Studenten rüsten Rettungsboot aus: „Nicht hinnehmbar, dass Menschen ertrinken“

Weil sie die EU-Flüchtlingspolitik falsch fanden, gründeten Studenten den Verein „Jugend rettet“ und schicken ein Boot von Emden aufs Mittelmeer

Das Schiff Iuventa

Inzwischen auf dem Weg nach Malta: Schiff des Vereins „Jugend rettet“. Foto: Thomas Schumacher

Die ehemalige Kriegsschiffschmiede der Emder Nordseewerke ist eine Industriebrache, verlassen und unheimlich. Und doch lag bis vergangenen Donnerstag die Hoffnung hier vor Anker. Oder genauer: die „Iuventa“, nach der antik-römischen Göttin der Jugend. Der ehemalige Fischfänger ist fit gemacht worden für den Einsatz auf dem Mittelmeer – als Seenotretter für Flüchtlinge. Dahinter steht der Verein „Jugend rettet“ (JR), der sich ausdrücklich der humanitären Hilfe verschrieben hat – „weil wir den Status quo der Europäischen Asylpolitik als menschenverachtend empfinden“.

Zwei Tage vor dem Auslaufen in Richtung Malta gleicht das Schiff einem Chaos: Hier tropft noch Wasser durch, da liegen Kabel, dort hängt ein Mann am Mast und fummelt an irgendwelchen Drähten und Tampen. Zu all den verrotteten Rohren und maroden Maschinen der ehemaligen Werft passt das Schiff beinahe natürlich.

„Hier müsste man einen Endzeitfilm drehen“, sagt Christian. Er ist mit allen hier per Du und kutschiert Besucher und Gäste, wenn die die Sicherheitskontrolle am Eingang passiert haben, über das unübersichtliche Gelände. Zwei Arbeiter, die auf dem Vorschiff entspannt in Liegestühlen liegen, signalisieren aber: Hier geht es nicht um Endzeit – hier ist vielmehr Zukunft angesagt. „Ich bin nur der Fahrer“, sagt Christian und lacht. Die jungen Leute hätten ja alle keinen Führerschein.

Hunderte Rettungswesten stapeln sich vor dem Schiff am Kai. Der Sprung aufs Deck ist etwas halsbrecherisch, auch an Bord des mehr als fünf Jahrzehnte alten Schiffs liegen überall Kasten, Kisten und Taue herum. Wie Heinzelmännchen huschen Menschen in fleckigen Klamotten übers Deck. „Hallo, ich bin der Arne.“ Ein jugendlich wirkender Mann reicht seine ölige Hand. „Unser Bauleiter und Kapitän“, erklärt Lena Waldhoff, 2. Vorsitzende und Teil des „Kernteams“ von JR.

„Die Kombüse ist ordentlich“

Im Frachtraum des ehemaligen Fischtrawlers ist kein Durchkommen: Hier ist das Bordhospital eingerichtet, gespendet und ausgestattet von der Hilfsorganisation Action Medeor, der „Notapotheke der Welt“. Überall versperren Arzneikartons und Geräte, aber auch Berge von Decken und Kleidung den Weg. In einer freien Ecke beugen sich zwei junge Leute über einen Laptop. Ein knappes „Hallo“, dann friemeln sie weiter an einer Lösung für irgendein Problem. „Aber die Kombüse ist ordentlich“, sagt Lena Waldhoff und grinst. Die 25-Jährige studiert in Berlin und betreut für den Verein – und zusammen mit den externen Experten – den Umbau der „Iuventa“ hier in Emden.

„Es sieht noch nicht so aus“, sagt sie, aber dass man wie geplant auslaufen werde, das „ist sicher“. In Malte werde das Schiff weiter für den Einsatz ausgerüstet, dann „beginnt die Seenotrettung im Einsatzgebiet zwischen Libyen und Italien“, sagt sie. Ständiger Kontakt zu den lokalen Behörden sowie dem „Maritime Rescure Center“ in Rom sollen sicherstellen, dass Flüchtlinge, die an Bord der „Iuventa“ an Land gelangen, dort auch unterkommen.

Der 2015 in Berlin gegründete Verein ist nicht die einzige Privatinitiative, die sich gegen die politische Agonie der Europäischen Union in der Flüchtlingsfrage wendet. Aber „Jugend rettet“ ist die einzige Initiative von Jugendlichen, die ausdrücklich auf humanitäres Engagement setzt. „Jeder Mensch hat das Recht, vor dem Ertrinken gerettet zu werden“, so begründet JR-Gründer Jakob Schoen in der dann tatsächlich ordentlichen Kombüse die Ziele.

Diskret drückt er einen Anruf auf dem Mobiltelefon weg und zieht sich ein Stück Pizza aus einem ganzen Berg, der auf dem Tisch bereitsteht, für alle an Bord, als Biss zwischendurch. Noch wohnen die Crew und die Bauhelfer im Emder Seemannsheim. Und an Tagen, die schon mal von morgens acht bis nachts um elf dauern, knurrt öfter mal der Magen.

Vergangenes Jahr wohnte Jakob Schoen, 20, in Berlin mit seiner Kommilitonin Lena Waldhoff in einer WG. Sie arbeitete ehrenamtlich in einer Flüchtlingsunterkunft und war begeistert von seiner Idee, in Seenot geratene Flüchtlinge zu retten. „2015 sind mehr als 800 Menschen im Mittelmeer ertrunken; dann die Havarie eines Schlauchbootes vor Lampedusa mit 350 Toten, Männer, Frauen und Kinder“, sagt sie am Kombüsentisch der „Iuventa“.

