Produzentin über Pornografie: „Ein Shoot braucht seine Zeit“

Erika Lust produziert Erotikfilme, die Frauen nicht als Objekte zeigen. Ein Gespräch über Lügen, Fantasien und Feminismus.

Erika Lust im Portrait.

Was ist die größte Lüge des Mainstreampornos, Frau Lust? „Vielleicht die: Du kommst nach Hause und erwischst deinen Freund mit deiner besten Freundin und steigst sofort zu ihnen ins Bett“. Foto: Julia Baier

taz.am wochenende: Erika Lust, was wollten Sie werden, als Sie ein Kind waren?

Erika Lust: Archäologin, Ärztin, Polizistin, Schauspielerin, jeden Tag etwas anderes. Mit dem Erwachsenwerden interessierte ich mich mehr und mehr für Politik. Ich habe Politikwissenschaften studiert und hatte den Plan, bei einer Organisation für Frauenrechte zu arbeiten.

Klingt, als wollten Sie die Welt zu einem besseren Ort machen.

Ja, definitiv.

Wollen Sie das immer noch?

Natürlich. Ich hoffe, ich trage auch dazu bei, auf meine eigene Weise. Mein Ziel ist es, unsere Sicht auf Sexualität zu verändern. Ich finde, Pornografie hat sich lange genug auf die Anatomie von Sex konzentriert, auf die technischen Dinge, die Flüssigkeiten, die Positionen. Es wird Zeit, sich mit den Gefühlen auseinanderzusetzen, die wir beim Sex haben – die Intimität, die Verbundenheit. Sex ist so viel mehr als Porno.

Die Frau: Erika Lust, Jahrgang 1977, geboren in Stockholm, bürgerlicher Name Erika Hallqvist, ist Drehbuchautorin, Regisseurin, Filmproduzentin und Autorin. Gemeinsam mit ihrem Mann und zwei Kindern lebt sie in Barcelona.

Das Business: 2004 gründete Erika Lust die Produktionsfirma Lust Films, die in Barcelona fünfzehn MitarbeiterInnen beschäftigt. Im Rahmen ihres 2013 gestarteten Projekts XConfessions gehen jeden Monat zwei Produktionen online, die auf User-Fantasien basieren. Unter lustcinema.com stellt sie neben ihren eigenen Filmen auch Werke verschiedener feministischer RegisseurInnen zur Verfügung. 2009 erschien ihr Buch „X – Porno für Frauen“ (Heyne, 224 Seiten, 15 Euro).

Die Schauspielerin Scarlett Johansson hat mal gesagt, die Vorstellung von Sex sei viel erotischer als der Akt an sich. Finden Sie das auch?

Ich denke schon, dass sich sehr viel Erotik nur in unseren Köpfen abspielt. Dass wir von Dingen fantasieren, die wir nicht unbedingt im echten Leben umsetzen würden. Darum geht es ja bei meinem Projekt XConfessions: Menschen senden mir ihre Fantasien und Ideen ein, ich verfilme sie. Das ist etwas Neues in der Pornografie. Der Porno neigt normalerweise zur Wiederholung der immer selben Struktur. Der Pizzabote kommt, das Mädchen hat kein Geld, sie zieht sich aus, die beiden haben Sex.

Einen Film über einen Pizzaboten haben Sie auch gedreht.

Ja, aber ein Remake. In meinem Film zahlt die Frau für ihre Pizza und lädt den Boten anschließend zu sich ein. Das war mein erster Kurzfilm. Ich nahm eine klassische Story und machte einen komplett anderen Film daraus, indem ich den Stoff und die Charaktere anders behandelte.

Sie bezeichnen sich als „feministische Independent-Erotikfilm-Regisseurin und -Produzentin“. Wodurch unterscheiden sich Ihre Filme vom herkömmlichen Porno?

Meine Crew besteht aus fünfzehn Leuten, die meisten von ihnen sind Frauen. Zentrale Positionen, in denen Entscheidungen getroffen werden, besetze ich ausschließlich mit Frauen. Eine andere Sache ist, dass ich keine Pornovideos drehe, sondern Filme. Ich achte auf die Ästhetik, die kinematografische Vision. Dann kommt noch der ethische Aspekt dazu: wie ich mit meinen Schauspielerinnen und Schauspielern umgehe, wie ich sie darstelle. Wir schenken den Details sehr viel Aufmerksamkeit, dem Kostüm, der Maske, den Farben, dem Design, der Musik.

