Medienprojekte und Gemeinnützigkeit: Im Dienste der Gesellschaft?

Die Non-Profit-Medienmacher in Deutschland haben ein Problem: Journalismus wird von den Behörden nicht als gemeinnützig anerkannt.

Podiumsdiskussion auf der Jahrestagun von Netzwerk Recherche

Jahrestagung der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche – links: Moritz Tschermak (Archivbild von 2015) Foto: dpa

Vor ein paar Wochen stand Moritz Tschermak wieder vor einer Schulklasse. Der Journalist, der auf den Webseiten „Bildblog“ und „Topf voll Gold“ die Verfehlungen seiner Branche aufdeckt, zeigte den SchülerInnen mit dem „Schlagzeil-O-Mat“, der automatisch reißerische Überschriften ausspuckt, wie Boulevardjournalismus funktioniert. Außerdem rief er dazu auf, in sozialen Netzwerken zurückhaltend zu sein – immerhin stöberten darin Journalisten, um ihren Hunger nach Opferfotos zu stillen.

„Dieser Vortrag war wie immer spannend“, sagt Tschermak. „Aber wenn ich auch die Vorbereitung mit einrechne, dann geht dafür einfach zu viel Zeit drauf, die mir für das Wesentliche fehlt: den Journalismus.“

Vor gut einem Jahr schlagzeilte „Topf voll Gold“ noch „In eigener Sache: Der Topf ist jetzt gemeinnützig“. Wer Medienkritik finanzieren wollte, konnte seine Investition von der Steuer absetzen. Aber: Als gemeinnützig anerkannt wurden nur die Bildungsangebote, die Tschermak und Konsorten entwickelt hatten – aber eben nicht jene Berichterstattung, für die Tschermak gern mehr Zeit hätte. Denn Journalismus an sich dürfen die Finanzbehörden nicht als gemeinnützig anerkennen.

Dieser anhaltende Zustand dürfte die Euphorie bremsen, wenn sich am 28. Oktober die Anhänger der noch jungen Bewegung auf dem „Tag des Non-Profit-Journalismus“ in Berlin treffen. Thomas Schnedler hat die Fachkonferenz organisiert. Er ist Referent für das Thema beim Netzwerk Recherche – gefördert von der GLS Treuhand, einem Unternehmensteil der GLS Bank. Schnedler verweist auf erfolgreiche Projekte wie das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv, das die Brost-Stiftung mit mehreren Millionen Euro angeschoben hat und das inzwischen im Zusammenspiel mit kleinen wie großen Medien berichtet sowie Bürgern in Informationsfreiheitsseminaren hilft, die Aktenschränke deutscher Behörden zu öffnen.

Das kommt

Das Netzwerk Recherche wird zudem – gefördert von der Schöpflin-Stiftung – schon bald mehreren Projekten Starthilfe geben, die „einen Recherche-Schwerpunkt haben und die Gemeinnützigkeit anstreben“. Für diese Stipendien seien „tolle Bewerbungen eingegangen, die uns die Auswahl schwer machen“, sagt Schnedler und zeichnet – wenn auch verhalten – ein optimistisches Bild: „In dem Bereich ist mehr Dynamik drin als noch vor zwei Jahren.“

Doch nicht nur bei „Topf voll Gold“, sondern auch anderswo funktioniert der Non-Profit-Journalismus nicht so wie gedacht. „Ernüchtert“ sind Wolfgang Messner und Thomas Schuler, die im vergangenen Jahr ProRecherche gegründet haben. Die Idee dahinter: Exzellente JournalistInnen wie die Autorin Julia Friedrichs und der einstige Chefredakteur von Spiegel und Süddeutscher Zeitung, Hans Werner Kilz, helfen KollegInnen über einen langen Zeitraum dabei, Missstände offenzulegen und so den Staat sauber zu halten.

Weniger Abonnenten und Werbekunden: Journalisten suchen vor allem für aufwendige Recherchen neue Geldquellen.

Die Hoffnung: Vermögende und Stiftungen. Das klappt allerdings erst dann gut, wenn Spender dies von der Steuer absetzen können. Einige Journalisten wünschen sich deshalb, dass Journalismus als gemeinnützig anerkannt wird. Das würde Geldgebern wie Unternehmungen Steuervorteile bringen.

Schuler und Messner sind selbst herausragende Journalisten. Der eine seziert seit Jahren das Medienimperium von Bertelsmann, der andere hat Skandale im Südwesten der Republik aufgedeckt. Mit Geld etwa der Rudolf-Augstein-, der Otto-Brenner- und der August-Schwingenstein-Stiftung haben sie auch erste Lehrredaktionen gegründet. Andere Stiftungen hätten allerdings abgewunken oder gar nicht erst auf Anfragen reagiert. Immer wieder seien Rechercheprojekte zudem gar nicht mit dem Stiftungszweck vereinbar – und das alles, obwohl Stiftungsvertreter sich in Sonntagsreden gerne für den Journalismus einsetzten und das Thema besetzten.

