Jörg Kachelmann zur Causa Diekmann: „Wir wissen nichts. Alles ist möglich“

Noch ist nicht klar, was dran ist an den Vorwürfen gegen „Bild“-Chef Kai Diekmann. Jörg Kachelmann weiß, wie wichtig Fairness auf beiden Seiten ist.

Jörg Kachelmann vor einer weißen Wand, links daneben ein Fotograf mit Blitzlicht

Frauen werden viel zu oft Opfer sexueller Gewalt – Männer oft Opfer von Falschbeschuldigungen. Jörg Kachelmann liegt viel an einer besonnenen Debatte Foto: reuters

Herr Kachelmann, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie auf Spiegel Online lesen, dass dem Noch-Herausgeber der Bild-Gruppe Kai Diekmann von einer Springer-Mitarbeiterin vorgeworfen wird, sie im Sommer beim Baden belästigt zu haben?

Empathische Leere. Das Leben eines Menschen ist weitgehend zerstört worden. Wir wissen nur noch nicht, welches Menschen.

Fühlen Sie so etwas wie Schadenfreude oder Genugtuung? Immerhin hat die Bild-Zeitung auch ausführlich und nicht gerade sensibel über die Vergewaltigungsvorwürfe berichtet, die 2010 gegen Sie erhoben worden waren – und von denen Sie 2011 vom Landgericht Mannheim freigesprochen wurden.

Nein. Ich bin auch charakterlich nicht so, wie ich 2010 durch die Diekmänner dieser Welt verzeichnet wurde. Schadenfreude wäre doppelt respektlos. Ist er Opfer einer Falschbeschuldigung, weiß ich, was er durchmacht und ich wünsche das wirklich niemandem. Ist die Frau das Opfer, wäre ein so flaches Gefühl wie Schadenfreude gegenüber dem Täter völlig unangemessen ihr gegenüber.

Sie haben Bild, Bild am Sonntag und Bild.de daraufhin verklagt. Das Oberlandesgericht Köln gab Ihnen Recht und sprach Ihnen 2016 eine Entschädigung von 395.000 Euro zu – die höchste, die in einemsolchen Verfahren jemals zugesprochen wurde – wegen des schwerwiegenden Verstoßes gegen Ihre Persönlichkeitsrechte. Was war geschehen?

Es sind so viele Furchtbarkeiten geschrieben worden, dass ich sie nicht wiederholen mag. Etwas, was Herrn Diekmann zunächst erspart bleibt. Man wird sehen, ob der angeblich geläuterte Korpsgeist der Hyänen hält, falls es in einer Hauptverhandlung ans Eingemachte geht.

Auch Alice Schwarzer schrieb in der Bild über Sie und den Prozess. Was denken Sie? Ist von Frau Schwarzer nun bei Diekmann Ähnliches zu erwarten?

Sie hat neuerdings ein neues Hobby gefunden, um nicht vergessen zu werden und bei Maischberger von ihrer Vorbestrafung abzulenken. Sie wird nicht die Hand beißen, die ihr aus der Bedeutungslosigkeit als Gast in Panelshows in dritten Programmen geholfen hat.

Jörg Kachelmann, Jahrgang 1958, ist Moderator, Journalist, Autor und hat sich auf Meteorologie spezialisiert. Unter anderem präsentierte er für die ARD die Wettervorhersagen. 2016 wurde Claudia D. vom Oberlandesgericht Frankfurt zu einer Schadensersatzzahlung von mehr als 7.000 Euro verurteilt. Die Kammer führte in der Urteilsbegründung aus, sie sei davon überzeugt, dass Claudia D. Kachelmann „vorsätzlich, wahrheitswidrig der Vergewaltigung bezichtigte“.

Kann Diekmann froh sein, dass über seinen Fall nicht in der Bild berichtet wird?

Bild wid vermutlich nur in Form von dpa-Meldungen über den Fall berichten. Aber weil Hubert Burda stillhalten wird, gibt es keine gekauften Zeuginnen, die für 50.000 Euro berichten, dass sie auch schon mal mit Diekmann gebadet hätten und ihnen später übel wurde. Die Frage ist, wie sich die kleinen People-Magazine verhalten, deren Chefredakteure nicht mental davon abhängen, in der Elbphilharmonie fünf Plätze schräg hinter Friede Springer sitzen zu dürfen.

Ist Diekmann ein Sonderfall, wenn es um Persönlichkeitsrechte geht? Immerhin zeichnet der Bild-Chef für zahlreiche Berichte verantwortlich, die nicht gerade zimperlich mit den Persönlichkeitsrechten anderer umgingen.

