns entscheidend – und nicht „Wir wollen, dass das zehntausend Leute lesen“.

Borchert: Wer bloß bloggt, um berühmt zu werden, scheitert. Als Leserin merkt man sofort, dass da kein Mitteilungsbedürfnis dahinter steckt, sondern nur Egomanie.

Die Blogger, die Sie für das WAZ- Portal anwerben, werden allerdings bezahlt. Macht es einen Unterschied, wenn man für Geld bloggt?

Borchert: Das können wir erst sagen, wenn das Portal gestartet ist. Aber vielleicht funktioniert es tatsächlich nicht. Mit der Bezahlung wollten wir vor allem dem Vorwurf begegnen, dass wir Journalisten durch unbezahlte Blogger ersetzen. Im Gegenteil: Die Blogger sollen gerade keine klassischen redaktionellen Arbeiten machen. Aber wenn ich jemanden damit beauftrage, so und so oft aus seiner Region oder zu einem Thema zu bloggen, dann kann ich ihn auch dafür bezahlen.

Bislang wird aber oft genug die Unterscheidung gemacht: Blogger schreiben aus Leidenschaft und Journalisten aus Geldgründen. Lässt sich das noch aufrechterhalten?

Borchert: Nein, aber das fand ich noch nie zutreffend. So gut bezahlt sind Journalisten für meine Begriffe auch nicht, als dass sie ohne Leidenschaft funktionieren könnten.

Niggemeier: Aber euch muss das Kunststück gelingen, dass die Leute bei euch weiterhin aus eigenem Antrieb bloggen. Es verändert das Schreiben schon, wenn man weiß, dass man dafür Geld bekommt – und vor allem eine bestimmte Menge an Text produzieren muss.

Sie sprechen aus eigener Erfahrung? Seit Januar 2006 kann man ja auch auf Bildblog Werbung schalten. Der Springer Verlag hat sich bereits beim Presserat beschwert, dass Sie nur noch aus kommerziellen Gründen Beschwerden gegen den Verlag einreichen.

Niggemeier: Wir sind freie Journalisten, die von ihrer Arbeit für Bildblog leben wollen. Aber wenn die Bild-Zeitung überraschenderweise ab morgen verantwortungsvollen Journalismus betriebe, dann fänden wir ein anderes Betätigungsfeld. Allerdings ertappt man sich schon mal bei dem Gedanken, dass es blöd für die Anzeigenkunden ist, wenn man seit drei Tagen nichts mehr gepostet hat – weil dann die Besucherzahlen runtergehen. Aber im Zweifelsfall nehmen wir das in Kauf.

Bernd Kundrun, der Vorstandvorsitzende von Gruner + Jahr, spricht bereits vom Web 3.0 – einem Web, in dem das unüberschaubare Angebot aus der Version 2.0 durch Gatekeeper stark strukturiert ist.

Niggemeier: Ich glaube eher, dass die Leute lernen, sich nicht auf Gatekeeper zu verlassen, sondern sich ihre Medien selbst zusammenbasteln: ihren Lieblingskolumnisten aus der Zeitung zusammen mit ihrem Lieblingsblogger. Gatekeeper sind vor allem wichtig für Leute, die nicht mit dem Internet aufwachsen und sich an der alten Ordnung orientieren. Die zählen darauf, dass es von den klassischen Gatekeepern, wie es bislang die Zeitungen oder Fernsehsender sind, Pendants im Internet geben wird.

Borchert: Die meisten der Medienmarken, die es jetzt gibt, werden meiner Meinung nach in zehn Jahren nicht verschwunden sein. Je höher die Medienkompetenz der Leute ist – und die steigt unaufhörlich –, desto mehr werden die Marken aber an Relevanz verlieren. Ich schätze, dass Glaubwürdigkeit von Inhalten dann vor allem an einzelnen Personen und Autoren festgemacht wird.

Niggemeier: Als Gefahr bei der Individualisierung von Medien sehe ich allerdings, dass die Gemeinsamkeit verloren geht. Dass wir alle in derselben Welt leben, fast alle um acht Uhr die „Tagesschau“ sehen und eine ähnliche Vorstellung davon haben, was in der Welt geschieht. Da habe ich doch Angst davor, dass das verloren geht. Schon jetzt merke ich, dass ich, seit ich so viel im Internet unterwegs bin, Freunde habe, mit denen es plötzlich wenig gemeinsame Gesprächsthemen gibt, weil sie sich in ganz anderen Welten bewegen. Das wird sich noch verstärken.

