Pressefreiheit in der Türkei: Der sanfte Druck eines Pistolenlaufs

Aus dem Südosten der Türkei zu berichten heißt, den eigenen Tod in Kauf zu nehmen. Doch Öffentlichkeit kann Leben retten.

Zwei Männer in Tarnfleck, mit Maschinengewehr und Sturmhaube

Freund und Helfer? Zwei Polizisten einer Spezialeinheit der türkischen Polizei in Diyarbakir Foto: reuters

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Repressionen gegenüber JournalistInnen gibt es an vielen Orten der Welt. In zahlreichen Ländern wird versucht, die Stimmen von JournalistInnen zu schwächen. Sie werden mit den unterschiedlichsten Methoden zum Schweigen gebracht. Oder man macht gleichgeschaltete Marionetten aus ihnen. Im Südosten des Landes aber, in Kurdistan, ist die Sache eskaliert.

Als JournalistIn im kurdischen Gebiet zu arbeiten bedeutet, den Tod in Kauf zu nehmen. Jeden Moment kannst du eine Kugel in den Kopf bekommen. Oder eine Bombe explodiert neben dir. Auch Festnahmen und Verhaftungen gehören zu den Risiken.

Die Polizei beschlagnahmt deine technische Ausrüstung. Sicherheitskräfte zwingen dich in ein gepanzertes Fahrzeug zu steigen, und machen eine Stadtrundfahrt mit dir. Einen Kaffee spendieren sie dir ganz sicher nicht.

Stattdessen wirst du höflich bedroht – besonders höflich ist es, einen Pistolenlauf am Kopf zu spüren – und du wirst dazu gedrängt, deinen Beruf aufzugeben.

Krieg gegen die Bevölkerung

Repression und Angriffe auf die Bevölkerung im überwiegend von Kurden bewohnten Südosten der Türkei sind alltäglich, doch seit einem Jahr sind sie extrem. Die Regierung führt Krieg gegen die kurdische Bevölkerung.

Dünya basın özgürlüğü günü 3 Mayıs 2016'da taz 16 Türkçe-Almanca özel sayfa ile yayınlandı. Türkiye'de çalışan gazetecilerle birlikte hazırlandı. Cünkü basın özgürlüğü hepimizi ilgilendirir.

die günlük gazete'de yayınlanan Türkçe yazılara buradan ulaşabilirsiniz.

Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit erschien die taz am 3. Mai 2016 mit 16 türkisch-deutschen Sonderseiten zum Thema „Pressefreiheit in der Türkei“ – erstellt von türkischen JournalistInnen zusammen mit der taz-Redaktion. Weil Pressefreiheit uns alle angeht.

„taz.die günlük gazete“ – learn more about our project (in German)

Deshalb hat sich der Druck der Sicherheitskräfte gegenüber Journalisten enorm erhöht. Weil sie es sind, die versuchen, die Angriffe auf die Bevölkerung in den Provinzen und Kreisen, die im Sommer 2015 die Selbstverwaltung ausgerufen haben, öffentlich zu machen.

Meine KollegInnen werden bei ihren Recherchen von Polizisten geschlagen. Einer von ihnen wurde der Arm gebrochen. In Sur, der Altstadt von Diyarbakır – nach Gaziantep die zweitgrößte Stadt im Südosten – wurde Şehriban Aslan, eine Reporterin unserer Nachrichtenagentur von Scharfschützen angeschossen.

KollegInnen werden festgenommen, ohne dass anschließend Auskunft über sie zu bekommen ist. Kurz bevor die Selbstverwaltung ausgerufen wurde, nachdem die Regierung die Friedensverhandlungen mit den Kurden abgebrochen hatte, wurde Kadir Bağdu, ein Kollege der Zeitung Özgür Gündem, auf dem Heimweg niedergeschossen – nur weil er einen Presseausweis besaß.

Sonderkommandos

Als der Agentur-Reporter Serhat Yüce während der Ausgangssperre für Dreharbeiten in Silvan, einer Stadt in der Provinz Diyarbakır, unterwegs war, hielten ihm Polizisten eines Sonderkommandos eine Pistole an den Kopf und drohten, ihn umzubringen.

Verhaftet zu werden, ist für uns mittlerweile eine der besseren Optionen

Der TV-Reporter Refik Tekin berichtete gerade von der Beerdigung mehrerer Menschen, die in Cizre – ebenfalls in Südostanatolien – bei einem Polizeieinsatz getötet worden waren. Dabei wurde auch er verletzt. Als er verwundet im Krankenhaus lag, wurde er von Polizisten geschlagen, die ihn festnehmen wollten.

