Szene-Krieg in Göttingen: Antifa erwischt falsche Zielgruppe

Göttinger Linksautonome haben ein Tattoo-Studio angegriffen, weil sie dort Neonazis sahen. Was sie nicht wussten: einige Gäste kamen aus der Rockerszene.

Ziel des Angriffs vom Samstag: das Tattoo-Studio in Göttingen. Bild: Jakob Epler

GÖTTINGEN taz | Die Antifa in Göttingen hat, offenbar versehentlich, die Rockerszene provoziert. Das befürchtet zumindest die Polizei. Von einer „ganz seltenen Gemengelage, die sich durch Zufall ergeben hat“ spricht der Einsatzleiter der Göttinger Polizeiinspektion, Gerd Hujahn. Weil sie Übergriffe der Rocker befürchtete, schützte die Polizei am Wochenende ein linkes Wohnprojekt.

Begonnen hatte alles mit einem Angriff auf das Tattoo-Studio „Jenny B’s“ am vergangenen Samstag. Er galt anscheinend Neonazis, die sich dort aufhielten. Während der Eröffnungsfeier des Studios habe „eine Gruppe schwarz gekleideter und vermummter Personen das Geschäft angegriffen, mit Schlagwerkzeugen Scheiben eingeschlagen und Teile des Mobiliars beschädigt“, berichtete die Polizei. Sie gehe davon aus, „dass die Täter in den Reihen der linken Szene“ zu suchen seien. Zeugen hätten beobachtet, wie die späteren Angreifer aus einem nahe gelegenen linken Wohnprojekt zum Studio kamen und nach der Tat wieder in das Wohnprojekt flüchteten.

Wenig später bekannten sich auf der Internet-Plattform linksunten.indymedia.org „einige Antifas“ zu dem Angriff. Bei der Eröffnungsfeier des Studios seien „mindestens drei stadtbekannte Nazis“ anwesend gewesen, hieß es dort. „Wir haben die Provokation, in der Roten Straße ein rechtsoffenes Tattoo-Studio zu eröffnen, angemessen beantwortet.“

Keine rechten Kontakte

Die Polizei bestätigt, dass die Neonazis im Laden waren. Allerdings soll die Besitzerin keine Kontakte in die rechte Szene haben. Vermutlich habe sie gar nicht gewusst, dass sich Nazis in ihrem Laden aufhalten. Die Feier war öffentlich, zum Zeitpunkt des Überfalls waren laut Polizei etwa 70 Gäste zugegen, darunter auch Kinder.

Was die Antifas offenbar nicht wussten: im Laden waren auch Mitglieder von Rockerclubs. Seine Beamten hätten bei der Zeugenbefragung entsprechende Tätowierungen der Anwesenden bemerkt, sagt Hujahn. „Rot-Weiß“, mutmaßt er und meint damit die Farben der Hells Angels. „Natürlich fühlen die sich da auf die Füße getreten, aber es war kein Angriff gegen ihre Gruppierung.“ Der Laden sei kein neuer „Rockerstützpunkt“, allerdings habe die Besitzerin Freunde und Kunden, die zu dieser Szene gehörten.

Man sei mit der Besitzerin des Tattoo-Studios im Gespräch, sagt Hujahn. Außerdem suche man Kontakt zur linken Szene und „wir sprechen Leute an, von den wir glauben, dass sie die Hells Angels in Göttingen repräsentieren“. Hujahn glaubt, dass die Angreifer lediglich die Neonazis treffen wollten und dabei zufällig „die falsche Zielgruppe erwischt haben“.

Angst vor Racheakten

Die Polizei wollte zunächst das Wohnprojekt durchsuchen, in das die Angreifer geflüchtet waren. Die Göttinger Staatsanwaltschaft stellte jedoch keinen Durchsuchungsbefehl aus. Stattdessen schützten Polizisten bis in die frühen Morgenstunden des folgenden Sonntags das Gebäude. Das sei nötig gewesen, „damit es nicht aus der Wut heraus zu Racheakten kommt“, sagt Hujahn. „Wir wissen, dass da eine Menge Unmut ist.“

Mittlerweile hat sich die Lage scheinbar beruhigt. Die Polizei rechnet jedenfalls nicht mehr damit, dass es zu Übergriffen kommen könnte: „Keine Seite hat Interesse, einen Dauerkonflikt aufzumachen“, so Hujahn. Er glaubt, dass es sich letztlich um ein Missverständnis handelt. Diesen Streit habe die linke Szene eigentlich gar nicht haben wollen.

Das zeigte sich auch auf der Kundgebung gegen Neonazis am Sonntag, an der 170 bis 200 Personen teilnahmen. In den Redebeiträgen ging es auch um den Angriff auf das Tattoo-Studio vom Vortag: „Man muss über die Vorgehensweise streiten und es ist besondere Aufgabe antifaschistischer Politik, Mittel und Zweck stets in ein Verhältnis zueinander zu setzen“, soll laut linksunten.indymedia.org ein Redner gesagt haben. Das „eigentliche Problem“ sei aber erst entstanden, „weil sich aktive Mitglieder der organisierten Neonazi-Szene in Südniedersachsen ohne irgendeinen Widerstand in Göttingen bewegen konnten“.

Von Rockern war auf der Kundgebung keine Rede.

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