taz-Suche nach „entarteter Kunst”: Zurück ins Bewusstsein

Die Harry-Fischer-Liste verzeichnet 16.000 Werke meist jüdischer und von den Nazis verfemter Künstler. Die taz hat die Liste nun digitalisiert.

Seite 71: Werke Emil Noldes im Bestand des Schlesischen Museums Breslau 1936. Bild: taz/Victoria & Albert Museum

Über Jussuf Abbo ist kaum etwas bekannt. 1888 in Palästina geboren, studierte Abbo ab 1911 an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Der Bildhauer und Grafiker wurde Mitglied des Deutschen Künstlerbunds. Abbo lebte bis 1935 in Deutschland. Dann flieht der Palästinenser jüdischen Glaubens vor der Rassenverfolgung nach London.

Thomas Gerlach ist seit 2012 bei der taz und arbeitet im Ressort Recherche & Reportage als Reporter. Er kaufte 1992 sein erstes Ölbild für fünfzig Dollar von einem Maler aus dem weißrussischen Witebsk.

Zwei Jahre später durchkämmten NS-Kunstkommissionen alle staatlichen Museen und konfiszierten Werke der „Verfallskunst”, darunter 23 Grafiken und Drucke von Abbo. Als „entartete Kunst” sollten seine Werke nicht mehr in Deutschland zu sehen sein, so wie Hunderte Werke verfemter Künstler wie Otto Dix, Emil Nolde, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Ernst Ludwig Kirchner oder Lyonel Feininger.

Doch im Gegensatz zu diesen ist Abbo nahezu vergessen – so wie viele der 1.421 geschmähten Künstler. Die Werke und ihre Urheber sollten aus dem Gedächtnis der Deutschen getilgt werden. Jetzt sind sie wieder da. Seit dem 1. November bietet die taz auf taz.de eine Suchmaschine (siehe unten), mit der sich alle Künstler, deren Arbeiten als „entartet” in der sogenannten Harry-Fischer-Liste aufgeführt sind, finden lassen.

16.000 Kunstwerke, mit bürokratischer Akkribie aufgelistet

Die Liste entstand 1941/42 in Joseph Goebbels NS-Propagandaministerium und erfasst nahezu alle Werke der „entarteten Kunst”, ihre Urheber, Verkäufer und ihren Verbleib. Rund 16.000 Kunstwerke und -mappen, samt Künstlernamen, Titel, Technik und Raubnummer, oft mit Namen des Kunsthändlers und ihre Deviseneinnahmen.

In der taz.am Wochenende vom 1. November 2014 schrieb Thomas Gerlach eine umfangreiche Reportage über die Harry-Fischer-Liste und die beiden Forscher Hans Prolingheuer und Andreas Hüneke. Den vollständigen Artikel von Thomas Gerlach können sie hier als PDF herunterladen.

Die komplette Liste tauchte zwar 1997 in London wieder auf, ist aber erst seit diesem Jahr öffentlich zugänglich. Kurz bevor der sogenannte Gurlitt-Skandal die Öffentlichkeit erreichte, kam Hans Prolingheuer in den Besitz einer Kopie. Als erstmals Bilder aus der Sammlung von Cornelius Gurlitt präsentiert wurden, schossen Spekulationen ins Kraut.

Anlass für den Dortmunder Kirchenhistoriker, in einem Index sämtliche Künstler zu erfassen, deren Werke aus den Museen entfernt wurden. Prolingheuer hat dem taz-Ressort Reportage und Recherche dieses Suchsystem zur Verfügung gestellt, um es einer möglichst großen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Er ist Grundlage der Suchmaschine, die in Zusammenarbeit mit OpenDataCity entstanden ist.

Wertvolle Grafiken für 140 Euro auf Ebay

Der Blick in die vergilbten Seiten, die Maschinenschrift, die akkuraten handschriftlichen Einträge, die Namen der Kunsthändler, lassen das Ausmaß dieses Staatsraubs erahnen, der bis heute nicht gesühnt ist. „Entartete Kunst” kann legal gehandelt werden. Hitlers Gesetz von 1938, das den Raubzug rechtlich erlaubte, wurde in der Bundesrepublik nie kassiert.

Auf 39 Seiten hat Prolingheuer Namen zusammengetragen; der des verfemten Jussuf Abbo ist der erste. Abbos Werke hingen in Hamburg, Mannheim, Chemnitz. Heute werden seine Grafiken für 140 Euro bei Ebay angeboten. Zur Herkunft der Werke findet sich nichts. Ein Blick in die Liste könnte erhellend sein.

Jussuf Abbo starb 1953 in London. Zuletzt soll er sich mit Gelegenheitsjobs verdingt haben.

THOMAS GERLACH

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