Kulturgeschichte des Rheins: Verträumte inspirieren

Das bringt Schulklassen ins Schwitzen: Die Ausstellung „Der Rhein – eine europäische Flussbiografie“ in Bonn folgt dem Fluss über 1.200 Kilometer.

Vater Rhein musiziert auf dem Gemälde von Moritz von Schwind, in den Fluten liegend, andere Flußgötter tragen Kathedralen oder Schätze.

In der europäischen Kunst hat der Rhein seinen Platz, auch als Allegorie – Moritz von Schwind, „Vater Rhein“, 1848 Foto: Raczyński-Stiftung am Nationalmuseum in Poznań

Behäbig und grau wälzt sich der Rhein in diesen Herbsttagen von der Schweiz bis in die Niederlande, einmal längs durch Deutschland, mitten durch Europa. Rechts und links davon wird bis heute Politik gemacht: Rund 7.000 Bundesbeamte arbeiten allein in Bonn, 6 von 14 Ministerien haben hier immer noch ihren Hauptsitz. 18 Agenturen der Vereinten Nationen liegen am Rhein.

Kaum ein anderer Fluss scheint heute ähnlich für die Idee des Weltfriedens zu stehen: Vom Grenzfluss wurde der Rhein nach dem Zweiten Weltkrieg symbolisch zur Hauptschlagader der deutsch-französischen Freundschaft erklärt, später zum Träger des europäischen Gedankens. Im Spätoktober sieht er allerdings mehr so aus, als habe ihn sein bewegtes Leben müde gemacht.

Die Bundeskunsthalle in Bonn trägt der Geschichte nun gemeinsam mit dem LVR-Museum (Landesverband Rheinland) mit einer umfassenden Ausstellung Rechnung. „Der Rhein – eine europäische Flussbiografie“ heißt die Schau, deren Titel Schulklassen Angst macht. Ihr Inhalt könnte Regalmeter füllen, zimmerweise, mehrere Stockwerke hoch, etliche Häuserblöcke entlang. 1.200 Kilometer weit reicht übrigens der Strom selbst von der Quelle bis zur Mündung in der Nordsee. Kuratiert hat die Ausstellung die Kulturhistorikerin und Schriftstellerin Marie-Louise von Plessen.

Skelette und Jungrfrauen

Die Fülle beeindruckt. Die Ausstellungsstücke weisen 14.000 Jahre zurück: So alt sind die Skelette, ein Mann und eine Frau, die in Bonn im „Oberkasseler Doppelgrab“ gefunden wurden und die den Besucher gleich beim Eintreten begrüßen.

In der europäischen Kunst und Mythologie hat der Fluss einen festen Platz. Der Holländer Salomon van Ruysdael (1600–1670) hat den Rhein gemalt, der britische Landschafts- und Lichtkünstler William Turner (1775–1851) auch. Der Deutsche Johann Adolf Lasinsky hat Fischerei und frühen Güterverkehr am Rhein in Öl 1828 gepinselt. Der Franzose Victor Hugo (1802–1855) hat über ihn geschrieben, Robert Schumann (1810–1851) ihm eine Symphonie gedichtet.

Der Franzose Victor Hugo hat über ihn geschrieben, Robert Schumann ihm eine Symphonie gedichtet

Der Schatz der Nibelungen, nach einer alten Germanensage im Rhein begraben, wurde bis heute nicht gehoben. Auf dem Drachenfels, wo heute eine Festung steht, rang Siegfried der Legende nach einen Drachen nieder, um eine Jungfrau zu ihren Eltern nach Worms zurückzubringen – Shit happens. Caspar Johann Nepomuk Scheuren hat den sagenumwobenen Felsen 1851 gemalt. Weltliche Herrscher gingen es pragmatisch an: Das Rheingold inspirierte sie zum Prägen von Goldtalern.

Ungekannte Stille

Fotografien von Willy Römer zeigen den Rhein Anfang des Jahrhunderts (1918) als Kriegsschauplatz, als geografische Linie, die die Erbfeinde Deutschland und Frankreich nur mit Mühe auseinanderzuhalten vermag. Andreas Gursky fotografiert die heutige Industrielandschaft entlang des Rheins, aufgereiht in sauberer Geometrie und auf seinen Bildern auch in großer, ungekannter Stille. Claudio Hills arbeitet ebenfalls mit Leere, wo Getümmel vermutet wird, Valeska Achenbach und Isabela Pacini mit ungewöhnlichen Perspektiven auf allzu Vertrautes: Wasser.

Das Ende bilden die farbensatten Container des „Europort“ in Rotterdam: Von hier aus geht der Blick in die Welt hinaus und ganz besonders nach drüben, in die USA.

Bis 22. Januar 2017, Di.–Mi. 10–21 Uhr, Do.–So. 10–19 Uhr. Katalog: „Der Rhein. Eine europäische Flussbiografie“. Prestel, München 2016, 39,95 Euro

2.000 Jahre Geschichte erzählen und trotzdem den Blick für einzelne Details schärfen – dies ist der Anspruch, den sich die Ausstellungsmacher selbst gegeben haben und an dem sie sich nun messen lassen müssten. Die Schau möchte für Wissende eine Chronologie nacherzählen, Unwissenden einen Überblick vermitteln, Verträumte inspirieren und Unentschlossene zum Verweilen bewegen.

Weiß nicht, was soll es bedeuten

Und fast ist so schon vor dem Rundgang klar: Da könnte sich wer verhoben haben, einfach, weil’s nicht anders sein kann. Mystik, Romantik, Krieg und Frieden, Handel und Industrielandschaft und eine ganze Menge Wasserbilder fließen nicht zusammen. Politik kommt vor, Religion wird gestreift, manchmal auch alles zusammen – und so steht der Besucher dann vor Anselm Kiefers Andachtsbild „Vater, Heiliger Geist und Sohn“ (1973) und weiß nicht so recht, was es ihm bedeuten soll. 13 Kapitel wollen eine (Schein-)Ordnung stiften, wo im Grunde keine zu schaffen ist. Nachvollziehbar sind die Brüche nicht immer. Akkuratesse ist ein Prinzip, das offenbar maximal für stehende Gewässer funktionieren kann.

Da die thematische Verwässerung in dieser Schau allerdings auf eine interessante, intellektuell stimulierende Weise geschehen ist, will man ihr ihre Vielfältigkeit letztlich nicht vorwerfen. Allein die Qualität der Ausstellungsstücke begeistert – und an welchem Fluss geht es schon ruhig zu?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.