taz-Debattenserie Digitalisierung: Im digitalen Ramschladen

Ohne Spotify, Apple Music & Co. geht nichts, aber Musiker profitieren kaum davon. Es wird Zeit für einen neuen Anlauf zu einer Kulturflatrate.

Eine Kegelrobbe trägt einen roten Kopfhörer auf dem Kopf und hat die Augen geschlossen

Noch ein bisschen Musik gefällig? Das kostet aber! Foto: dpa

Ob Taylor Swift, Thom Yorke, Farin Urlaub, Geoff Barlow (Portishead) oder natürlich Sven Regener: Selten sind sich Popmusiker so einig wie in der Frage, wie sie die durch das Musikstreaming generierten Verdienste denn so finden. Fast alle kommentieren die Kleinstbeträge, die Spotify, Apple Music & Co. in die Kassen spülen, nur spöttisch bis zynisch. Karl Bartos, ehemaliges Kraftwerk-Mitglied, sagte in einem Gespräch in Bezug auf Spotify einmal: „Was die Digitalisierung leistet? 30 Millionen Songs verwalten! Unser akustisches Weltkulturerbe wird da verramscht für nix.“

Die Zahlen geben ihnen allen recht. Das Musikbranchenmagazin Digital Music News hat vor gut einem Jahr errechnet, dass die Einnahmen für die Künstler zwischen 0,001 Euro (YouTube) und 0,015 Euro (Tidal) pro abgerufenem Song lagen (wenn ein Song also 100.000 Mal gespielt wird, erhält die Band oder der Solokünstler zwischen 100 und 1.500 Euro – brutto). Spotify und Apple Music, weltweit führend im bezahlten Musikstrea­ming, liegen dazwischen. Wobei man dazusagen muss, dass hier nur die Beträge ausgewertet wurden, die am Ende beim Künstler ankamen – dazu später.

Erst mal einige Trends auf dem Musikmarkt: In den Ländern mit tradi­tio­nell starker Popkultur (USA, Deutschland, Großbritannien) zeichnet sich ein Siegeszug des Streaming ab. In den USA ist 2016 bereits mehr Geld durch bezahltes Streaming erwirtschaftet worden als durch die anderen Formen des Musikkaufs: 38 Prozent des Markts, meldete die Musikwebsite Pitchfork, decken Streamingdienste ab. Spotify hatte 2016 weltweit rund 100 Millionen Nutzer, etwa 40 Millionen davon zahlend. Einzig: Es kommt wenig bis nichts bei den Künstlern an. Wo geht das Geld hin?

Das genau zu beziffern ist unmöglich – auch wegen der Intransparenz des Musikgeschäfts. Im Spiegel wies Philipp Oehmke vor einem Jahr darauf hin, dass viele Einnahmen auf dem Weg zwischen Dienstleister und Künstler – dazwischen liegen Label und Musikverlag – versickern. Eine „Black Box“ nannte Talking-Heads-Mastermind David Byrne das. Es ist jedenfalls zu einfach, nur die bösen Streaming-Dienste verantwortlich zu machen. Es gibt einen weiteren Trend: Einknicken vor der Marktmacht.

Anfang November einigten sich Gema und YouTube nach jahrelangem Streit auf eine Pauschalabgabe. Nutzer atmeten auf: Schluss mit dem Tut-mir-leid-Emoji und den gesperrten Musikvideos! Ob das aber wirklich ein nachhaltig guter Deal war? Man darf mutmaßen, dass die Gema von den einst geforderten 0,375 Cent pro Stream für ihre insgesamt 70.000 Klienten weit abgerückt ist. Vertragsdetails verschwiegen beide Seiten.

Markt und Profit

Auch die Musiker selbst beugen sich dem Markt. Sie sagen: Ohne unsere Musik via Streaming anzubieten, geht es nicht – das ist so, als wäre man nicht da.

Alternative Vergütungsmodelle wie eine staatliche Kulturflatrate – im Bundestagswahlkampf 2013 noch Lieblingsthema der Grünen – gelten als Schnee von gestern. Idee der Kulturflatrate war es, einen monatlichen Abgabebetrag für User einzuführen und so den privaten Dateienaustausch zu legalisieren. Auch wegen juristischer Hürden (etwa Änderungen im EU-Recht) scheinen durch die Bank alle des Themas Urheberrecht müde.

Dabei sollten transparente Alternativen dringend auf den Tisch. Eine umfangreiche Studie im Auftrag des Verbraucherministeriums zur Urhebervergütung im digitalen Zeitalter (April 2016) stützt diese Forderung. Setze sich der Trend fort, würden „einzelne Plattformen [. . .] mit einiger Wahrscheinlichkeit weiterhin in ihren Bereichen sehr große Marktanteile haben und als profitorientierte Unternehmen etwaige Marktmacht ausnutzen“, heißt es unter anderem in der Studie. Das gelte für Film wie für Musik. Dass Rechteinhaber zukünftig besser dastünden, wenn „profitorientierte Plattformen wie Amazon, YouTube oder Spotify die Standards setzen“, sei zweifelhaft, schreibt Kultur­ökonom Christian Handke von der Erasmus-Universität Rotterdam. Es ist daher Unsinn, dass mit Unternehmen wie Spotify „die Kulturflatrate wahr geworden“ sei, wie in dieser Debattenreihe zu lesen war.

Viele Einnahmen versickern auf dem Weg zwischen Dienstleister und Künstler

Handkes Studie, die den deutschen und niederländischen Markt untersuchte, hat spannende Zahlen parat. Im Nachbarland würde eine Abgabe von 1,75 Euro pro Monat ausreichen, damit die Musikrechteinhaber auf höhere Erlöse kämen, als sie sie aktuell online erwirtschaften. Für Deutschland hat man eruiert, wie viel Geld alle illegalen Nutzer von Musikaufnahmen, Filmen und Büchern theoretisch an Rechteinhaber zu zahlen hätten. Daraus hat man eine monatliche Pauschalabgabe ermittelt, die dem entspricht. Heraus kamen 14,70 Euro pro Internetanschluss. Gleichzeitig wären 61 Prozent der Menschen hierzulande bereit, monatlich 16 Euro zu zahlen. Handke sagt, er selbst habe das Modell Kulturflatrate skeptisch gesehen – nach den Ergebnissen seiner Studie bewerte er es anders. Höchst überfällig sei ein neuer Anlauf – er empfiehlt, ein System mit freiwilligen Abgaben zu erproben.

Frustrierend ist die Unbeweglichkeit hierzulande. In Norwegen hat die Nationalbibliothek ein Modell entwickelt, dank dem man etwa 135.000 Bücher abrufen kann, ohne dass die Urheber verhungern: Pro abgerufener Seite erhalten die Autoren 4 Cent. Toll für den Nutzer wie für Autoren.

Wie der Versuch auch aussehen mag – man möchte nur sagen: Tut was! Als 1963 Kassettenrekorder den Markt eroberten, brauchte die Politik zwei Jahre, um das Urheberrecht anzupassen. Fast 20 Jahre nach der Gründung der Tauschbörse Napster noch achselzuckend dazustehen, ist armselig – und macht Künstler arm.

Die Serie zur Digitalisierung unter taz.de/digidebatte

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