Nazipropaganda: Ein Bildungsbürger in Rage

Ärgerliche Nebenfolge der "Anonyma"-Verfilmung: Die Nazipropaganda gegen den Schriftsteller Ilja Ehrenburg wird unkritisch nachgebetet.

Die Schauspielerin Nina Hoss in den zerstörten Straßen von Berlin. Filmszene aus "Anonyma - eine Frau in Berlin". Bild: dpa/constantin film

Es ist kein Satz, mit dem man sich unbedingt für den Friedensnobelpreis qualifiziert: "Wenn du nicht im Laufe eines Tages wenigstens einen Deutschen getötet hast, so ist es für dich ein verlorener Tag gewesen." Im Zuge der Debatte um die Verbrechen sowjetischer Rotarmisten an deutschen Frauen, die Max Färberböcks kürzlich angelaufene "Anonyma"-Verfilmung ausgelöst hat, geistert dieser Satz nun durch die Feuilletons; sein Urheber, der sowjetische Schriftsteller Ilja Ehrenburg, erscheint darin meist als Kriegshetzer und Rachegott, der auch zur Vergewaltigung deutscher Frauen aufgerufen hat. Doch das ist falsch.

Hier wirkt noch immer die Nazipropaganda nach. 1944 hatte sie einen entsprechenden Vergewaltigungsaufruf Ehrenburgs erfunden, um die deutsche Zivilbevölkerung gegen die näher rückende Rote Armee in Position zu bringen. Ehrenburg, der hauptsächlich für die Sowjetische Armeezeitung Krasnaja Svjeda, aber auch für die Zeitung der von Charles de Gaulle gegründeten Forces Françaises Libres La Marsellaise oder die US-Nachrichtenagentur United Press schrieb, ließ sich kurz vor Kriegsende ideal für das antisemitische Nazi-Feindbild des blutrünstigen jüdischen Bolschewisten verzerren und instrumentalisieren, weshalb die Nazipropaganda von ihm gern auch als "Stalins Hausjuden" sprach.

Längst ist jedoch von Historikern belegt, das es einen Aufruf Ehrenburgs zur Vergewaltigung deutscher Frauen nie gegeben hat. Die immer wiederkehrenden Zitate gehen ausschließlich auf Nazipropaganda-Quellen zurück.

Nicht allerdings der anfangs zitierte Satz aus Ehrenburgs mit "Töte!" überschriebenem Text aus dem Juni 1942; der ist schon authentisch. Allerdings sollte man bei seiner Beurteilung auch den Kontext seiner Entstehung im Auge behalten: den Sommer 1942, als die Deutsche Wehrmacht weit auf Sowjet-Territorium vorgedrungen war, Städte und Dörfer dem Erdboden gleichgemacht hatte und ihren Vernichtungskrieg gegen die jüdische Bevölkerung und den "slawischen Untermenschen" führte.

"Nicht dazu haben wir unsere jungen Männer erzogen, dass sie auf das Niveau hitlerscher Vergeltungsmaßnahmen herabsinken. Niemals werden Rotarmisten deutsche Kinder ermorden, das Goethehaus in Weimar oder die Bibliothek von Marburg in Brand stecken. Rache ist Zahlung in gleicher Münze, Rede in gleicher Sprache. Aber wir haben keine gemeinsame Sprache mit den Faschisten", schrieb Ehrenberg in einem anderen Artikel, "Rechtfertigung des Hasses", der ebenfalls im Frühsommer 1942 entstand. Das ist nicht die Sprache eines Rachepredigers. Hier spricht eher ein bis aufs Blut verletzter Bildungsbürger, der die Zerstörer seines Landes und seines Weltbildes zur Rechenschaft gezogen wissen will.

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