Kidnapping: Rundumschutz auch für Billigflaggen

Zweimal haben Piraten Niels Stolbergs Frachter entführt. Jetzt fordert der Bremer Reeder vom deutschen Staat Militärhilfe, um seine Schiffe zu schützen. Doch die fahren unter der Flagge von Antigua.

Blieb nur 24 Stunden in der Hand der Piraten: Die "Beluga Fortune" des Bremer Reeders Niels Stolberg. Bild: dpa

Diesmal ist es glimpflich abgegangen für den Bremer Reeder Niels Stolberg. Sein Schwergutfrachter "Beluga Fortune" war nur kurz in der Hand somalischer Piraten. Die hatten das Schiff am Sonntag vor der kenianischen Küste geentert. Doch die Besatzung setzte einen Notruf ab und verschanzte sich in einem eigens dafür gebauten Sicherheitsraum. Kurz darauf schlugen Schiffe der EU-Anti-Piraten-Mission "Atalanta" die Piraten in die Flucht. "Investitionen in Sicherheit und Training zahlen sich aus", sagte Stolberg, hoch zufrieden, nach der Befreiung.

In der Vergangenheit hatte er andere Erfahrungen machen müssen. 2008 war seine "BBC Trinidad" vor Somalia entführt worden. Die Piraten behielten die Besatzung drei Wochen in ihrer Gewalt, Stolberg musste sie mit über einer Million Dollar freikaufen. Ein Vielfaches an Einnahmenausfällen dürfte hinzugekommen sein.

Damals wie heute ging der umtriebige Reeder in die PR-Offensive und forderte lauthals staatliche Hilfe. Stolberg und der Verband Deutscher Reeder verlangten nicht wenig: Marineeinsätze mit Militäreskorten, Drohnen und derlei mehr. Etliches davon wurde erfüllt: Seit Dezember 2008 kreuzen europäische Kriegsschiffe, darunter auch die deutsche Marine, vor dem Horn von Afrika. Doch obwohl die "Atalanta"-Mission stetig ausgebaut wurde, werden immer mehr Handelsschiffe von Piraten überfallen.

Rund 3.000 Schiffe deutscher Reedereien fahren unter Flagge anderer Länder.

Kommen neue Schiffe aus der Werft, werden sie in Deutschland an- und sofort wieder abgemeldet, um ausgeflaggt zu werden.

Insgesamt listet die Internationale Transportarbeiter Föderation (ITF) 32 Länder, darunter Staaten wie Antigua und Barbuda, die Bahamas, Bolivien oder Zypern.

In den Ländern gibt es keine oder nur geringe Steuerabgaben für die Reeder.

Arbeitskräfte genießen so keine gesetzlichen Standards. Zusicherungen an ArbeitnehmerInnen beruhen auf Freiwilligkeit: Laut Ver.di gelten sie für weniger als die Hälfte der Beschäftigten.

Seit einiger Zeit fordert deshalb auch Stolberg ein "nachhaltiges Zusammenspiel militärischer und humanitärer Maßnahmen", um "den Menschen in Somalia eine Lebensgrundlage und Perspektive zu schaffen, die sie davon abhält, kriminell zu werden", wie er es formuliert.

Dazu hat der Reeder eine Menge Ideen: internationales Geld für die somalische Übergangsregierung, UN-Blauhelme, den Aufbau einer Fischfangflotte, mit zirka 100 Schiffen durch deutsche und ausländische Werften sowie den Aufbau einer Fischerei-Infrastruktur mit einer Schutzzone für somalische Fischer. Hinzu kommen solle ein "Ausbildungssystem für Somalis nach dem Train-the-Trainer-Prinzip" und noch vieles mehr.

Alles in allem rechnet Stolberg mit Kosten von "mindestens einer Milliarde Euro über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren". Deutschland, das wegen seiner "weltweit führenden Handelsflotte ein vitales Interesse an sicheren Seewegen" habe, "sollte sich an die Spitze dieser Initiative auf internationaler Ebene setzen", sagte der Reeder der taz.

Mit großer Selbstverständlichkeit fordert Stolberg Solidarität vom deutschen Staat. Doch wenn es um die Zahlung von Steuern und Sozialabgaben an denselben geht, spart er gern: Seine entführten Schiffe hat er - wie die meisten deutschen Reeder es tun - auf der Insel Antigua registriert, einem kleinen Kalkhügel in der Karibik. Die Billigflagge habe für die Schiffseigner viele Vorteile, sagt Ver.di-Fachgruppenleiter Karl Heinz Biesold: "Obwohl der Sitz der Reedereien in Deutschland bleibt, werden hierzulande so gut wie keine Steuern abgeführt. Viele Arbeitnehmerrechte entfallen, die Seeleute bekommen nur befristete Verträge und sind kaum sozial abgesichert." Im Fall der "Fortune" etwa schloss Antigua mit der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) zwar immerhin einen Tarifvertrag ab. Der aber liegt weit unter dem deutschen Standard. "Was ruft Stolberg jetzt nach dem deutschen Staat? Er soll sich an Antigua wenden", sagt Biesold.

Der Reeder weist dies zurück. Es stimmte, dass seine Flotte unter "unterschiedlichen Flaggen" fahre, sagt er. Doch er wolle "bis Ende des Jahres voraussichtlich weitere Schiffe wieder unter die deutsche Flagge bringen". Zudem sei Beluga mit mehr als 100 Azubis Deutschlands größte Ausbildungsreederei.

Schließlich verweist er auf "diverse Stiftungsprofessuren, Nachwuchsförderung" und andere seiner Sozialprojekte. Schlechtes Gewissen hat er deshalb keines: "Vor diesem Hintergrund", so sagt Stolberg, "erachte ich es als durchaus legitim, dass sich auch Deutschland für die Umsetzung von Programmen gegen die Piraterie am Horn von Afrika engagiert."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.