Neues Album von Yeasayer: Über Bande gespielt

Das New Yorker Trio Yeasayer bastelt sich immer neue musikalische Konzepte. Das Album „Amen & Goodbye“ dreht sich ums Dilemma Religion.

Drei Männer stehen in einem Studio, daneben eine lebensgroße verstörend wirkende Puppe

Yeasayer mit Gekreuzigter Puppe: Anand Wilder, Ira Wolf Tuton und Chris Keating Foto: Eliott Lee Hazel

Wäre die Welt ohne Religion ein besserer Ort? „Ich denke schon“, sagt Chris Keating, Sänger der New Yorker Band Yeasayer. „Aber vielleicht steckt in dieser Annahme auch zu viel Vertrauen in die Vernunft der Menschheit. Wenn es keine Religion gäbe, würden sich die Menschen eine andere Sache suchen, der sie blind folgen können.

Die Bereitschaft dazu bringen ja viele mit.“ Die Gretchenfrage selbst wird von Keating und seinen Mitstreitern Anand Wilder und Ira Wolf Tuton eindeutig beantwortet: „I am Chemistry“ – und eben nicht das Ebenbild Gottes – heißt die poppig-psychedelische erste Auskopplung aus ihrem neuen Album „Amen & Goodbye“, ihrem ersten Werk seit vier Jahren.

Doch so gerne Keating sich beim Interview über die gesellschaftlichen Aspekte von Religion in Rage redet: „Amen & Goodbye“ ist keine plumpe Abrechnung, sondern versucht sich an einer vielschichtigen, ergebnisoffenen, oft surrealen Reflektion der menschlichen Suche nach dem Sinn.

Offenbar haben Yeasayer Freude daran, sich an selbstgesetzten Vorgaben abzuarbeiten. Auf ihren frühen Alben offenbarte sich dieser Ansatz vor allem auf klangbastlerischer Ebene. So wollten sie mit ihrem kommerziell erfolgreichsten Album „Odd Blood“ (2010) beweisen, dass auch Chartspop der frühen neunziger Jahre als Fundgrube für schräge Klangwelten taugt. Damit vergrätzten sie die Fans, denen sie nach ihrem Debütalbum „All Hour Cymbals“ (2007), einer Melange aus Folklore und rumpeligem Rock, als Avantgardeband galten, als Musterschüler des experimentierfreudigen Eklektizismus, für den der New Yorker Bezirk Brooklyn musikalisch stand.

Chartspop als Fundgrube

Auf „Amen & Goodbye“ – und auch schon auf dem vergleichsweise unterkühltem, elektronisch angehauchten letzten Album „Fragrant World“ – findet sich ihr Konzept zunehmend auch auf textlich-inhaltlicher Ebene wieder. Beim Vorgänger ging es um Dystopie und Science-Fiction, diesmal sind nun eben Religion und Transzendenz das Oberthema.

Musikalisch inspirieren ließen sie sich dabei vom Classic Rock der sechziger und siebziger Jahre. Zum ersten Mal haben sie die Songs zusammen als Band eingespielt, statt einander Soundskizzen zuzuspielen und in ihren jeweiligen Studios daran zu basteln. Eine bewusste Entscheidung: Die drei Mitdreißiger fühlten sich vom Ausreizen der technischen Möglichkeiten ausgebrannt und wollten sich als Band wiederfinden.

Collage von lebensgroßen Puppen vor blauem Hintergrund

Ausschnitt des Albumcovers, gestaltet von David Altmejd Foto: Mute

Auch eine Rückbesinnung auf klassische Sounds und Produktionsprozesse spielen Yeasayer über Bande. Die auf einer Farm mit Studio in den Catskill Mountains aufgenommenen Songs haben sie im Produktionsprozess gesampelt, zerpflückt und etwas neben der Spur neu zusammensetzt – als ob sie sich beim Songwriting von einem in Vergessenheit geratenen Classic-Rock-Album hätten anregen lassen. Da schien die technische Havarie, mit der sie sich eines Morgens konfrontiert sahen – es hatte beim nächtlichen Gewitter durchs Dach geregnet, ein Teil der Aufnahmen war futsch – wie ein Wink des Schicksals. Yeasayer nahmen die Herausforderung an und rekonstruierten die Songs aus dem geretteten Material, statt sie neu einzuspielen.