Gerade mal sechs Wochen lang, ergänzt Schoen, seien zwei deutsche Marineschiffe als Seenotretter vor Ort gewesen. „Danach wurde der Einsatz umdefiniert, um Schleuserschiffe zu zerstören. Das hat aber nicht geholfen. Wir leben in Europa in einer hoch zivilisierten und technisierten Welt. Da ist es doch nicht hinnehmbar, wenn hunderte von Menschen auf der Flucht ertrinken. Man könnte ja denken, dies wäre politisch gewollt.“

Plötzlich ertönt ein lauter Knall, dann zahlreiche Stimmen, auch Lachen. „Alles okay“, sagt ein Helfer, der sich rasch ein Stück Pizza holen kommt und wieder verschwindet. Lena Waldhoff und Jakob Schoen sitzen eingezwängt auf den engen Bänken, auffallend nüchtern sachlich – nicht mal ein Hauch von Abenteuer oder auch nur Ausgeflipptheit. „Wir wollen in Europa ein Zeichen setzen“, sagt Waldhoff beinahe schüchtern.

„Wir wollen als Jugendliche klarmachen, so geht das nicht. Wir fordern von Deutschland und der EU: Macht was in der europäischen Politik!“ Was beiden wichtig ist: Der Verein sei dabei völlig unabhängig und weder parteipolitisch noch beispielsweise konfessionell gebunden.

Unterstützung auch aus dem Fernsehen

Mit dem Verein haben die beiden dann einfach selbst „was gemacht“. Beinahe naiv, erklärt Schoen, hätten sie „überall gefragt, wie das klappen könnte, ein Schiff für die Seenotrettung im Mittelmeer auszurüsten“. Tatsächlich stießen sie immer wieder auf großes Interesse. Schwer zu sagen, was „die Erwachsenen“ mehr beeindruckte: die Ideale der Jugendlichen – oder deren professionelles Vorgehen. „Nachdem im Oktober 2015 unser Projekt über die sozialen Medien öffentlich wurde, bekamen wir sofort viele Unterstützer“, erinnert sich Lena Waldhoff.

Inzwischen unterstützen Anwälte und Reedereien, aber auch Hilfsorganisationen das Projekt. Die deutsche Filmakademie stellte dem „Kernteam“ ein Büro, diverse Prominente warben für die Aktivitäten des Vereins: Auf der Homepage des Vereins finden sich bis heute aufmunternde, auch bewundernde Testimonials von Schauspielern wie Maria Furtwängler und Armin Rohde. „In der Akademie“, sagt Jakob Schoen schmunzelnd, „saßen wir ja an der Quelle.“

Ab Oktober ging es ziemlich schnell: Erste Spenden wurden eingeworben, und mit Harald Zindler und Gijs Thieme, Mitgründer von Greenpeace Deutschland, kamen erste einschlägig qualifizierte Berater an Bord. Auch Nautiker wurden ins Kernteam aufgenommen. Eine Reederei aus Leer stellte kostenlos einen Gutachter zur Verfügung, der zum Kauf angebotene Schiffe prüfte. Schließlich erwarb der Verein die 33 Meter lange „Alk Explorer“, mit der zuletzt Bohrplattformen vor Island bewacht wurden – die heutige „Iuventa“.

Wie viele es sind, die nun auf den letzten Metern mit anpacken? Überall wird gehämmert, gezogen, gestrichen. „Es sieht nicht so aus“, sagt Lena Wadhoff, „aber wir liegen voll im Zeitplan. Die Kühlschränke sind auf jeden schon gut gefüllt.“

„Wir haben in 38 Städten in Europa 44 BotschafterInnen, die dort wieder eigene Unterstützernetze aufbauen“, auch das erzählt sie. „Wir können solche grundsätzlichen Probleme nur durch Kooperation in ganz Europa lösen“, sagt Jakob Schoen.

40.000 Euro müssen jeden Monat beschafft und eingeworben werden, um die laufenden Kosten zu tragen. „Alle arbeiten ehrenamtlich. Auch die Crew des Schiffes“, sagt Pauline Schmidt, zuständig für Presse- und Öffentlichkeit. „Die ersten Monate sind finanziell abgesichert, für den Rest müssen wir weiter Geld sammeln.“ Für den eigentlichen Rettungseinsatz brauche man weiteres Fachpersonal: Nautiker, Ärzte, Seeleute und Rettungssanitäter. „Wir haben schon 200 Bewerbungen“, sagt Lena Waldhoff.

Die Jugendlichen selbst fahren übrigens nicht mit nach Malta oder gar weiter mit aufs Mittelmeer. „Wir wollen, dass das Projekt professionell durchgeführt wird“, sagt Jakob Schoen. „Wir beweihräuchern uns nicht selbst, wir machen unsere Arbeit und überlassen Nautik und Rettungsarbeit den Profis. Wir erarbeiten ein europäisches Netzwerk der Kommunikation unter Jugendlichen und schaffen so vielleicht ein Modell, wie künftig Probleme gemeinsam gelöst werden können.“

Die „Iuventa“ scheint in vielen guten Händen. Die Pizza ist inzwischen alle, und wie von selbst ist die Kombüse „klar“. Am Oberdeck streicht noch ein junger Mann unermüdlich Farbe auf die Außenwand.

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