Umbau der Forschungslandschaft: Die Machtfrage stellen

Eine nachhaltige Forschung wurde von Umweltverbänden und Forschern vor zwei Jahren gefordert. Auf einer Konferenz wurde jetzt Bilanz gezogen.

Der wissenschaftliche Nachwuchs ist eine der tragenden Säulen für den Umbau des Forschungssystems. Bild: dpa

EBERSWALDE taz | Vor zwei Jahren hat die Umweltbewegung der Wissenschaft einen Tritt versetzt. Der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) veröffentlichte sein Manifest „Nachhaltige Wissenschaft“, in dem er den deutschen Forschern zu wenig Einsatz für Ökothemen und eine Transformation der Gesellschaft in Richtung nachhaltige Entwicklung vorwarf. Die heutige Wissenschaft sei „autistisch“, blind für die brennenden gesellschaftlichen Herausforderungen und zu wirtschaftshörig.

Was ist seitdem geschehen? Hat die Kritik Wirkung gehabt? In dieser Woche wurde in einer Konferenz des BUND mit der Hochschule für nachhaltige Entwicklung im brandenburgischen Eberswalde eine Zwischenbilanz gezogen. Ergebnis: Fortschritte sind erkennbar, aber womöglich sind Tempo und Umfang des Wissenschaftswandels doch zu gering, um den Globalproblemen wirksam gegenzusteuern.

„Ich spüre, es kommt Bewegung ins System“, sagt Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Er war seinerzeit im wissenschaftlichen Beirat des BUND einer der Hauptautoren der Streitschrift und hat im letzten Jahr mit seinem Buch „Transformative Wissenschaft“ die Blaupause zum nachhaltigen Umbau der deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen vorgelegt.

In rot-grün regierten Bundesländern, wie Baden-Württemberg, wurde schon mit der Umsetzung in Form von „Real-Laboren“ begonnen. Selbst der Wissenschaftsrat erörtert derzeit, ob die „Grand Challenges“ der Gesellschaft, wie Klimawandel und Demografie, von den deutschen Forschern angemessen bearbeitet werden.

Auch Steffi Ober, Wissenschaftsexpertin des Naturschutzbundes (Nabu), die seit Sommer 2012 die vom Bundesumweltministerium geförderte zivilgesellschaftliche Plattform „Forschungswende“ koordiniert, ist über die bisherige Resonanz „sehr erstaunt“. Es gebe vielfältige Aktivitäten von Kiel bis Augsburg. „Wir kommen Schritt für Schritt weiter“.

Die Plattform, in der sich Umweltverbände und andere zivilgesellschaftliche Organisationen zusammengeschlossen haben, hatte seine größte politische Bewährungsprobe im Forschungsausschuss des Bundestages zu bestehen. Die CSU attackierte die „Forschungswende“, sie wolle „nach 60 Jahren Forschungslenkung“ durch Nazis und Kommunisten die Wissenschaft erneut an die Zügel nehmen, diesmal der Nachhaltigkeit. Das Bekenntnis zur Wissenschaftsfreiheit ist seitdem in jeder Stellungnahme der Forschungswende obligat.

Das Forschungsministerium finanziert

Auf offene Türen stießen die Wissenschaftsveränderer bislang im zuständigen Bundesministerium für Forschung und Bildung (BMBF). Die Forderung nach 1 Milliarde Euro Forschungsgelder für Nachhaltigkeitsthemen sei längst erfüllt, rechnete der zuständige Ministerialbeamte Wilfried Kraus auf der Eberswalde-Konferenz vor. Weitere 340 Millionen Euro gebe es für ein Forum zur wissenschaftlichen Begleitung der Energiewende. Im neuen Fona-Programm (Forschung für Nachhaltigkeit), das in diesem Jahr starte, seien 3,3 bis 3,5 Milliarden Euro für Nachhaltigkeitsprojekte vorgesehen.

Auch die Bürgerorientierung kommt dem BMBF leicht über die Lippen. „Für uns ist Wissenschaft ein Dialogprozess“, sagt Kraus. „Wir müssen die Kommunikation mit der Gesellschaft viel früher beginnen und die Bürger dort abholen, wo sie sich befinden.“ Dazu gehöre dann aber auch, nicht nur die Leistungen der Hochenergiephysiker am Deutschen Elektronen-Synchrotron Desy in Hamburg verständlich zu erklären, sondern auch die Frage zuzulassen: „Ihr verbraucht Strom für 100.000 Haushalte – geht’s nicht etwas sparsamer?“

Bisher hatten die Wissenschaftstransformateure einen Schwerpunkt auf der Forschung. Die Ökoforscher bündelten sich im Verbund „NaWis“ (Wuppertal, Kassel, Lüneburg, Potsdam) und dem Institutsnetzwerk „EcoRNet“, zu dem jüngst auch das Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung hinzugekommen ist.

Nur schwer zu bewegen

„Jetzt kommt aber die härteste Nuss für uns: die Hochschulen“, erklärt Schneidewind. Deren Problem ist die disziplinäre Ausrichtung und die verkrusteten Machtstrukturen. „Das Wissenschaftsystem hat eine unglaubliche Beharrungskraft“.

„Die Themen der Forschungswende haben wir schon in den 90er Jahren diskutiert“, kritisiert der Trierer Soziologe Bernd Hamm. „Aber wir kommen nicht voran, weil wir die Machtstrukturen in der Wissenschaft nicht angreifen.“ Auf der Eberswalder Konferenz war die „Machtfrage“ der hitzigste Diskussionspunkt. Rudi Kurz von der Hochschule Pforzheim, derzeit Leiter der Wissenschaftskommission des BUND, verwies auf die Rolle der Hochschulräte, von denen viele mit Wirtschaftsvertretern besetzt sind und auf diesem Wege das Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ und ihrer Wirtschaftsausrichtung durchsetzten. Dies müsse sich ändern.

Als weiterer Veränderungsmotor wurden in Eberswalde die Studierenden ausgemacht. Sie kommen mit frischen Ideen in die erstarrte Alma Mater und bleiben dort nur einige Jahre, gehören nicht zur langfristigen Machtstruktur.

Stärker einmischen

Hannes Bever vom studentischen „Netzwerk N“ (für Nachhaltigkeit) will erreichen, dass sich die Studierenden stärker in die Themensetzung ihrer Hochschulen einmischen. „Sie sollen Themen einfordern und sich ihre Lehrenden quasi selbst erziehen“, schwebt Bever vor.

Ein erster Schritt ist das Projekt „Wandercoaching“ des Netzwerks, das in diesem Monat begonnen hat. In jeweils zweitägigen Workshops werden Studenten dazu trainiert, anstoßgebende „Change Agents“ an ihrer Hochschule zu werden. Eine Aktivität ist unter anderem die Verwendung umweltfreundlicher Kaffeebecher. Um in diesem Jahr 15 Hochschulen zu erreichen, finanziert das Bundesforschungsministerium dem Netzwerk drei halbe Personalstellen.

Als nächste Etappe des deutschen Wissenschaftsumbaus könnte die „Bürger-Hochschule“ Gestalt annehmen, die neueste Idee von Uwe Schneidewind. „Dies ist eine Hochschule , die die Gesellschaft als Ganzes zum Ausgangspunkt ihrer Forschung und Lehre nimmt“, erklärt der Wuppertaler Forscher. Zentrale Ansätze der Bürgerhochschule ist mehr Interdisziplinarität im Innern und ein organisierter „Brückenschlag in die Gesellschaft“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.