Debatte: Das Klima als Merkel-Propaganda

Plötzlich reden alle vom Klima - besonders Kanzlerin Angela Merkel. So sollen die sozialen Konflikte in EU und G 8 kaschiert werden.

Die EU steckt in einer tiefen Krise. Viele Menschen sind unzufrieden mit der sozialen Unsicherheit, ihren prekären Jobs, der wachsenden Armut und Ungleichheit. Nun entdeckt die EU eine neue Quelle gemeinsamer Identität: die Rettung des Klimas. Vom EU-Rat kehrte Angela Merkel als strahlende Siegerin zurück. In der deutschen Öffentlichkeit wurde sie für zwei Beschlüsse bis 2020 gefeiert: 20 Prozent weniger CO2 sowie 20 Prozent erneuerbare Energien am Energiemix der Gemeinschaft. Solar-Papst Franz Alt jubelt: "Die sinnsuchende Gemeinschaft von 27 Ländern kann weltweit zum Motor der solaren Energiewende werden. Der Durchbruch für erneuerbare Energien und die Hoffnung auf die solare Energiewende wird künftig einen neuen Namen tragen: Angela Merkel."

Mit dieser europäischen Vorlage will die Gastgeberin nun beim G-8-Gipfel in Heiligendamm die Klimawende durchsetzen. Am Wochenende haben sich zu diesem Zweck die G-8-Umweltminister in Potsdam getroffen. Die G 8 hat ähnliche Probleme wie die EU. Zwischen den Mitgliedsländern gibt es enorme politische Spannungen, und die unsozialen Ergebnisse ihrer neoliberalen Politik werden immer weniger akzeptiert. Das zeigt sich etwa bei der Welthandelsorganisation (WTO) und beim Internationalen Währungsfonds (IWF), die beide maßgeblich von der G 8 dominiert werden. Die WTO-Verhandlungen kommen nicht voran, denn die Entwicklungsländer verlangen einen fairen Deal und die Industrieländer können ihre Interessenpolitik nicht mehr durchsetzen. Vom IWF wiederum will kaum noch ein Entwicklungsland dessen vergifteten Kredite haben. Jahrelanger Dauerbeschuss der globalisierungskritischen Bewegung, vereint mit einigen progressiven Entwicklungsländern, haben die Machtmaschinen der Industrieländer gebremst. Die G 8 ist weltweit zum Symbol einer zerstörerischen neoliberalen Politik geworden.

Trotzdem, selbst von einer dermaßen delegitimierten Institution wie der G 8 muss man fordern, den Klimaschutz voranzubringen. Nur Selbstmörder und Zyniker können es in der gegenwärtigen Klimakrise ablehnen, jeden Strohalm zu ergreifen. Dies entspricht einer alten Tradition, auch der Linken: So sehr die Kapitalisten verhasst waren - Verbesserungen der Arbeitsbedingungen wurden von ihnen natürlich eingefordert. Es ist legitim, auch an eine illegitime Institution legitime Forderungen zu richten.

Allerdings darf bezweifelt werden, ob effektive Klimapolitik mit der Politik der G 8 vereinbar ist. Da ist zunächst das Glaubwürdigkeitsproblem. Während Merkel international Klimaschutz deklariert, macht sie im Inland rückständige Politik und vertritt in der EU kurzsichtige Interessen der deutschen Verschmutzerindustrien. Deutschland hat kein Tempolimit. Wenn die EU strenge CO2-Grenzwerte für Pkw festlegen will, kommen die härtesten Querschüsse aus Berlin. Deutschland plant sechs neue Braunkohle- und 17 Steinkohlekraftwerke. Flugverkehr wird subventioniert, der Bau neuer Flughäfen und Landebahnen öffentlich gefördert. Die Bahn als umweltfreundlichstes motorisiertes Verkehrsmittel soll nicht etwa massiv ausgebaut werden, sondern in die Hände privater Investoren fallen. Seit Jahren fehlt der Wille, die Energieeffizienz konsequent zu forcieren und neben dem erfolgreichen Ausbau erneuerbarer Energien zu verfolgen. Auch die EU wird voraussichtlich ihr international verbindliches Kioto-Ziel verfehlen, die Emissionen von Treibhausgasen um 8 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Zudem werden die Minderungen entgegen der internationalen Zusagen nicht vor allem im Inland erbracht - stattdessen werden Klimaschutzmaßnahmen in der dritten Welt finanziert. Ohne Erfolge im Inland kann man jedoch schwerlich von Schwellen- und Entwicklungsländern eigene Klimaschutzanstrengungen verlangen.

