Fundamental oder linksreal

POLIT-STRATEGEN Die Linksfraktion hat dem Senats-Haushaltsentwurf zugestimmt. Warum, weiß sie nicht. Darum tabuisiert ihr Vorstand nun die Frage nach Koalitions-Optionen tabuisieren

Die Fraktionsvorsitzenden der Linken, Monique Trödel und Peter Erlanson, haben erklärt, sie bedauerten, dem Haushaltsentwurf des Senats zugestimmt zu haben. „War es ein kolossaler kollektiver Black-out?“, fragt der sozialpolitische Sprecher der Linken, Volker Schmidt, im „offo2“, dem internen Diskussionsforum. „Dann müssen sofort ärztliche Atteste beigebracht werden!“ Amnesie sei unter Politikern verbreitet. „Und wer hat es nicht schon einmal an sich selbst erlebt, dieses merkwürdige Gefühl, man wäre nicht man selbst.“ Heimtückisch sei die Infektion wie die Schweinegrippe – ohne Hoffnung auf einen Impfstoff.

VON KLAUS WOLSCHNER

Darf ein Linker sich mit der Frage „beschäftigen“, was nach der Wahl 2011 denkbar ist, falls der derzeitige rot-grüne Senat nicht mehr die Mehrheit in der Bürgerschaft hat? Darf er nicht, das hat der Fraktionsvorstand der Linkspartei vergangene Woche beschlossen. Wörtlich: „Alle Mitglieder der Partei DER LINKEN werden von uns aufgerufen, sich nicht zum jetzigen Zeitpunkt mit der Wahl und Koalitionsmöglichkeiten von 2011 in Bremen zu beschäftigen.“

Anlass für diesen Beschluss war ein Vorfall in der jüngsten Bürgerschaftssitzung, der parteiintern Wellen geschlagen hatte: Die Fraktion hatte geschlossen dem Haushaltsentwurf 2010 in erster Lesung zugestimmt. Sie bedauerten das, erklärten die Fraktions-Vorsitzenden Monique Trödel und Peter Erlanson, konnten aber auch nicht erklären, wie das gekommen war. Eine Woche zuvor nämlich hatte die Fraktion darüber in Abwesenheit des Haushaltsexperten Klaus-Rainer Rupp beraten und es war klar, dass man dagegen stimmen wollte – wie im Parlamentarismus üblich. In der Debatte war Rupp dann mehrfach auf die Rednertribüne gegangen und hatte, als die Abstimmung aufgerufen wurde, seine Hand gehoben. In einem gewissen Reflex hoben die anderen auch die Hand.

Damit habe die Fraktion den Wählerwillen „grob missachtet“, schrieb der Kreisvorstand Bremerhaven. Wenn wirklich ein Fall infektiöser Amnesie vorliege, müsse die Fraktion schnell zum Arzt und sich Atteste besorgen, ätzte der sozialpolitische Sprecher der Partei.

Rupp meinte, er verstehe die Aufregung nicht. Es sei doch nur darum gegangen, den Haushaltsentwurf in die Ausschüsse zu überweisen – hätte die Linkspartei mit der CDU dagegen gestimmt, wäre das optisch auch nicht besser gewesen.

Dahinter gibt es aber ein tiefer gehendes Problem. In einem internen Papier hatte Rupp formuliert, die Fraktion müsse „in ihrer Arbeit strategischer, zielstrebiger und konkreter werden“. Wenn die Folgen der Finanzkrise zu drastischen Einbrüchen bei den Steuereinnahmen führten, könnte Bremen „so etwas wie ein Lagerwahlkampf CDU/FDP gegen SPD/Grüne drohen“. Trotz der „graduellen Unterschiede in der Sozial und Umweltpolitik“ stünde die „Einhaltung des Sanierungspfades im Vordergrund“. In einem solchen Wahlkampf schienen dann „zentrale Forderungen der Linken von vornherein undurchsetzbar.“ Seine Schlussfolgerung: „Schwarz/gelbe Politik muss verhindert werden.“ Gar nichts hält er davon, gemeinsam mit der CDU auf rot-grün einzuschlagen: „Die Demontage von rot-grün mit der CDU nützt uns nichts.“ Sie würde im Gegenteil „soziale Politikansätze diskreditieren“. Im Kontext der bundesweiten Debatten über Koalitionsbildungen mit der Linken wird daraus deutlich, dass Rupp im Zweifel für eine Zusammenarbeit mit Rot-Grün wäre.

Die Zustimmung zum Haushalt war ein Fehler, räumte Rupp ein, nachdem die Aufregung innerhalb seiner Partei hoch kochte. Die Debatte um die strategische Ausrichtung der Linken sei davon aber unberührt. Der Streit sollte nun in nichtöffentlicher Sitzung ausgefochten werden, hieß es gestern Vormittag. Die Fraktionssitzung ist ausgefallen, erklärte Fraktionsgeschäftsführer Leo Schmidt am Nachmittag: wegen Wahlkampf-Terminen der Abgeordneten. Die Fraktion stehe aber – auch ohne Debatte – geschlossen hinter der Erklärung des Vorstandes.

Zweifelhaft: „Man kann nicht verordnen, wann etwas diskutiert wird“, kommentierte der Abgeordnete Jost Beilken den Beschluss. Die Frage, welche Optionen für die Linkspartei in Bremen nach der nächsten Wahl bestehen, „steht im Raum“.