Peter-Jürgen Boock: Der Karl May der RAF

Sollte Helmut Schmidt nun entführt werden oder nicht? Ex-Terrorist Boock erzählt in einer Spiegel-Doku Anekdoten und beweist: Augenzeugen sind die schlimmsten Zeugen.

Log der Boock? Bild: dpa

So sprach denn der quasi als Kronzeuge aus dem innersten Zirkel der RAF ins Bild gesetzte Peter-Jürgen Boock Sonntag Abend im ersten Teil der von Stefan Aust und Helmar Büchel gefertigten Dokumentation "Die RAF": Dass man ein Attentat auf Kanzler Helmut Schmidt geplant habe. Bei Spiegel-Online heißt es wörtlich: "Wir haben Schmidts Reihenhaus von einem Gebäude schräg gegenüber eingehend beobachtet." Ein leicht ungenaues Zitat, denn im Film teilt Boock mit, man habe diese Ausspähung vom nahen Krankenhaus aus besorgt.

Eine Einlassung, die möglicherweise belegt, dass Boock eben das ist, was das Bundeskriminalamt ohnehin von ihm denkt: Ein "Karl May der RAF", ein Geschichtenerzähler, der je nach Bedarf die Fäden der Story mal so oder wieder ganz anders flicht. Oder eben unschöne Knoten zaubert: Tatsächlich ist das Wohnhaus von Hannelore und Helmut Schmidt im Hamburger Stadtteil Langenhorn, Neubergerweg 80, nah eines Krankenhauses gelegen, und zwar, so der Volksmund, der Irrenanstalt Ochsenzoll, heute ein Hospital für alle medizinischen Aufgaben, in den Siebzigern aber noch ein von einem dichten Wald eingehegtes Areal. Von dem aus kann Boock unmöglich die Herberge der Schmidts in den Blick genommen haben. Von keinem einzigen Quadratmeter des Krankenhauses ist auch nur die Spitze von dessen Bungalowdach zu sehen - die umzäunte, waldige Grenze liegt vom polizeigeschützten Anwesen des Kanzlers etwa 300 Meter entfernt, wobei zwischendurch noch eine Reihenhauspartie jedwedem Augenschein im Wege steht. Vielleicht war es, man weiß es bei Boock ja nie genau, auch ein "Gebäude schräg gegenüber", das doch kein Krankenhaus war. Nun: Alles Reihenhäuser, aber keine Menschen darin in jenen Jahren, die, naja, Rechercheuren wie Boock Einlass in die Dächer gegeben hätten. In des Kanzlers naher Wohnumgebung gibt es überhaupt keine Gebäude, die im weitesten Sinne als zur weiteren Aussicht geeignet sind.

Menschlich nun gesprochen: Niemand soll ein Lügner genannt sein, der sich altersgemäß auf löchrige Erinnerungsteppiche ausreden könnte. Aber könnte nicht sein, dass Boock einmal mehr - ewiges Schicksal des dankbaren Exheimzöglings, der endlich bei den Mackern mitspielen durfte und entsprechend alle mit Gunst bedient - ein wenig die Erinnerung schmückt, ausschmückt, genauer gesagt? Wäre nicht ebenfalls denkbar, dass er schon damals unter den Seinen nur damit geprotzt hat, Schmidt ausgespäht zu haben: Es wäre gewiss als Signal relevanter, nicht irrer Umtriebigkeit gedeutet worden. Die Information aber, die Boock in "Die RAF" zum Allerbesten gab, beweist nur dies: Augenzeugen sind die schlimmsten Zeugen - im Zweifel sind sie immer schlauer als die Fakten.

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