Das Problem: Wenn denn Geld von Stiftungen floss, mussten Messner und Schuler das eins zu eins – da zweckgebunden – in ihre Lehrredaktionen stecken. Der ganze Aufbau drumherum, die Errichtung von ProRecherche, sei damit „im Grunde ein unbezahltes Hobby“, das überdies „vor allem Kosten verursacht“ habe, etwa für den Internetauftritt und den Notar. „Wir haben ProRecherche deshalb nie so aufbauen können, wie wir uns das gewünscht hätten.“ Da sind sich beide einig.

All diese Schwierigkeiten beobachtet auch Marcus von Jordan. Dabei ist er selbst einer, der es erst mal gut getroffen hat: Seine Autorenplattform Torial wird von der August-Schwingenstein-Stiftung gefördert, bei der – ähnlich wie bei Brost und Augstein – das Kapital letztlich vor allem von einstigen Medienmachern stammt, hier einem der Mitgründer der Süddeutschen Zeitung. Die Szene fördert sich so vor allem selbst.

Nichts Nachhaltiges

Allerdings bezeichnet Jordan die Förderpolitik vieler journalistischer Projekte offen als „kontraproduktiv“. Namhafte Geldgeber förderten gezielt „Prestigeträchtiges, das aber mit viel zu kleinen Summen“. Das bringe zwar junge Leute dazu, unter „teils brutaler Selbstausbeutung“ ein paar Monate hart zu arbeiten, schaffe aber nichts Nachhaltiges – von wenigen Projekten wie Correctiv, Finanztip und seinem Torial abgesehen.

In der Ukraine kämpfen tausende junge Menschen freiwillig und ohne Bezahlung. Was die Feministin Maria Berlinska vom Hörsaal an die Drohnensteuerung treibt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 15./16.Oktober. Außerdem: Der Schriftsteller Heleno Saña erzählt im Interview vom spanischen Sommer der Anarchie, Whisky unter Franco und der Liebe auf den ersten Blick. Und: Ein Chip im Ohr soll bald zwischen allen Sprachen übersetzen. Werden Dolmetscher ab 2017 überflüssig? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Außerdem behagt es Jordan kaum, dass man, um für Journalismus die Gemeinnützigkeit zu beantragen und zu erlangen, Umwege über den Verbraucherschutz oder Bildungsangebote beschreiten muss. Auch wenn er selbst diesen Weg gegangen ist. Aber: „Es weiß doch niemand, ob nicht in zwei Jahren ein Münchner Finanzbeamter der Meinung ist, ich hätte doch zu viel Geld für Torial ausgegeben statt für unsere Akademie. Projekte brauchen Rechtssicherheit, vor allem bei der steuerlichen Einordnung.“

Jordan fehlt das Lobbying für eine Gesetzesänderung: Er will, dass das Kerngeschäft des Journalismus – das Recherchieren und Veröffentlichen – selbst als gemeinnützig anerkannt werden kann. Non-Profit-Referent Thomas Schnedler sagt dazu, das Netzwerk Recherche habe sich „nie als große politische Lobbyorganisation verstanden“. Er glaube auch nicht, dass man Politiker mit dem Thema „nerven“ müsse. Dass sein „Tag des Non-Profit-Journalismus“ in der Hamburger Landesvertretung zu Gast sei, zeige doch, dass das Thema „im politischen Kosmos auf Interesse“ stoße.

Das war’s

Jordan reicht das allerdings nicht. Er mahnt: „Auf Lobbyseite ist das totales Stückwerk.“ Für gemeinnützigen Journalismus werde „nicht laut genug geschrien“. Den richtigen Weg kenne er zwar nicht, doch am Abend der Fachkonferenz will er mit Gleichgesinnten eine Konferenz für April 2017 planen – für nachhaltige „Biomedien“, wie er das lieber nennt, und alternative Finanzierungswege.

ProRecherche will unterdessen versuchen, durchzuhalten – wenn auch auf niedrigem Niveau, denn die Macher müssen selbst Geld verdienen.

Topf voll Gold“-Blogger Tschermak wiederum wird demnächst ein zweites Mal zum Notar gehen und die Gemeinnützigkeit abwickeln. Er selbst kümmert sich ohnehin zunehmend um „Bildblog“. „Topf voll Gold hat zudem gerade als Teil des abofinanzierten Portals „Übermedien“ eine neue Heimat gefunden. Für Tschermak ist das Kapitel „Gemeinnützigkeit“ heute nicht viel mehr als ein „lehrreiches Experiment“.

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