Arthur Schopenhauer über Erwartungen: „Von der Hoffnung genarrt“

Aus aktuellem Anlass: Der längst verstorbene Philosoph Arthur Schopenhauer im Gespräch über Trump und Brexit, die AfD und eine Welt voll hohler Nüsse.

Eine Zeichnung von Arthur Schopenhauer

„Das Leben ist eine missliche Sache: Ich habe mir vorgesetzt, es damit hinzubringen, über dasselbe nachzudenken.“ – Arthur Schopenhauer Foto: Imago / Leemage

taz.am wochenende: Die Wahl Trumps, der Brexit, der Aufstieg der AfD Herr Schopenhauer, für viele Menschen war 2016 ein schreckliches Jahr, sie hoffen nun auf …

Arthur Schopenhauer: Die, welche, mittels Streben und Hoffen, nur in der Zukunft leben, immer vorwärts sehen und mit Ungeduld den kommenden Dingen entgegeneilen, als welche allererst das wahre Glück bringen sollen, inzwischen aber die Gegenwart […] vorbeiziehen lassen, sind, trotz ihrer altklugen Mienen, mit jenen Eseln in Italien zu vergleichen, deren Schritt dadurch beschleunigt wird, dass an einem, ihrem Kopf angehefteten Stock ein Bündel Heu hängt, welches sie daher stets dicht vor sich sehen und zu erreichen hoffen.

Esel? Wie bitte? Es geht um Menschen und ihre Hoffnungen nach einem schweren Jahr.

Der Lebenslauf des Menschen besteht darin, dass er, von der Hoffnung genarrt, dem Tod in die Arme tanzt.

Dem Tod? Ähem, genau. 2016 sind ja auch Fidel Castro, David Bowie und Muhammad Ali gestorben, das hat viele Menschen bewegt, die nun …

… es ist wirklich unglaublich, wie nichtssagend und bedeutungsleer, von außen gesehen, und wie dumpf und besinnungslos, von innen empfunden, das Leben der allermeisten Menschen dahinfließt. Es ist ein mattes Sehnen und Quälen, ein träumerisches Taumeln durch die vier Lebensalter hindurch zum Tode, unter Begleitung einer Reihe trivialer Gedanken.

Person: Der deutsche Philosoph lebte von 1788 bis 1860. Besonders stark wurde er vom Werk Immanuel Kants beeinflusst. Georg Wilhelm Friedrich Hegel bezeichnete er hingegen als „Scharlatan“.

Haltung: Von seinen Zeitgenossen als Misanthrop geschmäht, bevorzugte Schopenhauer in seinem Spätwerk den Terminus „glücklicher Pessimist“.

Alles andere als trivial ist unser Thema heute: Große Erwartungen. Wie halten Sie es damit? Ich gebe zu, ich habe nur einige Ihrer Werke gelesen und nicht alle, doch mir scheint …

… Wer aber vollends die Lehre meiner Philosophie in sich aufgenommen hat und daher weiß, dass unser ganzes Dasein etwas ist, das besser nicht wäre und welches zu verneinen und abzuweisen die größte Weisheit ist, der wird auch von keinem Dinge oder Zustand große Erwartungen hegen.

Keine? Aber Erwartungen gehören doch zum Leben wie Zähne putzen und dummes Zeug reden.

Auch hier stellt das Leben sich keineswegs dar als ein Geschenk zum Genießen, sondern als eine Aufgabe, ein Pensum zum Abarbeiten.

Moment mal, andere haben große Erwartungen an Sie gestellt. Der Philosoph Max Horkheimer notierte über Sie: „Dass alles Leben der Macht gehorcht und aus dem Zauberkreis des Egoismus gerade noch die Hingabe an die Sache, die Identifikation mit dem, was nicht ich bin, herauszuführen und ins Nichts hineinzuführen scheint – und das ist ein Mythos – hat Schopenhauer gesehen und war der Welt böse dafür.“

Das Leben ist eine missliche Sache: Ich habe mir vorgesetzt, es damit hinzubringen, über dasselbe nachzudenken.

Selbst die radikale Linke im bundesrepublikanischen Deutschland hatte seit den späten achtziger Jahren große Erwartungen an Sie. Ständig hieß es: Anna und Arthur halten’s Maul.

Auch wird man einsehen, dass Dummköpfen und Narren gegenüber es nur einen Weg gibt, seinen Verstand an den Tag zu legen, und der ist, dass man mit ihnen nicht redet.

Dummköpfe und Narren? Da ging es um Verschwiegenheit gegenüber den Organen der Polizei und der Staatsanwaltschaft im Falle einer Festnahme. Aber wer ist eigentlich diese Anna, mit der Sie da ständig in einem Satz genannt wurden?

In schwierigen Angelegenheiten, nach Weise der alten Germanen, auch die Weiber zu Rate zu ziehen ist keineswegs verwerflich.

