Brüske Abwehr, steife Umarmung

Dokumentarfilm Jazz in der DDR: Michael Rauhuts und Tom Frankes „Die Stimme Amerikas“ untersucht die Hassliebe zur Musik des Klassenfeinds. Der Film bleibt nicht beim Anekdotischen, sondern zeigt Muster auf

Die Jazz-Sängerin Etta Cameron lebte von 1967 bis 1972 in Ostberlin Foto: © Archiv Steve Cameron

von Robert Mießner

Die beste DDR-Schallplatte, die es nie gegeben hat, hätte „Es führt kein Beat nach Bitterfeld“ heißen müssen. Stattdessen lief unter diesem Titel 1967 im NDR eine Sendung, deren Redakteur Reginald Rudorf aus eigener Erfahrung (und damit hört der Spaß auf) über die Unmöglichkeiten der DDR-Jugend- und Kulturpolitik berichtete. Das Urteil des ehemaligen SED-Mitglieds und Lehrers für marxistische Ästhetik in Leipzig und Halle geriet vernichtend. Rudorf hatte sich in der DDR der 1950er Jahre für den Jazz starkgemacht, Vorträge über seine Musik gehalten und Rundfunksendungen moderiert. Er wurde ins Krankenhaus geprügelt und 1957 zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt; danach floh er in den Westen.

Ein kurzer Ausschnitt aus Rudorfs NDR-Beitrag ist in dem Dokumentarfilm „Die Stimme Amerikas“ von Michael Rauhut und Tom Franke zu sehen, der die ambivalente Rolle von Jazz (er nimmt den größeren Teil des Filmes ein), Blues, Liedermachern und Rock aus den USA in der DDR zum Thema hat.

Der Film unterstreicht: Rudorf war mit seinem Engagement zu früh. Die Stimmung in Sachen Jazz war in der DDR nämlich noch eine andere: Der österreichische Pianist, Dirigent und Musikwissenschaftler Georg Knepler hatte 1951 vor Ostberliner Fachpublikum ein Bebop-Stück vorgespielt – und ausgeführt, dies sei „eine Musik, die das Chaos darstellt, die das Chaos ist, die nicht nur Kriegsvorbereitung, sondern der Krieg ist. Das ist ein Versuch, den Krieg in die Hirne der Menschen einzuschmuggeln.“ Ein legitimes Geschmacksurteil des Brecht/Eisler-Mitarbeiters Kneplers, dem 1933 seine Arbeit untersagt worden war und der seit 1949 in der DDR wirkte. Kulturpolitisch jedoch ein klares Eigentor.

Rauhuts und Frankes Film macht deutlich, dass es dabei dann doch nicht blieb. 1964 erschien auf dem DDR-Label Amiga eine schlicht „Jazz“ betitelte Compilation-LP, deren Liner Notes den Jazz „in volkstümlichen, snobistischen und kommerziellen“ einteilt. Wo da die Sympathien lagen, lässt sich erahnen, obwohl die B-Seite recht modern, snobistisch fast geraten ist. Einer der Sänger der Platte ist übrigens Manfred Krug, von dem das wunderbare Zitat überliefert ist: „Zu den schönsten Kulturerfindungen des amerikanischen Brudervolkes gehört für mich der Jazz.“

Krug tritt im Film auf, ebenso wie Paul Robeson, Louis Armstrong, Pete Seeger und Joan Baez, die in der DDR gastierten. Die Geschichte der Jazz-Sängerin Etta Cameron (sie lebte von 1967 bis 1972 in Ostberlin) hat Michael Rauhut bereits am 24. Oktober in der taz erzählt. Im Film ist sie mit Originalaufnahmen und im Duett mit Krug zu sehen; ihre Kinder schildern, wie es war, in Prenzlauer Berg zu wohnen und in Westberlin zur Schule zu gehen.

Der Film beschränkt sich nicht aufs Anekdotische: Die Erzählungen der Musiker wie Ernst-Ludwig Petrowsky und Uschi Brüning oder der Journalisten Christoph Dieckmann und Siegfried Schmidt-Joos verdeutlichen, was sich fast wie ein Muster durch den Umgang der offiziellen DDR mit Jugend- und Musikkulturen zog: die anfänglich brüske Abwehr wie die spätere, nicht selten etwas steife Umarmung.

Die Einteilung in den Liner Notes: volkstümlich, snobistisch, kommerziell

Die Musik wurde zur Projektionsfläche bei Funktionären und Hörern. Dann haben Rauhut und Franke mit Victor Grossmann und Walter Kaufmann zwei Autoren interviewt, die aus dem Westen in die DDR kamen (der eine als Deserteur aus der US-Armee, der andere als australischer Seemann), woraus ein bemerkenswerter Doppelblick resultiert.

Reginald Rudorf hingegen ging im Westen einen Weg, der ihn vom ARD-Redakteur, Spiegel- und FAZ-Mitarbeiter zur Jungen Freiheit führte. Nach Musikbüchern veröffentlichte er Titel wie „Kopflos – Die Vertreibung der Eliten“, „Nie wieder links“ und „Die vierte Gewalt. Das linke Medienkartell“. Ob da seine Erfahrungen in der DDR durchschlugen? Ob da jemand die Konservativen seiner Jugendzeit, die sich Sozialisten nannten, für Linke hielt?

Eine sichere Bank ist eine der besten DDR-Platten, die es tatsächlich gegeben hat: „’N Tango für Gitti“ (1982), ein Soloalbum des Freejazz-Pianisten Ulrich Gumpert; so sinnlich, wie sein Cover es suggeriert. Dabei führte ein Weg aus Bitterfeld: Bis zum Mauerfall konnte Gumpert eine Handvoll LPs in Westeuropa veröffentlichen.

„Die Stimme Amerikas“: 7. 11., 20.00 Uhr, Kino Babylon (+ Konzert), 8. 11., 20.15 im RBB