Blood & Honour und der NSU: Ruheraum für Rechtsextreme

Das Neonazi-Netzwerk Blood & Honour fing den NSU im Untergrund auf. Erst jetzt durchdringen die Behörden die engen Verbindungen zum Trio.

Chemnitz muss sich häufig mit der rechten Szene auseinandersetzen. Bild: dpa

BERLIN taz | Das nach dem Kommunisten Heckert benannte Gebiet im Chemnitzer Südwesten muss Ende der 1990er so etwas wie ein sicherer Hafen für Rechtsextreme gewesen sein. Allein in der Friedrich-Viertel-Straße 85 sollen in einem halben Dutzend Wohnungen Neonazis gehaust haben.

Einer von ihnen war der damals in der Szene um das Naziskin-Netz „Blood & Honour“ aktive Thomas R. Was bisher nicht bekannt war: Bei dem heute 42-Jährigen kamen die späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in den ersten Wochen ihrer Flucht Anfang 1998 unter. So hat Thomas R. es den Beamten des BKA in einer Vernehmung erzählt. Bis 2000 oder 2001, so der Chemnitzer weiter, habe er den Kontakt zu Mundlos gehalten. Von Morden oder anderen Straftaten aber will er nichts mitbekommen haben.

Es ist nicht die einzige Aussage eines Ehemaligen aus der Blood-&-Honour-Szene, die die enge Einbindung des Trios in das internationale Militantennetzwerk zeigt. Auch einer der wichtigsten früheren Blood-&-Honour-Aktivisten Sachsens, Thomas S., hat den Ermittlern allerhand Erhellendes erzählt. Er kennt Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe schon seit Anfang der 90er.

Sie hätten sich auf einem Konzert der Neonaziband „Oithanasie“ kennen gelernt, später schrieb das Trio S. Briefe, als dieser im sächsischen Waldheim im Knast saß. Nach seiner Entlassung 1996 hatten Zschäpe und der heute 44-Jährige einige Monate sogar ein „Techtelmechtel“, wie Thomas S. dem BKA in seiner Vernehmung sagte.

Ein Päckchen voller Sprengstoff

Noch brisanter ist das Eingeständnis des Ex-Blood-&-Honour-Mannes, dass er dem Trio einst eine schuhkartongroßes Päckchen voller Sprengstoff besorgt hat; vermutlich handelt es sich um die knapp 1,4 Kilogramm TNT, die 1998 nach Untertauchen der drei in deren Garage in Jena gefunden wurde.

Mutmaßliche Wohnungen des NSU in Zwickau und Chemnitz. Bild: taz-Grafik

Die Sache mit dem Sprengstoff ist aber längst verjährt – genauso wie die Tatsache, dass Thomas S. es war, der die Strippen zog, als das Trio nach der Flucht 1998 in Chemnitz untertauchte. Ob der wegen Terror-Unterstützung beschuldigte Thomas S. je angeklagt wird, ist zweifelhaft. Aus heutiger Sicht wird aber immer deutlicher, dass die Behörden dem Trio im Untergrund über dessen Einbindung ins Blood-&-Honour-Netz auf die Spur hätten kommen können – vielleicht sogar müssen.

Von März bis Mai 2000 hatte der sächsische Verfassungsschutz immer wieder auch das Haus Friedrich-Viertel-Straße 85 im Chemnitzer Südwesten observiert. Doch zu dem Zeitpunkt waren die drei Neonazis längst nicht mehr dort – ihr neuer Unterschlupf befand sich in einer Plattenbausiedlung wenige hundert Meter davon entfernt.

Adressen und Telefonnummern ignoriert

Unabhängig von der Fahndung nach dem Trio durchsuchte dann am 13. November 2000 das sächsische Landeskriminalamt Thomas S. damalige Wohnung in Dresden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen die Blood-&-Honour-Band „Landser“. Auf einem Notizblock standen die Namen von Mundlos und Zschäpe und vier ihrer mutmaßlichen Helfer, zum Teil mit Adresse und Telefonnummer – doch die Informationen wurden ignoriert und verstaubten in der Asservatenkammer.

Zwölf Jahre später geht das BKA nun einer interessanten These nach: ob das von Sommer 2000 an diskutierte NPD-Verbotsverfahren und die Zerschlagung des deutschen Blood-&-Honour-Ablegers im September 2000 ein Motiv für den NSU gewesen sein könnte, vollends zum Terror zu greifen – zum selben Zeitpunkt begannen die Neonazis das Morden.

„Nach hiesiger Einschätzung“, schreibt das BKA in einem Vermerk, sei „das Verbot der B&H Division Deutschland möglicherweise ausschlaggebend für die Gewalttaten des NSU“ gewesen. „Denn durch dieses Verbot wurde eines der größten Netzwerke der rechten Szene aufgelöst.“ Belege für diese doch recht spekulative These gibt es aber nicht.

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