Flüchtlingspolitik der EU: Bloß keine Zugeständnisse

Merkels Regierung will in Brüssel eine liberalere Flüchtlingspolitik verhindern. Das belegt ein internes Papier aus dem Auswärtigen Amt.

Flüchtlingscamp auf Lampedusa: Innenminister Friedrich sieht keine Überlastung Italiens Bild: reuters

BERLIN taz | Vor Kurzem wehte noch ein Hauch von Liberalisierung durch die Union. Als sich die Verhandler von CDU, CSU und Grünen zu Sondierungsgesprächen trafen, registrierten Letztere verblüfft neue Töne von Horst Seehofer: Ein Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft sei heutzutage schwer zu vermitteln, sagte der CSU-Chef. Und deutete Erleichterungen für Asylbewerber an.

Ob dieser neue Sound die schwarz-roten Koalitionsverhandlungen überlebt? Fest steht allerdings, dass es auf europäischer Ebene anders aussieht. Dort setzen Angela Merkels CDU und Innenminister Hans-Peter Friedrich ihre harte Linie fort. Die bisherige Bundesregierung wehrt sich gegen substanzielle Verbesserungen für die Flüchtlinge, die in Booten aus Nordafrika über das Mittelmeer setzen, um in der Europäischen Union Schutz zu suchen.

Eine internes Papier aus dem Auswärtigen Amt, das der taz vorliegt, skizziert, wie das deutsche Team um Merkel auf dem anstehenden Europäischen Rat argumentieren will. Das Schreiben hat die EU-Koordinierungsgruppe des Ministeriums verfasst, es wurde von anderen Referaten abgesegnet und enthält Vorschläge für Änderungen an einem Gipfel-Beschlusstext. Ebenso gibt es Ratschläge für den Fall, dass andere Mitgliedsstaaten eine „stärkere Sprache zu europäischer Solidarität fordern“.

Sie lauten, kurz gesagt: abbügeln, bloß keine Zugeständnisse machen. Merkel fährt mit Beton nach Brüssel.

Flüchtlinge kommen erst zum Schluss dran

Am Donnerstag und Freitag treffen sich dort die Regierungschefs der EU. Auf der Tagesordnung stehen Debatten über die digitale Wirtschaft oder die Wirtschafts- und Währungsunion. Das brisanteste Thema, nämlich die Flüchtlingssituation am Mittelmeer und auf der italienischen Insel Lampedusa, diskutieren die Staatschefs am Freitagvormittag, kurz vor ihrer Heimreise.

Für Deutschland skizziert das interne Dokument eine unmissverständliche Linie: „Wir haben einen Rahmen der europäischen Asyl- und Migrationspolitik, den wir jetzt umsetzen, einhalten und ausfüllen müssen, aber nicht grundsätzlich in Frage stellen sollten.“ Für die Bundesregierung sei entscheidend, „dass die Aufgaben der Task Force wie im Textentwurf vorgesehen auf bestehende Politiken und Instrumente beschränkt bleiben“.

Ebenjene Task-Force hatten die EU-Innenminister vor gut zwei Wochen beschlossen. Sie soll Staaten wie Italien finanziell helfen, beim Grenzschutz unterstützen und Kooperationen mit nordafrikanischen Ländern ausloten. Die Expertengruppe zielt also darauf ab, Flüchtlinge erfolgreich von Europas Grenzen fernzuhalten.

Staaten wie Italien oder Griechenland, die an der Südgrenze Europas liegen, klagen seit Langem, dass sie von der Last der vielen Flüchtlinge erdrückt werden. Sie sind nach EU-Recht verpflichtet, die Hilfe suchenden Menschen aus Afrika oder Krisenregionen aufzunehmen.

Keine legale Anreise für Asylsuchende

Die Union sperrt sich dagegen, diesen Zustand wirklich zu ändern. Sie wehrt sich strikt gegen einen anderen Verteilungsschlüssel zwischen den EU-Staaten oder humanitäre Flüchtlingsvisa, die Asylsuchenden die legale Anreise ermöglichen und Schlepperbanden aushebeln würden. „Das Dublin-II-Abkommen steht nicht auf der Tagesordnung des Rates“, hieß es dazu am Mittwoch in Regierungskreisen. Das Abkommen, das den Istzustand festschreibt, steht nicht zur Debatte.

Der CSU-Innenminister zitiert gerne eine Statistik, um dies zu unterstreichen. In Deutschland kamen im Jahr 2012 rund 945 Asylbewerber auf 1 Million Einwohner, in Italien dagegen nur 260. Das zeige, „dass die Erzählungen, dass Italien überlastet ist mit Flüchtlingen, nicht stimmen“, betonte Friedrich.

Doch diese Statistik zeigt nur die halbe Wahrheit. Hierzulande wird nur ein kleiner Teil der Menschen, die sich um Asyl bewerben, auch tatsächlich akzeptiert. 2012 entschieden die Behörden über knapp 62.000 Asylanträge, sie bewilligten aber nur gut ein Viertel davon. Die Zahl der Bewerbungen taugt nicht als Beleg für Deutschlands Offenheit.

Zudem stellen viele der Ankommenden in Ländern wie Italien oder Griechenland keinen Antrag. Weil es dort kein funktionierendes Asylsystem gibt, wollen die Flüchtlinge weiter. Das allerdings verbietet ihnen das EU-Recht, und so sitzen sie in den südlichen EU-Staaten als Illegale oder Internierte fest – und fallen aus der Statistik heraus.

SPD und Grüne kritisierten die starre Haltung der Regierung. Der Europaexperte der Grünen-Fraktion, Manuel Sarrazin, sagte: „Es ist angesichts der Lage im Mittelmeer und anderswo unbegreiflich, dass die Bundesregierung auf dem Gipfel offenkundig noch nicht einmal über die dramatische Situation der Flüchtlinge reden, geschweige denn Ergebnisse erreichen möchte.“

Und die SPD? Der migrationspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rüdiger Veit, betonte: „Wir brauchen eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in Europa.“ Den genauen Weg dorthin will die Sozialdemokratie bis zu ihrem Parteitag im November entscheiden. Bis dahin kann sie schon mal in den Koalitionsverhandlungen unter Beweis stellen, wie sehr ihr das Thema am Herzen liegt.

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