Das Montagsinterview: "Ich konnte in eine Fantasiewelt flüchten"

Robert Jarowoy wurde vom Revolutionär und linken Verleger zum Kommunalpolitiker der Linken. Was er in der Hamburger Bezirkspolitik erlebt, verarbeitet er in Krimis.

Sagt, er stehe immer zu dem, was er gemacht habe: Robert Jarowoy. Bild: Ulrike Schmidt

taz: Herr Jarowoy, gerade ist Ihr Buch „Die Prinzessin und der Schnellläufer“ neu verlegt worden. Ein Buch, dass Sie Ende der 70er Jahre in Isolationshaft geschrieben haben. Der Textem Verlag hält es für ein Muss für alle, die wissen wollen, warum das Che-Guevara-Poster immer noch in Ihrer Küche hängt. Was bedeutet das Buch für Sie persönlich?

Robert Jarowoy: Es ist ein Buch aus Zeiten, als Revolution noch unter Linken ein Tagesthema war und nicht nur Wahlergebnisse. Als die weltweite Bewegung vor allem von Studenten für eine neue und gerechte Gesellschaftsform entstanden ist, die gegen den Krieg, wie man ihn in Vietnam gesehen hat, und gegen die Diktaturen, die im Auftrag des Imperialismus – ich benutze dieses Wort immer noch – installiert wurden. Der Kampf gegen diese Regime wurde in einigen Ländern auch bewaffnet geführt. Er stellte sich als eine Option dar, wenn man nicht einfach im Sessel vom Wohnzimmer aus zusehen wollte.

Sie sind im Zusammenhang mit der anarchistisch orientierten „Bewegung 2. Juni“ 1973 verhaftet worden. Warum schrieben Sie?

Ich saß von 1973 bis 1977 in Isolationshaft in Frankfurt. Wie die meisten Romane ist er geschrieben, weil man irgendetwas für sich verarbeiten und weil man es für andere zugänglich machen möchte. Im Gefängnis gab es eine Methode, die damals sensorische Deprivation genannt wurde – der Entzug der sensorischen Reize. Diese Methode hatte den Zweck, einen in seiner Persönlichkeit zu destabilisieren und zerbrechen.

Was heißt das konkret?

In modernen Gefängnisanlagen, wie Frankfurt-Preugesheim und Stuttgart-Stammheim sind die Zellen eigentlich alle identisch und nur durch die Wasseranschlüsse spiegelverkehrt. Ich wurde dann immer wieder und gerade zu systematisch in spiegelverkehrte Zellen verlegt. Dazu kam, dass die Fenster Sichtblenden hatten, sodass man irgendwann nicht mehr weiß, wo man eigentlich ist. Dagegen half mir das Schreiben, denn so konnte ich mich in eine Fantasiewelt flüchten. Man schlüpft in eine Person hinein und ist auf eine Art nicht mehr in der Zelle.

60, ist auf einer Hühnerfarm in Gauchsmühle bei Nürnberg geboren und studierte Philosophie und Geschichte. Er wurde als 20-Jähriger als "anarchistischer Gewalttäter" im Zusammenhang mit der "Bewegung 2. Juni" verhaftet.

Inhaftiert war Jarowoy von 1973-1979, davon vier Jahre in Isolationshaft. Seit 1980 lebt er in Altona.

Mitte der 90er Jahre war er fast zehn Jahre lang Geschäftsführer der "Stadt-Land-Genossenschaft", einem regionalen Lieferverbund einer Gruppe ökologisch wirtschaftender Bauernhöfe.

Seit 2008 ist er in der Bezirksfraktion der Linken in Hamburg-Altona.

Und wie war es jetzt, nach 40 Jahren, die eigene Geschichte aus dieser Zeit wieder zu lesen?

Ich habe das Buch, nachdem ich es veröffentlicht hatte, nie wieder gelesen. Erst jetzt, als ich die Korrekturen gelesen habe. Es sind natürlich viele Erinnerungen hoch gekommen. Ich bin jemand, der seine Geschichte nicht verdrängt hat. Ich stehe immer zu dem, was ich in meiner Entwicklung, seit ich mich 1967 politisiert habe, gemacht habe. Auch wenn es in den unterschiedlichen historischen Phasen unterschiedliche Wege waren.

Und heute sind Sie als Bezirksparlamentarier in Hamburg- Altona gelandet…

Dass ich heute in einer Partei gelandet bin, wo ich mich früher immer als Anarchist verstanden habe, ist eine Merkwürdigkeit. Aber es hat eben bestimmte Gründe. Der Kampf in Initiativen, zu denen ich mich immer noch zugehörig fühle, hat mir gezeigt, wie problematisch es ist, wenn die wieder verschwinden und ein Loch entsteht – wie bei der Initiative zum Erhalt des Bismarckbades oder für den Kemal-Altun-Platz in Ottensen. Da war die Frage, eine Kontinuität herzustellen und deswegen habe ich mich der Linken angeschlossen. Das hat zumindest den Vorteil, dass man an bestimmte Informationen kommt.

Nun lässt sich allein von linker Politik schlecht leben…

Als ich aus dem Knast kam, wollte ich als Lektor tätig werden. Der Verlag machte aber gerade Pleite. Dann hatte ein Bekannter die Idee, dass ich doch selber einen Verlag gründen könnte und bei alten Genossen, die inzwischen irgendwas geworden sind, nach 500 Mark fragen sollte. Da sind dann einige Tausend zusammengekommen, mit denen ich 30 Titel mit ihren Beständen aufgekauft habe. Dann haben wir mit Freundinnen und Freunden Bücher im Verlag Libertäre Assoziation verlegt. Wir haben auch einen Knast-Ratgeber und andere Sachbücher über Gorleben und internationalistische Themen herausgegeben.

