Kolumnist und Starjurist: Fischer in Rock

Er spricht Recht, und er hat gern Recht: Wie aus einem renitenten Schulabbrecher „Deutschlands bekanntester Strafrichter“ wurde.

Thomas Fischer in Richterrobe

Undurchdringliches Mienenspiel gehört dazu: Thomas Fischer eröffnet eine Verhandlung am BHG im Oktober 2012. Foto: Uli Deck/ dpa

KARLSRUHE taz | „Ich mache das, weil ich denke, dass ich es darf, und weil es Spaß macht, und dann werde ich berühmt dabei, und das macht auch Spaß“, sagte Thomas Fischer neulich bei einer Veranstaltung. Der massige Bundesrichter sitzt da wie Buddha persönlich und verzieht keine Miene. Wie so oft weiß man nicht genau, ob er das alles ganz ernst meint.

Seit 16 Jahren ist Thomas Fischer Strafrichter am Bundesgerichtshof (BGH), dem höchsten deutschen Straf- und Zivilgericht. Seit drei Jahren sitzt der 62-Jährige dem Zweiten Strafsenat vor. Dort gehört die undurchdringliche Miene zum professionellen Habitus. Aber sie funktioniert auch in seiner neuen Rolle als rechtspolitischer Kolumnist und Großplauderer.

“Fischer im Recht“ heißt seine Kolumne bei zeit.de. Woche für Woche schreibt der Bundesrichter, was er so über die Gesetze, die Politik und die Rechtsprechung denkt. Zu seinen Veranstaltungen kommen mehrere Hundert Besucher. Inzwischen ist er ein echter Juristenstar.

Er provoziert und polemisiert

„Der Deutsche weiß alles über Hinterradaufhängungen. Von den Grundregeln des Rechts versteht er dagegen nicht viel“, schrieb Fischer, als er im Januar 2015 seine Kolumne startete. Fischer ködert seine Leser mit Polemik, Subjektivität und gewagten Assoziationen. Natürlich gibt es davon im Netz schon genug. Aber es gibt nur einen Bundesrichter, der das Woche für Woche liefert. „Was der sich traut!“, denken die Leute, vor allem die Juristen.

Im September schlug Fischer vor, auf dem BGH-Gelände ein Flüchtlingslager zu bauen: „Es gibt da eine wirklich schöne Fläche zwischen Palais und Bibliothek.“ Seine Kolumne nach der Kölner Silvesternacht (“Unser Sexmob“) gehört zum Besten, was über die triefende Doppelmoral jener Tage geschrieben wurde.

Für Talkshows ist Fischer trotz seiner Lust an der Polemik fast etwas zu still

Es ist eine Win-win-Situation. Zeit und zeit.de hatten bisher juristisch wenig zu bieten. Aber wozu braucht man einen Korrespondenten in Karlsruhe, wenn nun Thomas Fischer persönlich schreibt? Und der Jurist scheint endlich eine adäquate Bühne für seine publizistischen Bedürfnisse gefunden zu haben. Im Schnitt liefert er 25.000 Zeichen pro Kolumne. Das entspricht immerhin einem großen Zeit-Dossier – und das Woche für Woche. Der selbstironisch-rechthaberische Titel „Fischer im Recht“ stammt allerdings von der Redaktion, nicht von ihm. In diesen Tagen erscheint eine Auswahl seiner Kolumnen als Buch – das genauso heißt wie seine Kolumne.

Linksliberales Profil

Fischer hat ein klar linksliberales Profil, wenn er rechtspolitische Forderungen erhebt: „Legalize it“ für Cannabis, Liberalisierung der Sterbehilfe und Abschaffung des Blasphemieverbots. Einen Teil seiner Fans verstört er dennoch regelmäßig, wenn er über das Sexualstrafrecht schreibt. Fischer ist nämlich gegen das feministische Prinzip „Nein heißt Nein“ und deshalb gegen eine Verschärfung des Gesetzes. Eine Frau, die klar abgelehnten Sex über sich ergehen lässt, statt zu fliehen oder um Hilfe zu rufen (obwohl sie es könnte), müsse vom Strafrecht nicht geschützt werden. Man solle Frauen nicht wie Kinder oder Psychiatriepatienten behandeln, meint Fischer. Sexuelle Handlungen gegen ein klar geäußertes Nein vergleicht der Richter unpassenderweise mit dem „Anhörenmüssen grausamer Kaufhausmusik“.

Auch Journalisten mag Fischer nicht. Als sich im August halb Deutschland über die Strafverfolgung von zwei Netzpolitik-Bloggern empörte, verteidigte Fischer die Ermittlungen wegen Landesverrats. Pressefreiheit definierte er dabei so: „Freiheit ist, wenn alles geht. Man muss nichts verstehen, nichts können, nichts wollen, einfach nur irgendetwas schreiben.“

Es gibt von ihm kaum einen Satz über Medien, der nicht vor Häme und Verachtung strotzt. Hat er Angst, dass er irgendwann selbst als Journalist wahrgenommen werden könnte? Muss er nicht, schließlich funktioniert die Marke Fischer nur deshalb, weil er „Deutschlands bekanntester Strafrichter“ ist, so der Untertitel des Buchs.

Späte Berufung

Früher suchte Fischer den Erfolg allerdings eher als Rockmusiker und Schriftsteller. Auf dem Gymnasium im sauerländischen Plettenberg blieb der Arztsohn zweimal sitzen, war widerständig und legte sich mit dem Lateinlehrer an. Die Schule verließ Fischer nach der 12. Klasse vorzeitig. In Worms lebte er in einer Rockmusiker-Kommune (Fischer spielte Keyboard), kehrte dann aber doch in die Schule zurück, wurde Schulsprecher und machte mit 22 sein Abitur. Zunächst studierte Fischer Germanistik, schrieb für eine Alternativzeitung und arbeitete als Paketzusteller. Erst mit 26 begann er das Jurastudium.