Und inhaltlich?

Alle Produktionen befassen sich mit weiblicher Lust. Das ist ein großes Thema, das in der Mainstreampornografie fehlt. In der Regel ist der Mann in der Hauptrolle zu sehen, und die Frau ist nur ein schönes Objekt, ein Vehikel, das ihm zu seiner Lust verhilft. Ich finde das bedenklich, denn der Porno hat einen sehr großen Einfluss auf die Gesellschaft, in der wir leben.

Europas Botanische Gärten werden nach und nach geschlossen. Ob sie noch zu retten sind, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 28./29. Mai. Außerdem: Elf kongolesische Blauhelmsoldaten stehen vor einem Militärgericht – wegen mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs im Rahmen der UN-Friedensmission in der Zentralafrikanischen Republik. Kann nun Recht gesprochen werden? Und: Am 5. Juni stimmen die Schweizer über das bedingungslose Grundeinkommen ab. Wie lebt es sich damit? Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Glauben Sie?

Ich weiß es. Mehr und mehr Menschen konsumieren Pornos direkt auf ihrem Smartphone. Ein Drittel des gesamten Internettraffics dreht sich um Porno. Vor allem junge Menschen, denen es an eigener sexueller Erfahrung fehlt, werden hier mit einer sehr einseitigen Sicht auf die Beziehung zwischen Frau und Mann belastet. Und wenn sie dann auch noch in einem Land leben, in dem sexuelle Aufklärung keine große Rolle spielt, müssen sie die Antworten auf ihre Fragen bei Pornhub und Youporn finden. Das ist hart, auf diesen Plattformen finden sich sehr heftige und verstörende Inhalte. In vielen Pornos geht es nur darum, Frauen mit Sex zu bestrafen, es „der Schlampe mal so richtig zu besorgen“. Das fühlt sich nicht gut an.

Wie muss ein Porno aussehen, damit er Frauen anmacht?

Es ist immer schwierig von den Frauen als homogener Gruppe zu sprechen. Aber ich denke, was die Mehrheit verbindet, ist, dass wir uns wünschen, dass Frauen im Porno wie Menschen behandelt werden, und nicht wie Sexmaschinen.

Was sollte man stattdessen sehen?

Dass die Frauen Spaß haben. Man sollte das an ihren Gesichtern und Reaktionen ablesen können. Und dass sie nicht immer nur passiv sind, sondern Entscheidungen treffen und Dinge verlangen.

Und das ist auch für ein männliches Publikum interessant?

Na klar. Männer stehen auch nicht unbedingt auf den traditionellen Mainstreamporno. Sechzig Prozent meines Publikums sind männlich.

Wie kommt das?

Viele Männer kommen auf meine Filme, weil sie mit ihren Partnerinnen Pornos sehen wollen. Hinzu kommt, dass sich viele Männer nicht mit den Rollenbildern im traditionellen Porno identifizieren können: dem dauergeilen Macho, der Frauen benutzt.

In Ihrem Buch „X – Porno für Frauen“ schreiben Sie, dass der gewöhnliche Porno wenig mit der Realität zu tun hat. Was sind die größten Lügen der Pornoindustrie?

Die größte Lüge ist vielleicht die: Du kommst nach Hause und erwischst deinen Freund mit deiner besten Freundin und steigst sofort zu ihnen ins Bett. Und dann natürlich auch, dass alle Männer große Schwänze haben und Frauen im Bett immer High Heels tragen. Ach so, und dass Frauen stets erstaunt und freudig-überrascht sind, wenn sie in einer Männerunterhose tatsächlich einen Penis vorfinden.

Warum wird der Porno noch von solchen Erzählungen dominiert?

Weil die Industrie zu lange in den Händen von weißen, mittelalten, heterosexuellen Männern ist, die eine sehr konkrete Vision von der perfekten Frau haben: Sie ist blond, passiv, hat große Brüste und lange Fingernägel.

Offenbar wollen viele Menschen genau diese Art von Porno sehen. Was denken Sie, warum das so ist?

Man kann den Mainstreamporno mit dem Gastronomiegewerbe vergleichen. Es ist so, als gäbe es an jeder Ecke McDonald’s und Pizza Hut, aber kein kleines Thairestaurant mit einer wechselnden Tageskarte. Die Leute haben trotzdem Hunger und müssen essen. Natürlich ändert sich das langsam, es gibt immer mehr Indieporno-Produzenten, die neue Sichtweisen einbringen. Wir brauchen mehr davon, wir brauchen Künstler, die Woody Allens des Pornos, die Sofia Coppolas. Aber leider ist es auch so, dass viele Frauen sich immer noch davor fürchten, das Pornolabel zu bekommen, weil es als dirty gilt.

