Carsten „Erobique“ Meyer: „Ich mag schäbige 70er-Discosongs“

Der Keyboarder Carsten Meyer nennt sich Erobique. Im Interview spricht er über Unprofessionalität, Gelassenheit und knallhartes Business in Berlin.

„Ein guter Auftritt ist wie der Buchstabe W“: Carsten Meyer. Bild: Carmen Scholle

taz: Herr Meyer, Sie sind ein alter Hase im Showbiz, Sie müssten es wissen: Wann ist ein Auftritt richtig gelungen?

Carsten Meyer: Mein Vater, der in den Sechzigerjahren selbst in einer Band gespielt hat, hat mir einen wertvollen Tipp auf den Weg gegeben: Ein guter Auftritt ist wie der Buchstabe W. Er fängt hochenergetisch an, geht ein bisschen runter, zwischendurch gibt’s eine kleine Spitze, und zum Ende hin geht’s noch mal richtig los. Es muss eine Dramaturgie geben. Die ganze Zeit nur laut und schnell, das kann jeder Trottel.

Deswegen stehen bei Ihnen neben dem DJ-Pult und den Plattenspielern immer Keyboards mit auf der Bühne. Inwiefern unterscheiden Sie sich dadurch von DJs?

Ich durchbreche die Erwartung des Publikums, dass da jemand hinter dem DJ-Pult steht, der ohne Pause auflegt und Platten ineinandermixt. Wenn vor mir jemand harten Techno auflegt, gibt’s zur Strafe erst mal fünfzehn Minuten Ballade, Elton John oder so.

Was reizt Sie daran, mit den Erwartungen des Publikums zu spielen?

Für mich ist das eine Form von Punk, der Flow wird durchbrochen. Es darf nicht nur getanzt, sondern auch gelacht, gequatscht, gesungen werden. Die Flaming Lips haben das früher toll gemacht, bei denen gab es immer diese Extraportion Kindergeburtstag: Zwischen den Songs einen Sketch oder Witz, und am Ende die große Konfettikanone. Super, oder? Da nimmt man doch mehr mit als von diesen bräsigen Indierockern, die lässig den nächsten Song ansagen. Man muss den Leuten etwas Warmes geben, das zu Herzen geht. Am besten ist es, wenn am Ende alle mitsingen.

Haben Sie deswegen immer ein paar Discohits in petto? Was genau funktioniert an Discomusik so gut?

Abgesehen von dem funky Rhythmus sind es diese Sehnsuchtsakkorde, die mich packen. Da steckt eine gewaltige Mischung aus Melancholie, Drama, Tragik und starker Sexualität drin. Gleichzeitig nimmt man sich selbst nicht so ernst dabei. Am besten gefallen mir schäbige Discosongs aus den Siebzigern, bei denen alles ein bisschen wackelt und eiert, aber die Sängerin trotzdem ihr letztes Hemd gibt.

Carsten „Erobique“ Meyer hatte bereits als Kind ein Faible für das Klavierspielen und Discomusik. In Münster aufgewachsen, ging er Ende der 90er nach Hamburg, wo er in das Umfeld der HipHop-Crew Fischmob geriet. Mit deren Mitgliedern DJ Koze und Cosmic DJ gründete er International Pony. Heute ist er an Film- und Theaterproduktionen beteiligt. Er ist bekannt für anarchische Live-Auftritte und House-Solotracks. Zuletzt arbeitete er mit Oliver Polak zusammen.

Am Freitag, 1. Februar spielt „Erobique“ im Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Str. 130, Berlin. Einlass: 20.30 Uhr, Eintritt 15 Euro.

Was fasziniert Sie daran?

Dieses Unperfekte und gleichzeitig Sehnsuchtsvolle finde ich toll. Das ist das komplette Gegenteil dieser reinen, ungebrochenen Machohaltung in der Rockmusik, die ich nie verstehen werde.

Sie haben kürzlich auch für Fraktus und die Fernsehserie „Der Tatortreiniger“ Musik produziert und arbeiten mit dem Hamburger Schauspielhaus zusammen. Wird Ihnen langweilig, wenn Sie immer nur für den Dancefloor produzieren?

Mir war es immer wichtig, viele verschiedene Sachen zu machen. Ich will etwas lernen beim Musikmachen, deswegen suche ich nach neuen Herausforderungen und arbeite mit Theatern oder Filmproduzenten zusammen. Oder eben auch mal in Gruppen, in denen ich mich unterordnen und nach den Wünschen anderer richten muss. Wenn ich nur Clubmusik machen würde, jedes Wochenende unterwegs wäre – das würde mich fertig machen, schon gesundheitlich. Die Mischung macht’s, und ich habe das große Privileg, von meiner Kunst leben zu können – das sehe ich nicht als selbstverständlich an.

Was ist der gemeinsame Nenner Ihrer verschiedenen Projekte?

Die Wärme, der Spaß an der Musik, die Herzensangelegenheit. Ich muss immer selber toll finden, was ich gerade mache. Nur einmal habe ich an etwas gearbeitet, das ich nicht ausstehen konnte.

Was war das?

Das war für die Werbung, und ich war knapp bei Kasse. Ich musste Coldplay nachempfinden, das hat richtig weh getan, ich habe gehasst, was ich tat. Dann hab ich auch noch ewig auf das Geld gewartet. Da steh ich doch lieber hinterm Bartresen oder verkaufe Schuhe, um Geld zu verdienen. Ich will gar nicht der Typ sein, der alles kann, der alles macht. Deswegen bewahre ich mir immer einen Haufen Unprofessionalität auf. Ich gehe auch zum Beispiel mal drei Tage nicht ans Handy.

Gibt es etwas, worauf Sie mal richtig Lust hätten?

Ja, ich würde gern mal wieder das Schlagzeug in einer Punkband spielen. Das habe ich früher in Münster schon mal ein Jahr lang gemacht. So richtig schön einmal die Woche mit ein paar Altpunks in den Keller und ordentlich was wegprügeln.

Auch in Berlin sind Sie am Freitag nicht solo, sondern mit großer Band unterwegs.

Ja, da stehen wir mit neun Leuten auf der Bühne. Von denen sind einige über 50, gediegene, alte Herren. Der Jüngste ist Henry, mein 16-jähriger Praktikant. Wir haben uns da eine kleine musikalische Familie aufgebaut, über Geschmacks- und Altersgrenzen hinweg.

Was verbindet Sie mit Berlin?

Meine Verbindungen nach Berlin sind mittlerweile so zahlreich, dass man sie gar nicht mehr zählen kann. Ich hab da von den knallhärtesten Businessbeziehungen bis zu den abenteuerlichsten amourösen Irrwegen alles mitgenommen.

Sie arbeiten seit mittlerweile 15 Jahren professionell als Musiker. Was hat sich einschneidend verändert in den vergangenen Jahren?

Ich bin gelassener geworden. Ich habe so viel kommen und gehen sehen, wurde in den Himmel gehypt und auf den Boden gedisst. Von Äußerlichkeiten lass ich mich einfach gar nicht mehr beeindrucken. Diese Gelassenheit ist das Schönste überhaupt, zu erkennen, dass es einfach immer weitergeht.

Das klingt aber sehr altersmilde.

Ja, in den letzten Jahren bin ich wesentlich älter geworden, viel älter als in den Jahren davor. Gib mir noch fünf Jahre, dann kommt die große Midlifecrisis.

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