Herr Schopenhauer, bitte, das ist hier die taz, da müssen Sie keine Bräuche der „alten Germanen“ bemühen, um über Emanzipation zu sprechen …

In Berlin baut ein gelernter Schweißer den größten Hindu-Tempel Deutschlands – seit mehr als neun Jahren. Große Erwartungen treiben uns an. Sie finden sich in jedem Leben, besonders in der Weihnachtszeit. Die taz.am wochenende vom 24./25./26. Dezember widmet sich ihnen. Mit dabei: eine Kunstschätzerin, ein Pfarrer und ein Alleinunterhalter, die über den professionellen Umgang mit Erwartungen reden. Und: der magische Moment, bevor das Überraschungsei ausgepackt wird. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Wie den Löwen mit Klauen und Gebiss, den Elefanten mit Stoßzähnen, den Eber mit Hauern, den Stier mit Hörnern und die Sepia mit der wassertrübenden Tinte, so hat die Natur das Weib mit Verstellungskraft ausgerüstet, zu seinem Schutz und Wehr, und hat alle die Kraft, die sie dem Manne als körperliche Stärke und Vernunft verlieh, dem Weibe in Gestalt jener Gabe zugewendet.

Kleingeistig, dieser Chauvinismus eines ewigen Junggesellen, den keine Frau haben wollte.

Die eigentlich großen Geister horsten, wie die Adler, in der Höhe, allein.

Chauvinistisch und elitär, wie wollen Sie da jetzt wieder herausfinden?

Wenn man merkt, dass der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob.

Da wir gerade von „beleidigend und grob“ sprechen: Kennen Sie eigentlich die nationalistische AfD und ihren notorischen Hausphilosophen Marc Jongen?

Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein.

Gibt es denn gar nichts Gutes über die Nation zu sagen?

Jede Nation spottet über die andere, und alle haben Recht.

Auf Marc Jongens Website findet sich über die AfD der folgende Satz: „Wir sind die Lobby des Volkes.“ Wie wirkt das auf Sie – weit da oben in Ihrem „Horst“?

Wo viele Gäste sind, ist viel Pack.

Das sind harte Worte, und Sie haben in vielem recht. Verbittert klingt es trotzdem. Gibt es denn nichts Schönes in Ihrem Leben?

In Arkadien geboren, wie Schiller sagt, sind wir freilich alle: d. h., wir treten in die Welt, voll Ansprüche auf Glück und Genuss, und hegen die törichte Hoffnung, solche durchzusetzen.

Das fing schön an, und am Ende steht nur wieder „töricht“. Noch mal, bitte!

Wir verleben unsere schönen Tage, ohne sie zu bemerken: Erst wenn die schlimmen kommen, wünschen wir jene zurück. Tausend heitere, angenehme Stunden lassen wir, mit verdrießlichem Gesicht, ungenossen an uns vorüberziehen, um nachher, zur trüben Zeit, mit vergeblicher Sehnsucht ihnen nachzuseufzen.

Zeitlebens waren Sie ein großer Freund von Pudeln. Zeitzeugen haben geschildert, wie Sie bei Spaziergängen mit Ihrem Pudel sprechen. Sind Tiere nicht „töricht“?

Mitleid mit den Tieren hängt mit der Güte des Charakters so genau zusammen, dass man zuversichtlich behaupten darf, wer gegen Tiere grausam ist, könne kein guter Mensch sein.

Haben Sie gerade „zuversichtlich“ gesagt? Gibt es also doch Hoffnung? Verstehe ich Sie richtig?

So ist denn fast alles in der Welt hohle Nüsse zu nennen.

Da bleibt mir nun nur, Ihnen eine gesegnete Weihnacht zu wünschen.

Religionen sind dem Volke notwendig und sind ihm eine unschätzbare Wohltat. Wenn sie jedoch den Fortschritten der Menschheit in der Erkenntnis der Wahrheit sich entgegenstellen wollen, so müssen sie mit möglichster Schonung beiseitegeschoben werden.

Einen letzten Versuch mit den großen Erwartungen möchte ich noch unternehmen. Irgendetwas müssen doch auch Sie erwarten.

Im Allgemeinen freilich haben die Weisen aller Zeiten immer dasselbe gesagt, und die Toren, d. h. die unermessliche Majorität aller Zeiten, haben immer dasselbe, nämlich das Gegenteil, getan; und so wird es denn auch ferner bleiben.

Alle Zitate stammen aus Schopenhauer, Arthur: „Werke in fünf Bänden“, Haffmans, Zürich 1991, sowie aus Lütkehaus, Ludger (Hrsg. und Nachwort): „Ich bin ein Mann, der Spaß versteht. Einsichten eines glücklichen Pessimisten“, dtv, München 2010. Die Schreibweise wurde behutsam – und ganz sicher entgegen dem Willen Schopenhauers – der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst.

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