Borchert: Gemeinschaftserlebnisse, wie es früher noch „Wetten, dass …“ war, wird es bald nur noch alle vier Jahre geben – nämlich die Fußball-WM. Der Rest wird unter den Tisch fallen. Wobei die Trennung nicht hauptsächlich zwischen Wirklichkeit und Blogosphäre verläuft. Wenn ich mich nur in Strickblogs rumtreibe, dann besteht meine Welt auch nur aus Strickblogs – da findet die Fragmentalisierung auch innerhalb der Blogs selber statt.

Ein ziemlich düsteres Bild der Zukunft.

Niggemeier: Ja, manches daran ist schon beunruhigend. Ich finde die Vorstellung zwar großartig, dass Leute nicht auf Massenmedien angewiesen sind, sondern ihnen ganz viele verschiedenen Informationsquellen zur Verfügung stehen – ich glaube, das macht die Leute klüger. Ich möchte aber auch nicht, dass die Massenmedien komplett wegfallen und Leute ihr Wissen über den 9/11 nur noch aus Verschwörungs-Foren haben.

Borchert: Das Problem ist doch aber, dass die Leute letztlich doch faul sind und dazu tendieren, nur das zu lesen und wahrzunehmen, was eh schon ihrer Überzeugung entspricht.

KATHARINA BORCHERT, geboren 1972, ist Chefredakteurin des Online-Portals der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ). In der Blogosphäre wurde sie bekannt mit ihrem Blog auf www.lyssas-lounge.de, einem privaten Tagebuch, das sich schnell großer Beliebtheit im Netz erfreute FOTO: BERND HARTUNG

Aber das gilt ja auch für die Wahl der Zeitung: Da kaufen die LeserInnen auch nur die Blätter, die schon auf ihrer Linie liegen.

Niggemeier: Aber Zeitungen haben zumindest häufig ähnliche Themen auf der Titelseite. Das kann man auch kritisch sehen, manchmal denke ich aber auch, dass das gut ist – einfach weil es bei einer Art gesamtgesellschaftlicher Kommunikation hilft.

Wie muss denn die Arbeitsaufteilung zwischen Massenmedien und fragmentarischem Web sein, damit die Massenmedien überleben?

Niggemeier: Erst mal muss man sagen, dass Massenmedien ziemlich gute Chancen zum Überleben haben: Sie bilden die Leute aus – im besten Fall zu guten Rechercheuren und guten Schreibern. Sie bezahlen Leute dafür, an einer Geschichte nicht nur einen Tag, sondern drei Wochen dranzubleiben. So haben die Massenmedien ganz viel auf der Haben-Seite – denen müsste gar nicht so bange sein vor der Zukunft, wenn sie sich nur auf ihre Qualitäten besinnen würden.

Borchert: Die Zeitungen müssen aber erst noch kapieren, dass ihre Kernkompetenz nicht ist, schwarze Farbe auf Papier zu schmeißen. Reine Masse zu produzieren, das macht mittlerweile das Internet. Ich erwarte vor allem von den Zeitungen schon noch, dass sie ihre Schwerpunktsetzung und auch ihre Arbeitsweisen verändern. Nur Agenturmeldungen abzudrucken, reicht nicht mehr. Die habe ich bis zum nächsten Morgen schon im Internet gelesen, im Radio gehört und im Fernsehen gesehen. Von den Zeitungen erwarte ich dann gut recherchierte Hintergrundberichterstattung.

Nochmal zur Kommerzialisierung von Blogs. Ein Blog, der in den letzten Wochen im Gespräch war, ist der von Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling – weil er von VW gesponsert wird. Untergräbt so etwas die Glaubwürdigkeit von Blogs?

Borchert: Nein, Horst Schlämmer ist insofern ein schlechtes Beispiel, als es eine PR-Aktion ist. Da gab es nicht erst ein Weblog, das dann kommerzialisiert worden ist.

Niggemeier: Ich glaube, bei Blogs wird es alles geben: Es wird streng private, nicht kommerzielle Blogs geben. Es wird kommerzielle Blogs wie Horst Schlämmer geben, die einfach Werbung sind. Und es wird ziemlich viele unangenehme Erscheinungen geben, wo jemand unterwandert wird, wo sich jemand verkauft, ohne es öffentlich zu machen. Da ist die Blogwelt nicht besser als der Rest der Welt …

Borchert: … oder die ARD. Ich finde die Diskussion um die Kommerzialisierung von Blogs zwar momentan etwas hysterisch, aber auch wichtig. Es ist gut, wenn sich Leute Gedanken darüber machen, wie sie mit Werbung und PR in Weblogs umgehen wollen. Das macht Blogs aber nicht schlechter, und schon gar nicht glaube ich, dass deswegen die Blogosphäre mit ihrem schönen „Reinheitsansprüchen“ zum Untergang verdammt ist. Vielmehr werden Blogs Werbung so einbinden, wie es bei Zeitungen oder im Fernsehen auch der Fall ist. Und die User werden die Werbung auch genau so ausblenden.