Dann aber ging es flott. Mit 33 promoviert, mit 40 Vorsitzender Richter am Leipziger Landgericht, mit 43 Referatsleiter im sächsischen Justizministerium und weitere vier Jahre später – im Jahr 2000 – wird Thomas Fischer zum Richter am BGH ernannt. In 25 Jahren wurde aus dem Outlaw also ein Federal Judge. Fischer präsentiert seinen Lebenslauf gerne. Die Kolumne ist für ihn wohl auch eine Rückkehr zum Rock ‚n‘ Roll.

Inzwischen gehören Bühnenauftritte für Thomas Fischer dazu. Ob sie ihm Spaß machen, sieht man nicht. Er ist keine Rampensau. Wer ihn erstmals hört, staunt über die sanfte zurückgenommene Stimme, die in gewissem Kontrast zum massigen Körper steht. Seiner Bühnensprache fehlt auch die Bulligkeit der Kolumnen. Er kann mit einem Bischof diskutieren, ohne ihn zu verletzen. Für Talkshows ist Fischer trotz seiner Lust an der Polemik fast etwas zu still. Fischer wirkt besser, wenn er im Mittelpunkt steht – wie in den Revisionsverhandlungen am Bundesgerichtshof, wo er als Senatsvorsitzender in das Problem einführt, wo er den Anwälten das Wort erteilt und wo er am Ende lakonisch das Urteil verkündet.

In Karlsruhe gibt es über hundert BGH-Richter, zunächst war Fischer nur einer von ihnen. Seinen Ruf als Starjurist begründete Fischer 1999, als er den Kommentar, das wichtigste Erläuterungsbuch des deutschen Strafrechts, im C. H. Beck Verlag übernahm. Seine Vorgänger waren Eduard Dreher, ein Beamter aus dem Bundesjustizministerium, der 1968 „aus Versehen“ die Verjährung für Nazi-Mordgehilfen eingefädelt hatte, und Herbert Tröndle, ein Landgerichtspräsident aus Waldshut und fanatischer Abtreibungsgegner. Ein ideologisch naheliegender Nachfolger war der liberale Fischer sicher nicht.

Ein vielbeachtetes Duell

Doch für den Verlag zählte wohl nicht der Standpunkt Fischers, sondern seine Effizienz. Fischer hatte schon an einem Kommentar zur Strafprozessordnung mitgewirkt und war als harter Arbeiter bekannt. Paragraf für Paragraf kommentiert er nun das ganze Strafgesetzbuch, arbeitet neue Urteile und Fachaufsätze ein, auf über 2.500 Seiten, allein und ohne Zulieferer, mit jährlicher Neuauflage. Zugleich hat er die sortierte Materialsammlung zu einem lehrbuchhaften Werk weiterentwickelt. Für Strafjuristen ist Fischers Kommentar das wichtigste Hilfsmittel. Thomas Fischer war also schon lange ein Markenname. Allerdings nicht für Polemik.

Über das Strafrecht hinaus wurde Fischer 2012 bekannt, als er sich mit dem damaligen BGH-Präsidenten Klaus Tolksdorf ein vielbeachtetes Duell lieferte. Fischer wollte Vorsitzender des Zweiten Strafsenats werden, doch Tolksdorf hielt ihn für zu dominant nach innen und zu offensiv in der Außenwirkung. Der Präsident stufte deshalb Fischers Beurteilung überraschend herab. Dieser klagte dagegen und hatte Erfolg. Tolksdorf musste die Beurteilung besser begründen, doch wieder klagte Fischer. Er bewarb sich auch noch um andere Senatsvorsitze und blockierte damit bald drei von fünf Strafsenaten. 2013 beendete die damalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) den Streit, indem sie Fischer doch zum Vorsitzenden Richter ernannte. Die Zeit hatte Fischer damals massiv publizistisch unterstützt – der Beginn einer wunderbaren Public-Private-Partnership.

Nun ist Fischer seit fast drei Jahren Senatsvorsitzender, und die Zusammenarbeit im Senat läuft besser als erwartet. Allerdings hat der Zweite Strafsenat mehr Rückstände als andere. Ob das an Fischers vielfältigen Aktivitäten liegt? „Ich schreibe die Kolumne am Sonntagmorgen. Da kann ich tun, was ich will“, argumentiert Fischer.

Etwas Glanz fällt ab

Vor wenigen Tagen hat das Oberlandesgericht Frankfurt einen Drogendealer spektakulär aus der U-Haft entlassen. Diese dauere bereits unverhältnismäßig lange, hieß es in der Begründung. Dabei machte das OLG Fischer persönlich Vorwürfe. Er habe 2014 drei Monate gebraucht, um die Akte zu lesen und weiterzuleiten. Das war noch lange vor dem Start von Fischers Kolumne.

Am BGH sorgt Fischers Kolumne bisher nicht für Konflikte. Viele sind vermutlich froh, dass er beschäftigt ist, statt interne Kämpfe zu führen. Und etwas Glanz fällt ja auch auf den Bundesgerichtshof, der sonst eher im Schatten des Bundesverfassungsgerichts steht.

Im November 2018 geht Fischer altersbedingt in den Ruhestand. Manche glauben, der Fischer-Hype ginge dann zu Ende. Andere vermuten, dass Fischer dann erst richtig loslegt.

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