Noch größere Widersprüche gibt es zwischen der neoliberalen Globalisierung und effektiver Klimaschutzpolitik. Die Öffnung der globalen Märkte für Kapital und Waren führt in immer größere Ungleichheit und Umweltzerstörung. Internationale Klimapolitik wird nicht gelingen, wenn nicht gleichzeitig der Globalisierungsprozess sozial und demokratisch unter Kontrolle gebracht wird. Dazu drei Beispiele:

Die Entwicklungs- und Schwellenländer sind die Hauptleidtragenden des Klimawandels. Nach dem Verursacherprinzip müssten eigentlich die Industrieländer für die immensen Schäden aufkommen. Dazu sind angesichts von Flüchtlingsströmen, Dürren und Überschwemmungen enorme finanzielle Anstrengungen notwendig. Statt also von den Entwicklungsländern zu verlangen, dass sie ihre Schulden von insgesamt zwei Billionen Dollar zurückzahlen, wären diese zu streichen und die Entwicklungshilfe massiv zu erhöhen.

Außerdem benötigen die Entwicklungs- und Schwellenländer Zugang zu effizienten Technologien. Für die rasche Verbreitung zukunftsfähiger Innovationen ist entscheidend, dass Entwicklungs- und Schwellenländer diese Technologien selbst produzieren und weiterentwickeln können. Dazu müssen geistige Eigentumsrechte innovationsfreundlich beschränkt und Schlüsseltechnologien in die Entwicklungsländer transferiert werden. Das ist genau das Gegenteil der von Angela Merkel für den G-8-Gipfel geforderten scharfen Durchsetzung von Patenten weltweit. Ähnlich wie bei Medikamenten und Saatgut sind ressourcenschonende Technologien überlebensnotwendig, die den Entwicklungs- und Schwellenländern weitgehend kostenlos zur Verfügung stehen müssen.

In den Industrieländern wird Klimaschutz nur durchsetzbar sein, wenn es zu einer sozialen Trendwende kommt. Bis 2050 muss der CO2-Ausstoß um 80 Prozent gesenkt werden, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu vermeiden. Dieses Reduktionsziel birgt viele Chancen auf neue Jobs und wirtschaftliche Entwicklung. Gleichzeitig werden viele Menschen sich umstellen müssen. Ein solches Maß an Veränderung wird nur bei sozialer Sicherheit akzeptiert. Mit neoliberaler Arbeitspolitik à la Hartz IV und Armutsrenten ist das nicht vereinbar. Ebenso ist kaum denkbar, dass die sich verschärfenden Unterschiede zwischen Arm und Reich mit anspruchsvollem Klimaschutz zusammengehen. Die steigenden Energiepreise werden der sozialen Spaltung eine weitere Dimension geben. Die einen können sich weiterhin Flugreisen und Luxuslimousinen leisten, während andere ihre Heizkosten kaum noch bezahlen können. Unwahrscheinlich, dass dies akzeptiert wird. Klimaschutz braucht soziale Gerechtigkeit.

Klimapolitik ist also viel mehr als Umweltpolitik. Sie stellt grundlegende Gerechtigkeitsfragen - die von Regierungen immer nur unter starkem öffentlichen Druck beantwortet wurden. Diesen Druck sollten soziale Bewegungen, Nichtregierungsorganisation und Gewerkschaften in Heiligendamm massenhaft aufbauen. SVEN GIEGOLD

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