taz-Gespräch mit Robert Habeck: Ist Grün noch sexy?

In Rendsburg sprach taz.meinland mit dem Grünen-Politiker Robert Habeck über die Rolle der Grünen vor den Wahlen in Schleswig-Holstein.

Im Gespräch über die Zukunft und Chancen der Grünen: Barabara Junge, Robert Habeck und Jan Feddersen (v. l. n. r.) Bild: Jann-Luca Zinser

von JANN-LUCA ZINSER und VOLKAN AĞAR

Fast 100 Leute waren dabei, als taz.meinland im schleswig-holsteinischen Rendsburg am Nord-Ostsee-Kanal mit dem aufstrebenden Grünen-Politiker Robert Habeck sprach. Es sollte um Inhalte und Ziele gehen – und um die Frage nach einer Zukunft jenseits von Rechtspopulismus und Gesellschaftsspaltung.

Der promovierte 47-Jährige ist seit der Landtagswahl 2012 stellvertretender Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. An diesem sonnigen Sonntag stellt er sich im Nordkolleg, einem Institut für Erwachsenenbildung, den Fragen der taz.meinland ProjektleiterInnen Barbara Junge und Jan Feddersen.

Ihnen und den ZuhörerInnen erzählte er die – besser: seine – grüne Geschichte. Können wir uns entspannt zurücklehnen, weil die Umfragewerte der AfD in den Keller rutschen? Darauf antwortet Habeck mit einer Gegenfrage: „Was wäre, wenn wir der erste Landtag wären, in den die AfD nicht reinkommt?“ In Schleswig-Holstein sehen die Institute die Rechtspopulisten bei fünf bis sieben Prozent.

Für die Bundestagswahl sieht es auch nicht besser aus: sieben bis neun Prozent. Vor einem Jahr wurden der Partei noch 15 Prozent prophezeit. Das freut Habeck, hat er es sich doch zum zweitwichtigsten Wahlziel gemacht, den Landtagseinzug der AfD in Schleswig-Holstein zu verhindern.

Lobende Worte für die FDP

Er erklärt sein Verhältnis zu den anderen Parteien, die inhaltlichen Differenzen mit der CDU, findet gar lobende Worte für die FDP. Der einzige Vorwurf der ihm dabei über die Lippen kommt: Der Vorstoß der Christdemokraten, Schweinefleisch-Pflicht in öffentlichen Kantinen, Schulen und Kitas einzuführen. Eher eine unglückliche Idee. 

Jahrgang 1969, ist Spitzenkandidat für Bündnis'90/Die Grünen in Schleswig-Holstein. Seit 2012 ist er stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Energiewende, Landwirtschaft und Umwelt.

Bei all den freundlichen Worten drängt sich natürlich die Frage auf, ob mögliche Koalitionen offen gehalten werden sollen. Habeck sieht das pragmatisch. Am liebsten möchte er die Koalition mit den Sozialdemokraten und dem SSW, dem Südschleswigschen Wählerverband, der die dänische Minderheit vertritt, fortführen.

„Nicht so viel über andere Parteien reden, sondern eigene Themen zusetzen“, plädiert er daraufhin. Die Themen, die an diesem Sonntag auf den Tisch kommen: soziale Ungleichheit, Migration, Sozial-ökologische Transformation. „Es ist kein als Zufall, dass die glücklichsten Menschen der Republik in Schleswig-Holstein leben“ sagt Habeck.

Das sei das Ergebnis politischer Arbeit. Und für Glück gebe es Indikatoren: faire Entlohnung, Sicherheit, aber auch postmaterielle Werte wie Naturerlebnisse und Umweltschutz. Glück sei mittlerweile ein politisches Feld, den Parteien müsse das bewusst sein.

Sozialstaat mit Würde

Dennoch: Trotz Glück stehen auch in Schleswig-Holstein Arbeitsplätze auf der Kippe: „Wir können es nicht dulden, dass sich Menschen nach unten verabschieden“, denn „eine Gesellschaft, die meinland sagen will, muss auch in dieser Hinsicht intakt bleiben.“ 

Dafür fordert Habeck mehr Sozialstaatspolitik, eine Absicherung des Lebensunterhalts in einer globalisierten Welt, und zwar unabhängig von Erwerbsarbeit. Dass er ein „Anhänger von Grundeinkommensmodellen“ sei, sei kein Geheimnis, denn „Menschen müssen ihre Würde behalten.“

„Das ist in jeder Hinsicht bescheuert. Wir müssen das Bescheuerte sein lassen.“

Beim Thema Migration hält sich Habeck – anders als viele andere dieser Tage, die sich linksliberal positionieren – auch nicht verdeckt. Er wirbt dafür, die Ausbildungsangebote für Geflüchtete auszubauen, erzählt von Vorzeigeprojekten, dem sogenannten Flüchtlingsgipfel der Landesregierung und lobt sogar Allianzen mit konservativen Verbänden, wie dem Unternehmensverband, die sich in diesem Bereich vorbildlich engagierten.