Nein. Er ist ein Mensch. Und er mag ein böser und schlimmer Mensch sein, aber ich möchte deswegen ihm nicht Dinge wünschen müssen, die ich niemandem wünsche. Ich wünsche uns allen nur eines: eine gute Staatsanwaltschaft, ein gutes Gericht, wenns soweit kommt.

Auch andere Medien berichteten damals über Sie. Die Magazine Bunte und Stern brachten Titelstorys und wurden mit hohen Verkaufszahlen der jeweiligen Ausgaben belohnt. Zufall, dass der Spiegel nun gerade zum 70. Geburtstag des Blattes mit dem Vorwurf gegen Diekmann um die Ecke kommt?

Ich habe schon in meiner Kindheit in den 60er Jahren den Spiegel jede Woche gelesen und auch wenn ich damals nicht alles verstanden habe, sehe ich das Heft immer mit Ehrfurcht. Es mag alles nicht mehr so toll sein wie früher, aber das Wehklagen allgemein hat auch viel mit Verklärung und selektiver Wahrnehmung zu tun. Es glauben auch viele Leute, dass es früher im Sommer immer Sonne und zu Weihnachten Schnee gab. Und ich hätte auch gerne Willy Brandt zurück.

Was würden Sie sich wünschen? Wie sollten Journalisten und Journalistinnen mit Diekmann und den Vorwürfen gegen ihn umgehen?

Fair und respektvoll. Nicht nur ihm, auch der Anzeigeerstatterin gegenüber. Und nicht Richter spielen, bevor das Gericht gesprochen hat. Wir wissen nichts. Alles ist möglich.

Ungeachtet dessen, was Sie erlebt haben: Es ist auch erwiesen, dass sehr viele Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, diese nicht zur Anzeige bringen. Auch deshalb, weil sie fürchten müssen, dass man ihnen nicht glaubt, oder dass sich das, was ihnen widerfahren ist, vor Gericht nicht zweifelsfrei beweisen lässt. Ein Dilemma?

Die größte Gefahr für echte Opfer sind Falschbeschuldigerinnen. Die größte Gefahr in dieser Diskussion sind dumme Frauen, dumme Männer und dumme PolitikerInnen, die vor allem in der Bedienung erster Klientel eine Chance sehen. Lassen Sie mich kurz ausholen. Vergewaltigung ist ein furchtbares Verbrechen, dessen Folgen nie aufhören und das zu Recht zu hohen Strafen führt.

Ich bin mit allen Feministinnen völlig einig und überzeugt, dass 15, eher 20 Prozent aller Frauen in ihrem Leben furchtbarerweise Opfer einer sexuellen Übergriffs wurden. Es ist auch leider so, dass die Mehrheit dieser echten Opfer nicht anzeigt. Nicht, weil diese kein Vertrauen in Polizei und Justiz hätten, sondern eben jeder einzelne Fall zu anderen Verarbeitungsmechanismen bei den betroffenen Mädchen und Frauen wird – und diese führen nicht immer über eine Anzeige.

Können Sie ein ein Beispiel geben?

Ein Mädchen macht mit den Eltern Urlaub in einer ausländischen Großstadt. Bleibt einmal müde im Hotelzimmer zurück, wird durch einen Bediensteten vergewaltigt. Die junge Frau hat nie angezeigt, weil sie ihre Eltern nicht bis ans Ende derer Tage unglücklich machen wollte. Es kommen leider auch viele Väter straffrei davon, die sich an ihren Töchtern vergehen, weil diese nicht anzeigen, um nicht auch noch die Mutter verlieren, von der die misshandelten Kinder wiederum ahnen, dass sie nicht nichts gemerkt hat in all der Zeit. Wie so oft, es ist komplizierter als in der schlichten Emma-Welt, echte Opfer haben oft viele individuelle Gründe, nicht anzuzeigen.

Es wäre natürlich gut, richtig und wichtig, dass jede Frau anzeigt, aber wir können sie nicht dazu zwingen. Der Versuch aber, so zu tun, dass man die Anzeigequote erhöhen könnte, wenn man nur auch möglichst viele unschuldige Männer vorsichtshalber verurteilt, ist zynisch und menschenverachtend. Das Problem ist, dass Menschen, denen nichts am Schicksal der echten Opfer gelegen ist, dieses instrumentalisieren, um ihr gesellschaftspolitisches Süppchen damit zu kochen.

Dann gibt es noch das Problem der Falschbeschuldigungen.

