Kommentar NSU-Prozess: Inhalte werden nebensächlich

Weder Beate Zschäpe noch ihre Verteidiger wollen in dieser Konstellation weiterarbeiten. Sie müssen es aber. Das nutzt derzeit nur der Angeklagten.

Die Anwälte von Beate Zschäpe stehen vor einem Gebäude in der Sonne

Keine Lust auf die Mandantin: Anja Sturm, Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer. Foto: ap

Niemand hat erwartet, dass es einfach wird. Ein Prozess über eine jahrelange, zehnfache Mordserie, über drei Anschläge und 15 Überfälle, mit zwei toten Hauptbeschuldigten und einer schweigenden Angeklagten: Der NSU-Prozess in München konnte nur ein Mammutprojekt mit einer akribischen, geduldigen Beweisaufnahme werden. Nun kommt auch noch Kleinstarbeit in Verfahrensfragen dazu.

Und auch die haben es in sich. Mit dem Antrag der drei ursprünglichen Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe, von ihrem Mandat entbunden zu werden, dokumentieren nun auch die Anwälte, dass sie keine angemessene Verteidigung in dem Prozess mehr sehen. Das hatte zuletzt auch Zschäpe mit Vehemenz behauptet.

Der Schritt der Pflichtverteidiger kommt daher nicht überraschend. Ihre Aufgabe ist es, der Angeklagten mit bestem Einsatz im Verfahren beizustehen. Dafür wurden sie eingesetzt, dafür werden sie mit Steuergeldern bezahlt. Wenn Beate Zschäpe diesen Einsatz nun anzweifelt, ist es nur folgerichtig, dass die drei Anwälte ihr Prozessschicksal in die Hände der Richter legen: Entscheidet ihr, ob wir unseren Job angemessen machen!

Dass die Richter diese Frage bejahen, war zu erwarten. Sie haben bisher alles getan, um den Prozess zu Ende zu bringen. Dennoch bleibt ein Schaden. Nun besteht eine Situation fort, in der sich die Angeklagte und ihre nächsten Vertrauten nur noch angiften, bestenfalls anschweigen. Daneben sitzt zwar ein neuer, vierter Anwalt, mit dem Zschäpe arbeiten kann. Der aber ist nicht ansatzweise in das Verfahren eingearbeitet.

Es ist auch zu befürchten, dass das Gezänk nun erst richtig beginnt.

Für einen Prozess, der sich noch über Monate erstrecken wird, ist das nicht nur rechtsstaatlich alles andere als eine gute Perspektive. Es ist auch zu befürchten, dass das Gezänk nun erst richtig beginnt.

Momentan nutzt das vor allem einer: Beate Zschäpe. Denn bei all dem Verfahrensgerangel treten die offenen inhaltlichen Fragen der NSU-Verbrechen in den Hintergrund. Und davon gibt es einige: von der Auswahl der Opfer bis zu den Verzweigungen des Helfernetzwerks des Trios.

Gut möglich, dass diese Fragen nun offenbleiben – und die Richter jetzt vor allem darauf hinarbeiten, den Prozess heil zu Ende zu bringen. Die Aufarbeitung des NSU-Komplexes aber wird dann nach dem Urteilsspruch weitergehen. Sie muss.

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Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort, seit 2014. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Bis 2014 vier Jahre lang Teil des Berlin-Ressorts der taz. Studium der Publizistik und Soziologie.

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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