Hatten Sie jemals Probleme damit: als dirty zu gelten?

Wenn man Porno sagt, denken die Menschen natürlich nicht an smarte Filmkunst, sie haben stattdessen das Bild von erniedrigten Frauen vor Augen, die wie Plastikpuppen sämtliche Positionen einnehmen. Damit identifiziere ich meine Arbeit überhaupt nicht, deshalb stelle ich mich lieber als Erotikfilmregisseurin vor. Dieser feine Unterschied macht sehr viel aus, die Leute sind plötzlich interessiert. Und auch meine Mutter mag den Ausdruck viel lieber als Pornoregisseurin.

Bezeichnend an Ihren Filmen ist auch, dass die Männer keine haarigen, hässlichen Rüpel sind, sondern ansehnliche, nahbare Männer, die die Frauen freundlich behandeln. Wie casten Sie Ihre Darsteller?

Ich unterhalte mich mit vielen Leuten, Persönlichkeit ist mir wichtig, Attraktivität hat ja nicht nur mit Aussehen zu tun. Wenn ich online interessante Leute finde, mache ich Skype-Interviews aus und versuche sie kennenzulernen.

Sind darunter auch Anfänger?

Ja, ich arbeite mit professionellen „Adult Performern“ und mit Anfängern. Natürlich ist es schwieriger, mit Leuten zu arbeiten, die noch nie vor einer Kamera standen. Das ist viel beängstigender, als man denkt, vor allem für Männer. Ein Shoot braucht seine Zeit, nicht alle können ihr Erektion so lange halten. Du kannst ein großartiger Liebhaber im richtigen Leben sein, aber vor der Kamera nicht funktionieren.

Für Ihr Projekt XConfessions verfilmen Sie Fantasien, die Menschen Ihnen zuschicken. Es entsteht also ein Crowdsourcing-Effekt. Wie wählen Sie aus, woraus ein Drehbuch wird?

Ich schaffe es natürlich nicht, alles zu verfilmen, denn täglich gehen fast zwanzig Vorschläge ein. Also nehme ich die, auf die ich Lust habe. Manchmal verändere ich die gesamte Geschichte auch, indem ich ein Skript schreibe, das nur locker an die Idee angelehnt ist. Das Projekt hilft mir sehr dabei, neue Stile auszuprobieren.

Es gibt Filme auf Ihrer XConfessions-Plattform, die „I fucked my boss“ oder „Bad Ass Secretary“ heißen. Warum reproduzieren Sie als feministische Regisseurin diese klassische Hierarchienummer?

Weil es Fantasien sind. Dass es die nach wie vor gibt, verwundert mich nicht. Schließlich sind wir in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der Frauen Männern unterlegen sind.

Wollen Sie damit sagen, dass der Vorstellungskraft von Frauen Grenzen gesetzt sind?

Nein. In der Fantasie nimmt man ja nicht immer dieselbe Rolle ein. Wenn es um Machtspiele geht, dann mögen es viele Menschen, die Verhältnisse immer wieder zu kippen. An einem Tag will man vielleicht dominant sein, am nächsten Tag die Unterwürfige. Sexualität ist ja nichts Statisches. Sie verändert sich in allen Lebensphasen, mit jedem neuen Partner.

Dann steht die Reproduktion der unterwürfigen Frau nicht im Widerspruch zum Feminismus?

Natürlich nicht! Was ist Feminismus denn überhaupt? Feminismus ist eine Bewegung, die die selben Rechte und Möglichkeiten für Frauen und Männer fordert. Sie schreibt dir nicht vor, wie du Sex haben sollst. Feministin zu sein, bedeutet nicht, dass man dominant im Bett sein muss. Es geht nur darum, zu wissen, was man möchte. Wenn man das Gefühl hat, dass man im Bett dominiert werden will, dann ist das okay.

Im Feminismus gab und gibt es auch Strömungen, die Pornografie komplett ablehnen.

Das scheint mir vor allem eine Meinung aus den früheren Jahren zu sein. Die junge Bewegung ist da ganz anders, sie findet es sehr begrüßenswert, wenn Frauen Erwachsenenfilme drehen. Die junge Bewegung ist sehr sex-positiv.