Die Frage, wie man sich als Band weiterentwickelt und organisch wächst, wo man seine Anregungen findet, wenn man dem „Jungs-Gang-Ding“ (Keating) entwachsen ist, treibt sie schon seit ihrem zweiten Album um. Keating, Tuton und Wilder lassen sich einiges einfallen.

Immer wieder war das auch in Interviews Thema. Vielleicht weil sie, ihr Selbstverständnis und ihre Ambitionen betreffend, das Herz auf der Zunge tragen, wird der Band bisweilen Überkonstruiertheit und ein unlockeres Bemühen unterstellt. Hört man sich noch einmal durch ihren Backkatalog, klingt dieser Vorwurf jedoch nach lazy criticism.

Beim Gewitter hat es durchs Dach geregnet, ein Teil der Aufnahmen ist futsch

Schließlich haben die Yeasayer es geschafft, trotz immer neuer Schwerpunkte einen unverkennbaren, kohärenten Sound zu entwickeln. Und zudem auf jedem Album ein paar Hits unterzubringen: Songs, die sich wie amorphe Wesen mit jedem Hören verändern und einen mit diskreten Hooklines anfüttern, sich aber Zeit lassen, ihr volles Potenzial zu entfalten. „Silly Me“ ist der offensichtliche Ohrwurm auf dem neuen Album, doch es gibt auch langsame Grower wie „Gersons´s Whistle“ oder auch „Half Asleep“.

Dass ihre Alben nie ganz fertig klingen, ist in diesem Falle ein Kompliment. Live kommt die Musikalität der Band erst richtig zur Geltung. Ein Song klingt bei einem Konzert heute garantiert ganz anders als in einem halben Jahr, auch hier ist Morphen erwünscht.

Auch wenn ihre Selbstdarstellung bisweilen angestrengt wirkt: Dem wilden, aber kleinteiligen Eklektizismus frönen Yeasayer nicht, um streberhaft mit ihrem musikalischen Kapital zu klotzen. Eher sitzen sie absichtlich zwischen den Stühlen, lassen Dinge in der Schwebe und eröffnen neue Räume. Das Trio mischt Genres antielitär, es findet den eingangs erwähnten Chartpop in kleingehackter Form ebenso interessant wie düsteren Dubstep.

Seltsam und bizarr

Für „Amen & Goodbye“ haben sich die drei erstmals für Kollaborationen geöffnet, diverse Gastmusiker wirkten am Album mit. Außerdem haben sie einen Produzenten ins Boot geholt, den Schlagzeuger Joey Waronker, der unter anderem beim Thom-Yorke-Projekt „Atoms For Peace“ trommelt.

Das bizarre Artwork auf dem Cover stammt von Bildhauer David Altmejd. Keating beschreibt seine Faszination für den Künstler so: „Fremdartige Landschaften, seltsam zusammengebaute Körper und Referenzen auf bizarre Religionen, die es nicht gibt: Altmejds Kunst sieht aus, wie unsere Musik klingen soll.“ Altmejd kannte die Band nicht, war aber angetan von der Idee, für das Klappcover ein Tableau zu bauen.

Ein Song klingt bei einem Konzert garantiert anders als in einem halben Jahr. Morphen erwünscht

Von Keating bekam er eine Liste gab mit knappen Beschreibungen von Charakteren aus alten und neuen Songs. „Sie sollten sich auf dem neuen Album wiedertreffen.“ Altmejd machte etwas Eigenes draus. Nicht einmal die Band weiß bei jeder Figur des Tableaus, wer gemeint ist – worüber Keating sich freut. „Ich lasse mich gerne von Visuellem inspirieren.“

Trotzdem sind ein paar Bezüge zur aktuellen Nachrichtenlage offensichtlich. Mit dem durch den Raum schwebenden Kopf hat Altmejd offenbar Donald Trump gemeint, „den enthaupteten Satan“, wie Keating grinsend anmerkt. Kürzlich posteten die Yeasayer den entsprechenden Bildausschnitt auf Facebook mit dem Kommentar „Stop This Man“. Diese ihnen von einem Kollaborateur zugespielte Referenz passt ja in ihr aktuelles Konzept: Vom Wahnsinn der Republikanischen Partei ist es schließlich nur ein kleiner Schritt zum Thema Religion.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.