Ein Verbrechen, das auch ein Menschenleben erfolgreich bis ans Ende der Tage zerstört. Seriöse Schätzungen (alle anderen kursierenden Statistiken sind frei erfunden von interessierter Seite) besagen, dass etwa 50 bis 80 Prozent der Anzeigen Falschbeschuldigungen sind. Dumme Frauen und dumme Männer versuchen nun diese zwei vollkommen unabhängigen Sachlagen miteinander zu verquicken. Dumme Frauen sagen: Es würden mehr echte Opfer anzeigen, wenn wir endlich Männer einfach erst einmal einbuchten. Erst schießen, später fragen, sozusagen (was übrigens sowieso in den meisten Fällen passiert, wie ich berichten kann).

Und dumme Männer?

Dumme Männer sagen wiederum nach jeder Falschbeschuldigung: sind alles nur Falschbeschuldigungen, was natürlich auch völliger Blödsinn ist und übrigens jetzt auch ein falscher Reflex im aktuellen Fall wäre. Wir haben es mit zwei getrennten Verbrechen zu tun. Die hohe Zahl der Falschbeschuldigungen liegt daran, dass Täterinnen meist völlig straffrei ausgehen. Es ist das perfekte Verbrechen, um einen Mann aus dem Weg zu räumen, ohne selbst ein Risiko einzugehen.

Sie sehen es an meinem Beispiel: Frau Dinkel ist zwar zivilrechtlich verurteilt, aber läuft immer noch frei rum; das Strafrecht überlegt noch und ich darf mit 58 gucken, wie ich mein Berufsleben mit kachelmannwetter.com von Null nochmal anfange. Die Erkenntnis, dass ich Opfer eines Verbrechens wurde, interessiert niemanden sehr und am wenigsten Frau Schwesig oder Herrn Maas. Und das geht nicht nur mir so, sondern allen männlichen Falschbeschuldigungsopfern. Uns möchte man nicht sehen, wir passen nicht in den Kram.

Was also müsste sich ändern?

Das hohe Vergewaltigungsrisiko kann nicht durch die Justiz am Ende der Präventionskette gemindert werden, sie hat schon alle Werkzeuge in der Hand. Wir müssen alle mehr aufeinander aufpassen. Es gibt leider eine hohe Sorglosigkeit bei vielen Frauen und auch deren männlichen Begleitern („wird schon nichts passieren…“). Es kann jede Frau treffen, man muss durchgehend risikobewusst sein, wie das auch Männer sein müssen, um nicht Opfer einer Falschbeschuldigung zu werden. Frauen müssen zusammen nach Hause gehen, vertraute Männer müssen Frauen notfalls nach Hause begleiten, einer darf nichts trinken, der alle nach Hause fahren kann. Das wäre der erste Schlüssel: dass alle aufeinander Acht geben. Schließlichbehördlicher Druck: Bin ich in den USA, begegne ich in urbanen Räumen laufend Streifenwagen der Polizei, in Deutschland kaum je. Woran mag das liegen?

Und, auch wenn es lächerlich klingt: Das Sparabschalten von Straßenlaternen nach Mitternacht ist des Teufels. Dunkel ist immer falsch. Und wir brauchen Kameras. Das ganze Überwachungsstaat-Gelaber ist nachrangig zu einer Erhöhung der Sicherheit gerade von Frauen. Und nochmal zur Anzeigequote: Politiker und auch Sie müssen aufhören, Frauen mit fürsorglichem Sexismus als Wesen zu sehen, die ein bisschen schwach und doof sind und die so gerne anzeigen würden, wenn's ein bisschen schöner wäre, wie Sie gleich schon in Ihrer Frage eben mitteilten. Wir können Frauen nicht zwingen, konsequent anzuzeigen. Und die Gründe, das nicht zu tun, sind vielschichtiger als die frei erfundene These in Ihrer Frage, dass Frauen immer etwas fürchten. Ich habe Frauen zeit meines Lebens ziemlich furchtlos erlebt, während Sie bemerkenswerterweise nur verschreckte Heimchen zu kennen scheinen.

Für wie glaubwürdig halten Sie es, wenn Springer nun behauptet, die Trennung von Diekmann, die nur wenige Tage vor der Veröffentlichung bekannt gegeben worden war, habe nichts mit der Anschuldigung zu tun?

Keine Ahnung.

Was kommt jetzt auf Diekmann zu? Was denken Sie, wird passieren?

Keine Ahnung.

Nach allem, was Sie erlebt haben, wozu würden Sie Diekmann raten?

Zur Wahrheit.

Das Interview wurde auf Wunsch von Herrn Kachelmann schriftlich geführt. Nachfragen waren nicht möglich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.