BGH-Urteil über Kündigungsstreit: 97-Jährige muss wohl nicht umziehen

Der Pfleger einer dementen Frau hatte die Vermieterin beleidigt. Nun hebt der Bundesgerichtshof ein entsprechendes Kündigungsurteil auf.

Froschperspektive auf eine Hausfassade

Seit Jahrzehnten wohnt die Frau in der Wohnung im Münchner Stadtteil Schwabing Foto: dpa

KARLSRUHE taz | Eine 97-jährige demente Frau und ihr Pfleger können vermutlich in ihren Wohnungen bleiben. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob an diesem Mittwoch ein Kündigungsurteil des Landgerichts München auf. Der Pfleger hatte mehrfach die Vermieterin und ihre Hausverwaltung beleidigt.

Anna U. wohnt schon seit 1955 in der 3-Zimmer-Wohnung im Münchener Stadtteil Schwabing. In einer separaten 1-Zimmer-Wohnung wohnt als Untermieter der 42-jährige Hani F., der Frau U. seit 16 Jahren pflegt. Seit 2007 ist Frau U. dement, weshalb Hani F. auch als Betreuer eingesetzt wurde. Nach Aussage des Betreuungsgerichts kümmert sich F. „hingebungsvoll“ um die mittellose Frau. Seinen Pfleger-Lohn zahlt der Staat.

Mit der Vermieterin, die außerhalb Münchens lebt, und der Hausverwaltung ist das Verhältnis allerdings schon seit Jahren gespannt. Als der Hausmeister im März 2015 F. aufforderte, ein im Hausflur abgestelltes Fahrrad und eine Vase zu entfernen, antwortete F. mit einer harschen Email („ihr feindliche widerliche Leute“). Daraufhin kündigte die Vermieterin die beiden Wohnungen fristlos, was F. zu neuen Emails reizte („nazi ähnliche braune mist haufen“, „ihr werdet meine Stiefelsohle und die benutzte Windel der Frau U. lecken“, „gnade werde ich nicht haben“). Insgesamt sprach die Vermieterin drei fristlose Kündigungen aus.

Das Landgericht München wertete die Beleidigungen als schweren Pflichtverstoß. Die Äußerungen des Untermieters und Pflegers seien Frau U. auch zuzurechnen, weshalb die fristlose Kündigung wirksam sei. Die gesundheitliche Situation von Frau U. könne allenfalls als Argument gegen eine Zwangsvollstreckung der Räumung berücksichtigt werden.

Drohende gesundheitliche Folgen

Dieses Urteil hielt der BGH jedoch für falsch. Laut Gesetz müssten bei der fristlosen Kündigung „alle Umstände des Einzelfalls“ berücksichtigt und die „beiderseitigen Interessen“ abgewogen werden. Die persönliche Härte einer Kündigung für Frau U. hätte vom Landgericht deshalb nicht ignoriert werden dürfen, sagte die Vorsitzende Richterin Karin Milger. Der BGH verwies das Verfahren ans Landgericht München zurück, das nun ein fachärtzliches Gutachten über drohende gesundheitliche Folgen eines Pfleger- oder Wohnungswechsels einholen soll.

Hani F. war persönlich zur BGH-Verhandlung gekommen. Er vermutet, dass die Vermieterin die beiden Wohnungen künftig teurer vermieten will. Der Anwalt der Vermieterin widersprach: Eigentlich wolle man nur F. loswerden. Wenn Frau U. sich einen anderen Pfleger suche, könne sie bleiben. F's Anwalt sagte, sein Mandant sei eine „reizgeneigte Person“. Die Vermieterin habe dies ausgenutzt und die „Eruptionen“ geradezu provoziert.

Hani F. lebt seit 1996 in Deutschland. Er stammt aus einer christlichen Akademikerfamilie, die aus dem Irak des damaligen Diktators Saddam Hussein geflohen ist. Seit 2005 ist er deutscher Staatsbürger. Am BGH erschien er in Jeansjacke, die langen dunklen Haare zum Pferdeschwanz gebunden.

Az.: VIII ZR 73/16

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