„Fall Lisa“ in Berlin-Marzahn: Nur versteckt, nicht entführt

Die Aufregung über ein angeblich entführtes und vergewaltigtes Mädchen war groß. Dabei hatte sie Sorgen wegen der Schule - und traute sich nicht nach Hause.

Demonstranten halten Schilder in die Luft

Demo nach der angeblichen Entführung vor dem Bundeskanzleramt in Berlin. Foto: dpa

BERLIN dpa | Der rätselhafte Fall der angeblichen Entführung und Vergewaltigung einer 13-jährigen Russlanddeutschen in Berlin ist aufgeklärt. Das Mädchen, das mit der erfundenen Geschichte über ihr Verschwinden für Aufruhr sorgte, verbrachte die fragliche Nacht des 11. Januars bei einem Bekannten, wie ein Staatsanwaltschafts-Sprecher am Freitag sagte. Wegen Problemen in der Schule traute sie sich offenbar nicht nach Hause zu ihren Eltern. „Sie wollte weg und hat bei ihm Unterschlupf gesucht.“

Bei dem 19-jährigen Bekannten des Mädchens wurden Sachen von ihr gefunden. Der Mann habe auch zugegeben, dass sie in der Nacht vom 11. auf den 12. Januar bei ihm war, sagte der Sprecher. Es gebe aber keine Hinweise auf eine Sexualstraftat oder einen sexuellen Kontakt des Mannes zu dem Mädchen. Gegen den Mann werde daher auch nicht ermittelt, er sei nur ein Zeuge. Das Mädchen selber sage weiterhin kaum etwas Verwertbares zu dem Fall.

Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) erklärte: „Die neuen Entwicklungen entlarven deutlich die Propaganda, die in den letzten Tagen mit diesem Fall verbunden war.“ Staatsanwaltschaft und Polizei hätten sich von dem Druck der letzten Tage nicht beirren lassen, sondern sorgfältig und beharrlich ihre Arbeit gemacht.

Auf die Spur des Mannes kam die Polizei über rekonstruierte Daten aus einem kaputten Handy der Schülerin. Die Wohnung des Mannes wurde durchsucht.

Die 13-Jährige aus Marzahn-Hellersdorf war am Morgen des 11. Januar für 30 Stunden verschwunden und hatte danach ihrer Familie von einer Entführung und Vergewaltigung durch eine Gruppe südländisch aussehender Männer erzählt. Die Polizei fand dafür keinerlei Bestätigung. Auch eine medizinische Untersuchung ergab nichts in dieser Richtung. Bei ihren Befragungen präsentierte das Mädchen vier verschiedene Versionen für die Zeit ihres Verschwindens.

Hysterie bei vielen Russlanddeutschen

Ermittelt wird weiterhin gegen zwei junge Männer wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs. Sie werden verdächtigt, in dem Monaten vor dem Verschwinden des Mädchens sexuelle Kontakte zu ihr gehabt zu haben. Die Polizei geht davon aus, dass die 13-Jährige die Männer schon über Monate kannte. Weil das Mädchen jünger als 14 Jahre ist, ist auch freiwilliger Sex mit Erwachsenen strafbar.

In den Wochen nach dem Wiederauftauchen des Mädchens gab es große Aufregung unter vielen Russlanddeutschen in Berlin. Im Internet wurden Verschwörungstheorien und fremdenfeindliche Hetze gegen Flüchtlinge verbreitet. Russische Medien heizten die Stimmung an.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf den deutschen Behörden vor, den Fall lange verheimlicht zu haben. Nach „allen Regeln der zivilisierten Welt“ hätte Russland rechtzeitig über den Zwischenfall informiert werden müssen, sagte er. Erste Hinweise habe Moskau aber nicht von deutschen Behörden, sondern von der „russischsprachigen Gemeinde“ in Deutschland erhalten.

„Genau deshalb ist diese Situation entstanden (...) Da es sich um eine Bürgerin der Russischen Föderation handelt, können wir nicht einfach das Ende der Untersuchung abwarten.“ Nach Behördenangaben hat das Mädchen allerdings auch die deutsche Staatsbürgerschaft.

„Politische Propaganda“

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) kritisierte daraufhin Russland und sagte, es gebe keine Rechtfertigung, den Fall für „politische Propaganda“ zu nutzen, um damit die ohnehin schwierige Migrationsdebatte in Deutschland anzuheizen.

Innensenator Henkel betonte: „Politischer Druck aus dem Ausland wird nicht dazu führen, dass wir irgendetwas an unseren rechtsstaatlichen Prinzipien ändern. Ich verwahre mich auch in künftigen Fällen gegen jeden Versuch der Einflussnahme und werbe für Vertrauen in die Arbeit der Ermittler.“

Es sei immer auch um die Persönlichkeitsrechte des Mädchens gegangen, auch wenn die Behörden dadurch kritischen Spekulationen ausgesetzt gewesen sein. „Das ist in einem Land, in dem Meinungsfreiheit herrscht, nun einmal so.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.