Immer wieder schiebt Habeck Anekdoten zwischen seine Thesen ein – um diese mit Leben zu füllen. Dabei müssen die Gekommenen, die ganz verliebt zuhören, eigentlich nicht mehr überzeugt werden, von ihrem „Robert“.

Klassische grüne Themen sind nicht mehr attraktiv

Ein junger Mann aus Afghanistan, erzählt Habeck, habe nach kurzer Zeit in Deutschland schon fließend Deutsch gesprochen, er studiere, um Richter zu werden, und sei sogar schon grünes Parteimitglied – und jetzt habe eben dieser junge Mann einen Abschiebebescheid erhalten. Eine zukünftige demokratische Kraft abschieben?

„Das ist in jeder Hinsicht bescheuert. Wir müssen das Bescheuerte sein lassen“, antwortet er auf die rhetorische Frage. Deswegen: Ein Einwanderungsgesetz muss her, weil das bisherige Rechtssystem ungenügend sei. Es sei ein permanenter Fehler der Bundesrepublik, allen Menschen, die nach Deutschland kommen, nur ein einziges Eintrittsfenster zu gewähren, das Asylrecht. 

Viele seien bei diesem falsch aufgehoben. Ein Einwanderungsgesetz könne die Katastrophen im Mittelmeer verhindern, und kontrollierte Einwanderung ermöglichen. Was Habeck auch fordert: eine Amnestie für alle, die schon da sind, sich eingelebt und Leistungen erbracht haben.

Mit Blick auf die Beliebtheitswerte der Grünen diagnostizieren derzeit viele, diese hätten keine Themen mehr. Auch klassisch grüne Themen, heißt es, seien nicht mehr attraktiv. Doch selbst diese bringt Habeck in Rendsburg mit einem Elan rüber, der jene Diagnosen verstummen lässt.

Aufstiegschancen und weniger Ressourcenverbrauch

Dass die Weltwirtschaft sich in den nächsten 20 Jahren verdoppeln werde, heiße, dass eines möglich werde: „Aufstiegschancen für möglichst viele Menschen mit immer weniger Ressourcenverbrauch." Habeck kritisiert das ungleiche Nord-Südverhältnis, er spricht von westlicher Arroganz, von ökologischen Grenzen westlicher Lebensweisen.

Und trotzdem: „Wir sind nun mal Menschen, die einen Fernseher und einen Kühlschrank haben wollen.“ Deshalb sei die Energiewende ein dramatischer Konflikt, aber nicht unmöglich. Schön und gut, diese Vorsätze und Ideen. Aber wie setzt man sie um?

„Wir sind nun mal Menschen, die einen Fernseher und einen Kühlschrank haben wollen.“

Zum ersten Mal werden skeptische Stimmen aus dem Publikum laut: Ein Gast kritisiert, die Grünen hätten sich zu sehr in das Parteiensystem einbinden lassen. Der Musiker und Lehrer Hans Niehaus, auch im Publikum, klingt wütender: „Wenn ein Rechtssystem existiert, das Pro-Besitz und nicht Pro-Konsument ist, dann ist das nicht meinland!“ „Alles eine Frage des politischen Willens, von politischen Mehrheiten“, antwortet Habeck souverän wie sonst auch im anderthalbstündigen Gespräch. Der Atomausstieg sei das beste Beispiel dafür, dass gute Strategien zu Erfolg führen können.

Deswegen gelte es, nicht in der Defensive zu verharren, sondern offensiv zu werden. Für Habeck heißt das: die eigene Geschichte zu erzählen, nämlich eine grüne, die für Weltoffenheit und Klimaschutz steht – jenseits des schrillen Tons: „Zwischen Schwarz-Grün-bürgerlich und Rot-Rot gibt es noch eine Mitte“.

Und was sagt Habeck zum Thema Heimat? Diese sei nichts vorgegebenes, denn „Heimat ist das Ergebnis unserer Taten“. Es ist schwer, einen wunden Punkt beim Diskussionspartner zu finden. An diesem Nachmittag hat er viele Antworten parat, die die Anwesenden überzeugen, oder ihnen zumindest das Widersprechen erschweren. So resümiert Moderator Feddersen bei diesem taz.meinland-Gespräch kurz und knapp: „Sexappeal sells“.