In den letzten Jahren haben Sie fünf Krimis zur Kommunalpolitik geschrieben. Beruhen die auf Ihren realen Erfahrungen?

Es ist schon so, dass ich von Leuten angesprochen wurde, warum ich schon 2005 wusste, dass das Altonaer Museum geschlossen werden soll. Das ist dann 2010 beinahe eingetreten und ich habe das sozusagen vorweggenommen. Ich wusste das natürlich nicht, aber es war naheliegend. Bisher ist das, was ich geschrieben habe, oft eingetreten. Es ist aber nicht so schwer, die Entwicklungen vorherzusehen, wenn man weiß, wie die Politik läuft.

Bekommen Sie schon mal Ärger, wenn sich da irgendein Altonaer Akteur in Ihren Romanen wiederfindet?

Der Erzschurke heißt bei mir Norbert Czesla und ich glaube, in Altona weiß jeder, der mit Kommunalpolitik zu tun hat, dass damit der CDU-Fraktionsvorsitzende Uwe Szczesny gemeint ist. Der kam mal auf mich zu und sagte: ’Herr Jarowoy, ich mach Ihnen einen Vorschlag, ich verklage Sie wegen Verleumdung, dann wird das Buch ein richtiger Renner und wir teilen uns die Einnahmen.‘ Ich glaube schon, dass meine Aussagen sicher nicht auf Begeisterung treffen, aber jeder weiß, dass er sich eher lächerlich macht, wenn er mich deshalb verklagen würde.

Seit fünf Jahren sind Sie in der Bezirkspolitik, haben Sie sich inzwischen mit Ihren Kontrahenten angefreundet?

Nein, angefreundet bestimmt nicht. Aber mit den Jahren und wenn man mit den Leuten mehrmals in der Woche zusammensitzt, entsteht eine gewisse persönliche Verbundenheit, die merkwürdig ist. Das ist keine Freundschaft, dafür sind die politischen Widersprüche zu groß, die wir als Linke da zu allen anderen Parteien haben.

Der Bundestagsabgeordnete der Linken Norman Paech hat das mal „Raumschiff Bundestag“ genannt, nachdem er vier Jahre dort verbracht hat. Das man sich in einem merkwürdigen Raum bewegt und denkt, dass diese komische parlamentarische Ebene, auf der vieles einfach Theater ist, etwas Wesentlicheres ist als das, was auf der Straße und in der Gesellschaft tatsächlich passiert. Das rückt in den Hintergrund, weil man tagein, tagaus mit dieser Form der Politik befasst ist. Davon kann sich niemand frei halten, deshalb sollte man sich immer fragen, was eigentlich wichtig ist.

Das spricht gegen die Partei?

Es ist aber so, dass das, was dort entschieden wird, natürlich nicht ohne Bedeutung ist. Bebauungspläne haben ganz konkrete Auswirkungen auf das Leben der Menschen, auch wenn wir als kleine Oppositionspartei die Sachen nicht gerade entscheidend beeinflussen können. Wir können aber bestimmte Sachen in die Öffentlichkeit bringen und zusammen mit Initiativen einen gewissen Druck ausüben. Manchmal haben wir Entwicklungen in eine bestimmte Richtung beeinflusst, zum Beispiel die soziale Erhaltenssatzung.

Wir reagieren die Parteien auf Ihre politische Biografie?

Da es heute das Internet gibt, ist meine Biographie sicher bekannt, zum Beispiel dass ich mit Fritz Teufel zusammen Bücher geschrieben habe. Nun ist das aber 40 Jahre her und es hat nicht so furchtbar viel mit der Tagespolitik zu tun, was man gemacht hat, als man 20 war. Bei den jüngsten Lesungen zu „Die Prinzessin und der Schnellläufer“ habe ich bemerkt, dass es eher ein historisches Interesse von jungen Leuten gibt. In jungem Alter war es für mich hochinteressant mit Leuten zu sprechen, die den Faschismus miterlebt haben, da hingen wir an den Lippen dieser wenigen, die bereit waren, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die meisten blockten damals ja völlig ab.

Sie halten es für sinnvoll, in die Bezirksarbeit so viel Zeit zu investieren?

Im Bereich Stadtplanung können Abgeordnete in den Bezirken durch die Aufstellung von Bebauungsplänen und die Genehmigung von Bauvorhaben noch am meisten mitreden. Natürlich kann ich als Mitglied einer kleinen Oppositionspartei nicht viel bewegen. Aber ich bin auch in der Kurdistan-Solidarität mit internationalistischen Themen, die über diese Kommunalpolitik weit hinausgehen, befasst. Sodass ich jetzt auch wieder, wie ich es seit 20 Jahren mache, mit einer Menschenrechtsdelegation nach Kurdistan fahre. Das ist für mich sehr wichtig.

Kommunalpolitik ist nichts für junge Leute, verständlicherweise, weil die noch nicht wissen, wo sie in ihrem Leben bleiben werden. Aber ab einem bestimmten Alter hat man sich irgendwo eingerichtet und möchte sich für das Leben an diesem Standort einsetzen. Machmal frage ich mich, ob das den Zeitaufwand und die Nerven lohnt, der dafür erforderlich ist. Ich habe mich aber dafür entschieden.

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