Was hat sich verändert?

Unsere Kämpfe haben sich verändert. Frauen haben mehr Macht, mehr Geld. Wir dürfen in vielen Dingen mitentscheiden. Das beeinflusst, wie wir mit unserer Sexualität umgehen. Wir haben weniger Angst davor, was andere über uns denken.

Auch feministischer Porno ist nichts Neues, die Bewegung begann schon Anfang der Achtziger. Was hat sich seither getan?

Das Genre ist viel größer und erfolgreicher geworden. US-Pionierinnen wie Candida Royalle, Anne Sprinkle und Nina Hartley haben uns den Weg geebnet, indem sie als Erste versucht haben, die Industrie zu revolutionieren. Nicht nur, weil sie Frauen waren. Sie hatten studiert, einen intellektuellen Background und brachten eine ganz neue Perspektive in das erotische Kino. Seitdem ist der Markt gewachsen, man kann viel ausprobieren, vor allem dank des Internets. 1982 war es schwer ein Publikum zu finden. Heute ist es viel einfacher durch die völlig neuen Vertriebswege.

In Ihren Filmen geht es vorrangig um heterosexuelle Beziehungen. Bisexuelle Charaktere tauchen ab und zu auf, aber es gibt keine Filme mit ausschließlich gleichgeschlechtlichen Paaren. Interessieren Sie die etwa nicht?

Oh doch, aber die Art der Filme, die ich mache, hat mit meiner Perspektive zu tun. Und ich bin nun mal eine heterosexuelle Frau. Es hat auch mit meinem Publikum zu tun, das diese Art von Filmen will. Wobei ich nicht sagen würde, dass mein Publikum nicht offen für Neues wäre, wir erschließen gerade verschiedene Gebiete. Zum Beispiel haben wir einige Pegging-Filme …

… Pegging, was bedeutet das?

Dass eine Frau einen Mann mit Hilfe eines Strapons penetriert. Diese Filme sind sehr populär.

Dennoch wirken die meisten Ihrer Filme eher heteronormativ.

Ich denke nicht, dass ich alles machen muss. Ich repräsentiere nicht alle Frauen dieser Welt und nicht alle sexuellen Orientierungen.

Vielmehr entsprechen Ihre Darsteller und Darstellerinnen den Schönheitsidealen. Sie sind schlank, jung und gut aussehend.

Wir versuchen schon Performer diverser Herkunft, diversen Alters zu casten. Aber das ist schwierig, denn die meisten Adult Performer, die ihren Lebensunterhalt mit diesem Job verdienen, sehen einander sehr ähnlich. Ich hatte einmal das Glück, mit einer Performerin zu arbeiten, die schon 50 war. Aber das ist die absolute Ausnahme.

Haben Sie schon mal mit Trans*personen gedreht?

Nein. Das hat nichts damit zu tun, dass ich etwas dagegen habe – es hat sich bisher nicht ergeben. Mein Projekt dreht sich um Inklusion, ich möchte alle einbinden. Aber ich kann das nicht allein tun, ich habe nur eine Independentfirma …

… eine kleine Firma, die sehr erfolgreich ist und mit dem Label „Feminist Porn“ operiert. Bringt das nicht eine gewisse Verantwortung mit sich?

Klar, alles im Leben bringt Verantwortung mit sich.

In einem Ihrer Filme, der sich um SM dreht, ist die dominante Person weiß und die unterwürfige Person schwarz. Denken Sie, einige Zuschauer finden das problematisch?

Um ehrlich zu sein, war es für mich beim Shooting nicht interessant, wer schwarz und wer weiß ist. Mich hat eher interessiert, dass er ein Mann ist, der dominiert werden möchte, und dass sie eine tolle Domina ist.

Lässt sich das wirklich so einfach trennen?

Ich höre diese Vorwürfe dauernd, ich hätte zu wenige füllige Performer, ich hätte keine Trans*personen, nicht genug alte Menschen, keine Asiaten, keine Inder. Natürlich wird es politisch in dem Augenblick, in dem der Film einem Publikum gezeigt wird. Es gibt einen Punkt, an dem ich nur sagen will: Kommt schon Leute, ich mache meine Filme, und zwar so gut ich kann. Ich habe nicht das Geld, um in Japan Performer zu casten. Lasst mich einfach machen, was ich am besten kann. Und wenn euch das nicht passt, dann macht es besser.

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