Wir JournalistInnen in Kurdistan sind Zeugen historischer Ereignisse. Aller Repression zum Trotz weichen wir nicht zurück. Unseren Beruf auszuüben, bedeutet höchstes Risiko für uns. Leider schweigen zahlreiche Länder zu dem Geschehen, internationale Solidarität gibt es kaum.

Ich selbst wurde zuletzt im Dezember festgenommen. Ich hätte „aufgeregt“ ausgesehen, so die Begründung. Nach vier Tagen in Polizeigewahrsam wurde ich mit der Forderung auf Ausstellung eines Haftbefehls ins Gefängnis überstellt. Die Verhaftung einer Journalistin, weil sie „aufgeregt“ war, zeigt einmal mehr die tragikomischen Prozesse des Landes, in dem wir leben.

Solidarität

Inzwischen haben Journalisten aus dem Westen der Türkei die Aktion „Recherche-Watch“ gestartet. Sie kommen in die kurdischen Gebiete, wo es die meisten Verbote, Sperren und Angriffe gibt, vor allem nach Diyarbakır, um Nachrichten von dort in den Rest des Landes zu tragen.

Diese Aktion ist wichtig, weil sie sichtbar macht, mit welchen Schwierigkeiten unsere in Kurdistan arbeiteten KollegInnen zu kämpfen haben. Dabei geht es auch um Solidarität. Und darum, für diese Schwierigkeiten auch über Kurdistan hinaus zu sensibilisieren.

Dass ich im Augenblick frei bin und wieder an die Arbeit gehen kann, verdanke ich zum großen Teil dem Einfluss der so geschaffenen Öffentlichkeit. Nur sie bietet einen letzten Rest Sicherheit.

Denn nur, wenn öffentlich wird, was uns tatsächlich widerfährt, konterkariert das die offizielle Darstellung der Regierung, die mich als Verbündete der PKK-Terroristen sieht.

Umgebracht und entführt

Verhaftet zu werden, ist für uns mittlerweile eine der besseren Optionen. In den 1990er Jahren, in der Hochphase des Kurdenkonflikts, wurden Dutzende Mitarbeiter der freien Presse umgebracht und entführt. Ihre sterblichen Überreste wurden nicht einmal an die Familien übergeben. Das ist die schrecklichere Option. Leider ist so etwas heute wieder möglich.

Der Agentur-Reporter Nedim Oruç, der das Geschehen während der Ausgangssperre in Silopi in der Provinz Şırnak verfolgte, wurde von Polizisten entführt. Informationen über seinen Verbleib wurden verweigert. Auf Nachfrage behauptete das Polizeirevier, man wisse nichts über ihn.

Erst als über soziale Netzwerke und das Fernsehen Öffentlichkeit geschaffen wurde, gab die Polizei zu, dass er in Polizeigewahrsam sei. Ohne Öffentlichkeit wäre auch er womöglich einer der vielen Journalisten geworden, die ihre Familien niemals wieder sehen.

Oft stellt ich mir die Frage, warum es so wenig Solidarität gibt, wenn journalistisches Arbeiten im ganzen Land so schwierig ist. Die Solidarität unter den Kollegen in der Medienbranche ist dabei wichtiger, als in anderen Berufsgruppen.

Keine Kompromisse

Denn wir üben diesen Beruf in der Verantwortung aus, der Gesellschaft Zunge, Ohr und Auge zu sein. Ohne uns wüsste niemand, was vor sich geht. Ich hoffe, dass sich Aktionen wie „Recherche-Watch“ international verbreiten und die Solidarität unter Journalisten weltweit wächst.

Was die Wahrheit angeht, gehen wir keine Kompromisse ein. Im Gegenteil: Wir werden unseren Kampf für die freie Presse ausdehnen.

Als Vertreterinnen von JINHA, der ersten ausschließlich von Frauen betriebenen Nachrichtenagentur weltweit, werden wir trotz der Repressionen die Leistungen, Kraft und Energie von Frauen herausstellen. Wir werden weiterhin den Frauen eine Stimme sein, die man aus der Gesellschaft tilgen will, die man zu versklaven versucht.

Als JINHA kämpfen wir weiter gegen das Gewaltsystem der Gesellschaft wie auch gegen den Staat, der ein System der Gewalt in der türkischen Gesellschaft etabliert. Ich hoffe, unsere Aufregung, unser Engagement kommt bei allen an.

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ist Korrespondentin der ausschließlich von Frauen betriebenen Nachrichtenagentur JINHA in Diyarbakır. „Jin“ ist kurdisch und bedeutet „Frau“. Die Abkürzung HA steht für Haber Ajansı, türkisch für Nachrichtenagentur

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